Grüne ist nicht immer richtig grün
Grüne ist nicht immer richtig grün
Weltweit nimmt die Sorge über den Klimawandel dramatisch zu – im Alltag, in den Medien und in den Parlamenten aber auch unter Finanzanalyste, Zentralbankern und Anlegern. Da das öffentliche Bewusstsein offenbar einen Wendepunkt erreicht hat, ist das Thema nachhaltiges Anlegen nun in aller Munde und hat sich von seinem Nischendasein zu einer Mainstream-Bewegung entwickelt. Es handelt sich nicht länger um ein Randphänomen, sondern ist bei geschäftsrelevanten Entscheidungen zu einem entscheidenden Kriterium geworden. Über das Phänomen und die UN-Leitlinien für nachhaltiges und verantwortliches Investment (PRI genannt) hatten wir kürzlich berichtet.
Der richtige Zeitpunkt
Der Zeitpunkt war nie besser, um über nachhaltige Anlagen zu sprechen und sich für diese einzusetzen. Die jüngsten regulatorischen und politischen Entwicklungen, wie etwa der Aktionsplan der EU zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums und die damit verbundenen Gesetzesvorschläge, haben zu einem stärkeren Bewusstsein der Finanzmarktakteure und der Anlegergemeinschaft geführt. Die „Bank of America“ geht angesichts der demographischen Zahlen davon aus, dass nachhaltige ESG-Fonds in den nächsten zwei Jahrzehnten einen massiven Kapitalzufluss von 20 Billionen US-Dollar erfahren werden. Dies entspricht dem derzeitigen Volumen des S&P 500.
Dieser regelrechte Nachfrage-Tsunami beschleunigt den Transformationsprozess der Investmentbranche. So wird es etwa zunehmend schwieriger, Vermögenswerte ohne Berücksichtigung ökologischer (E), sozialer (S) und Governance-bezogener (G) Gesichtspunkte zu analysieren. Bei der Überprüfung von Bilanzen, Geschäftsergebnissen und Geschäftsfällen sollten nicht nur immaterielle Vermögenswerte (z.B. Ruf, Marke und geistiges Eigentum) bewertet, sondern auch ESG-Indikatoren berücksichtigt werden. Denn finanzielle Kennzahlen allein reichen nicht mehr aus.
Ein gewisser Opportunismus
Der Wandel in der Finanzbranche wird von Überzeugungen angetrieben, aber auch Opportunismus spielt hier klar eine Rolle. Die Einbindung von ESG-Kriterien wirkt sich positiv auf die Wahrnehmung der Unternehmen aus. Das Investieren ins Nachhaltige kostet zwar, lohnt sich aber.
Mit dem Trend zu mehr Nachhaltigkeit nimmt leider auch das so genannte Greenwashing bei den Unternehmen zu. Die Farbe Grün steht für das Positive, sprich die Umwelt. Waschen ist negativ belegt. Somit lautet eine mögliche Übersetzung „Reinwaschen im Hinblick auf Ökologie sowie Nachhaltigkeit“. Greenwashing ist die Beschreibung dessen, was wirtschaftlich orientierte Organisationen tun, die darauf erpicht sind, sich ein nachhaltiges, umweltfreundliches Image zu erarbeiten. Dies sozusagen unter Vortäuschung falscher Tatsachen. Der Begriff bezieht sich auf sämtliche PR-Maßnahmen, die gewinnorientierte Unternehmen ergreifen, um von ihren Verbrauchern als umweltfreundlich und nachhaltig angesehen zu werden. Dies gilt ebenso für die Industrie wie für die Finanzbranche.
Realismus ist angesagt
Zunächst einmal sollte sich jeder Anleger darüber im Klaren sein, dass ESG-Ratings nach wie vor oftmals undurchsichtig sind. Die genaue Messung der ökologischen und sozialen Auswirkungen ist sozusagen in einer Entwicklungsphase. Gemäß Forschern des MIT liegt die Korrelation zwischen den ESG-Ratings im Durchschnitt bei 0,61 (d.h. die von den einzelnen Rating-Agenturen vergebenen Ratings unterscheiden sich recht stark voneinander). Bei traditionellen Ratings wird hingegen einen Wert von 0,99 erreicht. Die Qualität der herangezogenen Daten ist dabei für jeden Portfoliomanager eindeutig von oberster Priorität. Denn wie lassen sich Risiken steuern und Chancen erkennen, wenn man diese nicht mit hinreichender Genauigkeit messen kann?
Der Zeitpunkt war nie besser, um über nachhaltige Anlagen zu sprechen.
In ihrer Forschungsarbeit bestätigen die Wissenschaftler nicht nur das Bestehen von Diskrepanzen zwischen den einzelnen ESG-Ratings, sondern sie gehen auch den Ursachen dieser Unterschiede auf den Grund. Eine der Hauptursachen, die sie dabei ermitteln konnten, besteht darin, dass die verschiedenen Rating-Agenturen unterschiedliche Aspekte beleuchten und diese unterschiedlich stark gewichten. Daran wird deutlich, dass offenere und transparentere Offenlegungsstandards erforderlich sind, um die Genauigkeit von ESG-Ratings zu verbessern.
Anleger müssen realistisch sein und zur Kenntnis nehmen, dass die Finanzmarktanalyse noch nie eine exakte Wissenschaft war und es auch nie sein wird. Denn selbst die besten Tabellen und Diagramme der Welt können Anlegern nicht garantieren, dass sich eine Anlage gut entwickeln wird.
Während die Banken, Vermögensverwalter und Aufsichtsbehörden in Bewegung sind und daran arbeiten, Maßnahmen zum Kampf gegen den Klimawandel und zur Anpassung an diesen umzusetzen, verlangen Aktivisten nach einer Revolution. Nachhaltige Anlagen stehen jedoch eher im Zeichen von Evolution als von Revolution. Die Richtung der beiden Entwicklungen ist zwar dieselbe, doch seien wir ehrlich: Die Geschwindigkeit dabei ist alles andere als gleich.

Druck auf Manager
Inhaber von Vermögenswerten üben Druck auf Manager aus, damit diese ihre Versprechen auch umsetzen. Für sie ist es wichtig, dass auf Worte auch Taten folgen. Gemäß der Financial Times sind in den USA Stimmrechtsvertretungen von Anlegern und Engagements mit den Unternehmensführungen zugunsten umweltschutzrelevanter Themen inzwischen genauso häufig wie Abstimmungen zugunsten Governance-relevanter Themen. Ein nachhaltiger Aktionsplan wird daher für Unternehmen zunehmend zu einer Grundvoraussetzung.
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Marc Glesener
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