Zwischen Schutz und Strafe
Zwischen Schutz und Strafe
Heute vor 30 Jahren hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen die Kinderrechtskonvention angenommen. Unicef Luxemburg widmet dem Jubiläum einen ganzen Bericht und kommt darin zum Schluss, dass 30 Jahre nach der Verabschiedung der Konvention noch viel zu tun bleibt, auch im reichen Luxemburg.
Handlungsbedarf sieht die Unicef unter anderem beim Jugendschutz. Das geltende Jugendschutzgesetz datiert noch ins Jahr 1992. Dass das Gesetz dringend reformiert werden muss, ist allen Beteiligten seit Langem klar. Als besonders problematisch erweist sich die Tatsache, dass das Gesetz sich zwischen Jugendschutz und Sanktionen hin und her bewegt. Luxemburg wurde deshalb bereits mehrfach verwarnt.
Obwohl das Problem längst erkannt ist, tun sich die jeweiligen Regierungen mit einer Reform schwer. Der Text aus dem Jahr 1992 wurde zwar mehrfach abgeändert, doch zu einer fundamentalen Novellierung kam es nie. Der Entwurf des früheren Justizministers Luc Frieden (CSV) aus dem Jahr 2004 blieb stecken und wurde schließlich 2013 zurückgezogen.
Im April 2018 wagte der damalige Justizminister Félix Braz (Déi Gréng) nach einer längeren Vorbereitungszeit einen neuen Anlauf. Doch auch sein Text ist nicht unumstritten. Denn das Dilemma zwischen Jugendschutz auf der einen Seite und Sanktionen auf der anderen Seite konnte auch er nicht lösen. Zu unverständlich, zu unstrukturiert, keine klaren Botschaften an die Jugendlichen, so die allgemeine Kritik. Dabei müsste der Gesetzestext gerade für Minderjährige, Eltern und Sozialarbeiter, die keine Justizexperten seien, verständlich sein.
Auch der Staatsrat ist nicht zufrieden mit dem Text. In seinem Gutachten spricht er 24 formelle Einsprüche aus und kritisiert vor allem die Inkohärenz der Maßnahmen und Verfahren. Die Verfahren seien zu unpräzise formuliert, sodass nicht klar sei, wer was beantragen und entscheiden kann.
René Schlechter vom Ombudskomitee fir d'Rechter vum Kand (ORK) ist sogar der Meinung, dass man noch einmal bei null anfangen und einen völlig neuen Text verfassen sollte.
Auch die Unicef tut sich schwer mit dem Text. Der Gesetzentwurf beschränke sich auf punktuelle Anpassungen, eine grundlegende Reform stelle er nicht dar. Zudem bleibe es bei der in der Vergangenheit immer wieder kritisierten Vermischung zwischen Schutz- und Sanktionsmaßnahmen: „Or, une distinction claire est nécessaire entre des vraies mesures de protection des enfants qui sont, par exemple, victimes de maltraitance, et d’autres mesures qui peuvent être appliquées dans des situations où un enfant est en conflit avec la loi“, schreibt das Kinderhilfswerk in seinem heute erscheinenden Bericht. Oberstes Ziel des Entwurfs sei zwar der Kinder- und Jugendschutz, doch der Text beinhalte auch repressive, fast schon strafrechtliche Maßnahmen.
Das neue Jugendschutz- gesetz muss den Prinzipien der UN-Kinderrechts- konvention gerecht werden.
Unicef
Bei der Unicef begrüßt man daher, dass der frühere Justizminister Félix Braz sich bereit erklärt hat, den Entwurf noch einmal zu überdenken. Das neue Jugendschutzgesetz muss den Prinzipien der UN-Kinderrechtskonvention gerecht werden, so die zentrale Unicef-Forderung.
Freiheitsentzug bei Minderjährigen
Die Unicef macht in ihrem Bericht zudem auf die Problematik des Freiheitsentzugs aufmerksam. Da Luxemburg kein Jugendstrafrecht im eigentlichen Sinn kennt, gleichzeitig aber bei Minderjährigen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, nicht auf Strafmaßnahmen verzichten kann oder will, werden immer noch Jugendliche gegen ihren Willen festgesetzt, so der Vorwurf von Unicef. Freiheitsentzug bei Jugendlichen könne nur als allerletzte Möglichkeit gelten, meint das Kinderhilfswerk mit dem Verweis auf die UN-Kinderrechtskonvention.
Die Unicef ist mit ihrer Kritik an der luxemburgischen Praxis nicht allein. In den vergangenen Jahren wurde das Land immer wieder auf nationaler, wie auf internationaler Ebene kritisiert, weil Jugendliche weiterhin in Gewahrsam genommen werden können.
Auch Ombudsfrau Claudia Monti wies vor wenigen Tagen anlässlich der Vorstellung ihres Berichts über die Unité de sécurité (Unisec) erneut auf das Problem hin. Grundsätzlich begrüßt die Unicef die Schaffung der Unisec. Doch die seit Ende November 2017 funktionierende Einrichtung löse nicht alle Probleme. Die Unisec bietet nämlich nur Platz für zwölf Jugendliche. Wenn mehr als zwölf junge Straftäter gleichzeitig betreut werden müssen, werden sie unweigerlich im normalen Strafvollzug für Erwachsene untergebracht, so die Befürchtung. Claudia Monti teilt diese Sorgen: „Ich hoffe, dass die Unisec nie voll sein wird“, so die Ombudsfrau. Insgesamt hatte sie der Einrichtung gute Noten erteilt. Die Betreuung der Insassen sei sehr gut, nur bei der Kommunikation zwischen der Justiz und den jungen Straftätern sieht sie Handlungsbedarf.
„Ich hoffe, dass die Unisec nie voll sein wird.“
Claudia Monti
Die Unicef spricht allerdings in Bezug auf die Unisec von mangelnder Transparenz: „La façon dont les mesures de détention à l'Unisec sont prises, reste opaque.“
Ein Haus für Kinder
Bei der Unicef macht man sich natürlich auch Sorgen über die jugendlichen Opfer. Deshalb regt das Kinderhilfswerk die Schaffung eines Kinderhauses an, in dem die Kinder und Jugendlichen umfassend betreut werden, wenn sie Opfer von Gewalt werden. Speziell geschultes Personal könnte sich einerseits um die Bedürfnisse der kleinen Opfer kümmern. Gleichzeitig könnten die Betreuer ihnen auch beim Gang vor Gericht beistehen. Die Zeugenbefragung durch die Polizei, später aber auch die Aussage vor dem Richter könnten beispielsweise in dem Kinderhaus in einem vertrauten Umfeld erfolgen. Die Erfahrung für die Kinder wäre dadurch weniger traumatisch, so Unicef.
Das Ombudskomitee fir d'Rechter vum Kand hatte bereits 2006 ein Kinderhaus gefordert. 2017 hatte die Regierung dann eine derartige Einrichtung in Aussicht gestellt. Die Verantwortlichen von Unicef Luxemburg hoffen nun, dass das Haus 2020 endlich Wirklichkeit wird. Angesichts der vielen Kinder, die jedes Jahr Opfer von Gewalt werden und daher in Heimen untergebracht werden müssen, dränge sich eine solche Institution geradezu auf.
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