Wählen Sie Ihre Nachrichten​

Wie Luxemburg mit den Rechten von EU-Bürgern umgeht
Politik 6 Min. 26.05.2023
Leben in Luxemburg

Wie Luxemburg mit den Rechten von EU-Bürgern umgeht

In fünf Bereichen treten häufiger Diskriminierungen oder Hürden auf, wie beim Zugang zum öffentlichen Dienst, bei der Diplomanerkennung oder auch bei Sozialleistungen.
Leben in Luxemburg

Wie Luxemburg mit den Rechten von EU-Bürgern umgeht

In fünf Bereichen treten häufiger Diskriminierungen oder Hürden auf, wie beim Zugang zum öffentlichen Dienst, bei der Diplomanerkennung oder auch bei Sozialleistungen.
Foto: Philipp von Ditfurth/dpa
Politik 6 Min. 26.05.2023
Leben in Luxemburg

Wie Luxemburg mit den Rechten von EU-Bürgern umgeht

Annette WELSCH
Annette WELSCH
In Luxemburg werden Rechte von EU-Bürgern eingeschränkt. Zum Beispiel die Freizügigkeit. Und es gibt weitere Diskriminierungen.

Es scheint, noch Luft nach oben zu geben, betrachtet man sich den Umgang in Luxemburg mit EU-Bürgern. 468.000 gibt es davon: 263.000 wohnen in Luxemburg, mehr als  200.000 kommen jeden Tag als Grenzgänger zum Arbeiten, sodass sie 55 Prozent der täglichen Einwohner ausmachen. Dennoch wird Luxemburgs Politik immer wieder vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) daran erinnert, dass sie diese Bürger, vor allem im Sozial- und Arbeitsrecht, unrechtmäßig anders und eben nicht gleich behandelt wie Staatsangehörige. Erinnert sei hier an Urteile, wie zum Zugang zum öffentlichen Dienst, zum Kindergeld oder zur Studentenbeihilfe


Mixed race girl rejected by her fellow classmates.
Immer wieder Diskriminierung aufgrund der Herkunft
Neuer Rekord: Das Zentrum für Gleichbehandlung war im Jahr 2022 mit 240 Fällen von Diskriminierung befasst, darunter 221 neue Dossiers.

Das Centre pour l'égalité de traitement (CET) wollte Ungleichbehandlungen im Berufs- und Zivilleben auf den Grund gehen und gab dazu eine Studie in Auftrag, die zudem ungerechtfertigte Einschränkungen und Hürden bei der Freizügigkeit sowie Diskriminierungen aufgrund der Nationalität beleuchtete. Sie wurde am Donnerstag von der Professorin für Politische Geographie, Birte Nienaber, vorgestellt und bei einem Rundtischgespräch diskutiert.  

Analysen und Gespräche mit Betroffenen

Grundlage waren eine juristische Analyse der Gesetzeslage, eine Umfrage bei privaten und öffentlichen Strukturen und NGO, die Auswertung von Stellengesuchen für den öffentlichen Dienst, insbesondere auf Sprachhürden hin, sowie qualitative Analysen und Gespräche mit 274 Betroffenen. Es kristallisierten sich fünf Bereiche heraus, die laut Studie besonders anfällig für Ungleichbehandlungen oder die Behinderung der in den EU-Verträgen garantierten Freizügigkeit sind. 

 

So kann einem EU-Bürger das Aufenthaltsrecht entzogen werden, wenn er eine unzumutbare Belastung des Sozialhilfesystems darstellt. In Luxemburg heißt das, dass beispielsweise nur drei Monate gewährt werden, um im Krankheitsfall Krankengeld oder bei der Arbeitssuche Leistungen der ADEM in Anspruch zu nehmen. Das empfanden 73 Prozent der befragten Luxemburger und EU-Bürger als zu kurz, nur 20 Prozent der Luxemburger meinten, dass solche EU-Bürger dann tatsächlich das Land verlassen müssen. „Eine Mehrheit ist dafür, dass sechs Monate bis zwei Jahre gewährt werden“, erklärte Prof. Nienaber. 

Auch beim Niederlassungsrecht und der Frage der Anerkennung von Berufsqualifikationen - Homologierung, Anerkennung eines Diploms oder von Berufserfahrung - zeigt sich Konfliktpotenzial. Luxemburgs Behörden behandeln Diplome oft sehr restriktiv, die Prozedur beim Hochschulministerium dauere ausgesprochen lange und die Berufserfahrung werde fast gar nicht anerkannt. 77 Prozent der Befragten meinten hier, dass alle Diplome in allen EU-Staaten anerkannt werden sollten, ganze 88 Prozent meinten, dass Berufserfahrungen anerkannt gehörten. 

Zugang zum öffentlichen Dienst zu restriktiv

Wenig überraschend ist der Protektionismus im öffentlichen Dienst. Laut EU-Recht darf man den Zugang einschränken, etwa für Richter, Polizei und Armee, den diplomatischen Dienst oder leitende Funktionen. Für Luxemburgs Beamtentum werden aber gesetzlich die Staatsangehörigkeit und sehr hohe Sprachanforderungen auch für andere Regierungsverwaltungen und Behörden verlangt. Diese Hürden der Landessprache und des Beherrschens der drei Verwaltungssprachen würden für die Ausübung des Postens oft gar nicht benötigt, prangert die Studie an. In der Praxis verfährt man dann über Ausnahmeregelungen, wenn eine bestimmte Person unbedingt angestellt werden soll.


Seit 2006 setzt die Regierung  eher auf Sachleistungen, wie kostenlose Betreuung und Schulbücher, vor allem der Elternurlaub wird ausgebaut.
Gewerkschaften kritisieren Kindergeldreform
In der Familienpolitik wird zunehmend statt Geld- auf Sachleistungen gesetzt.

Bekanntlich hat der Zugang zu Sozialleistungen und die Gewährung von Familienzulagen schon für so manche Verurteilung vor dem EUGH geführt. Auch diese Studie zeigt, dass hier die Ungleichheiten am frappantesten sind. Dass Leistungen in Abhängigkeit vom geleisteten Sozialbeitrag stehen sollen und begrenzt werden können, unterstützen 66 Prozent der befragten Luxemburger, aber nur 51 Prozent der befragten EU-Bürger. 91 Prozent der EU-Bürger lehnen eine Bevorzugung der Luxemburger ab, immerhin 72 Prozent sind es auch bei den Luxemburgern. 

Sensibel für Ungleichbehandlungen sind auch die Fälle, wo ein EU-Bürger die Familienzusammenführung mit einem Drittstaatler beantragt.  

Anerkennung von Diplomen erleichtern

„Dass es Diskriminierungen gibt, habe ich erwartet“, sagt Prof. Nienaber. „Aber dass sie von so vielen so stark wahrgenommen werden, dass sie sich nicht in der Öffentlichkeit dazu äußern wollen, obwohl die Umfrage anonym war, finde ich erschreckend. Viele befürchteten, Opfer noch größerer Diskriminierungen zu werden, es herrscht große Angst, seine Rechte einzufordern.“ Man müsste mehr Aufklärungsarbeit leisten zu den Rechten und wie sie artikuliert werden können, fordert sie. Verwunderlich für ein Land, das unter Fachkräftemangel leidet, findet sie, dass die Anerkennung der Diplome als ein so großes Problem gesehen wird.  

Wir bedauern, dass Luxemburg, gerade bei der Umsetzung von EU-Direktiven zu Sozialleistungen, nicht weiter geht als minimal erforderlich.

Emilia Minacapilli, Arbeitnehmerkammer

Auch am Rundtischgespräch, an dem unter anderem der EuGH-Richter, François Biltgen, die Vertreterin der EU-Kommission in Luxemburg, Anne Calteux, sowie Emilia Minacapilli von der Arbeitnehmerkammer teilnahmen, wurde deutlich, dass Luxemburg angesichts des Talente- und Personalmangels, insbesondere im hoch spezialisierten Finanzsektor bei der Anerkennung von Diplomen umdenken müsste. „Wir bedauern, dass Luxemburg, gerade bei der Umsetzung von EU-Direktiven zu Sozialleistungen, nicht weiter geht als minimal erforderlich“, sagte Minacapilli. „Es müssen die nötigen Regeln geschaffen werden, damit möglichst viele Menschen Zugang zum Arbeitsmarkt finden“, forderte Calteux. 

Die Studie wurde vorgestellt und bei einem Rundtischgespräch moderiert von Prof. Jörg Gerkrath (M) mit unter anderem François Biltgen und Anne Calteux diskutiert.
Die Studie wurde vorgestellt und bei einem Rundtischgespräch moderiert von Prof. Jörg Gerkrath (M) mit unter anderem François Biltgen und Anne Calteux diskutiert.
Foto: Annette Welsch

Für den Rechtsprofessor Jörg Gerkrath, der das Rundtischgespräch moderierte, brachte die Studie interessante Ergebnisse, legte aber auch starkes Gewicht auf die Sicht Betroffener. Dennoch: „Die Verwaltungen wenden die durchaus korrekt in nationales Recht umgesetzten Direktiven manchmal nicht so an, wie es - etwa bei der Anerkennung von Diplomen - wünschenswert wäre“, betont er. Der Zugang zum öffentlichen Dienst sei derweil in Luxemburg nicht schwerer ist als in anderen EU-Ländern. Positiv sei auch, dass die Richter in Luxemburg das EU-Recht sehr gut kennen und es präzise anwenden, sodass Klagen gegen vermeintlich diskriminierende Verwaltungsbescheide oft gute Chancen haben, Erfolg zu haben. 

CET will mehr Kompetenzen


Diskriminierungen lassen Regierung kalt
Das Centre pour l’Egalité de Traitement bleibt ein Stiefkind der Regierung mit wenig Befugnissen.

CET-Direktorin Nathalie Morgenthaler fühlte sich durch die Studie bestätigt: „Es hat unsere Meinung bestärkt, dass es an Jurisprudenz fehlt, und die braucht man, um die Umsetzung von EU-Recht in einem Land geprüft zu bekommen“, schlussfolgert sie aus der teils geringen Zahl an Verfahren zu eventuellen Rechtsverletzungen von EU-Bürgern.  Das CET wünscht sich bekanntlich seit langem, dass es für Kläger bezüglich Diskriminierung auch selbst vor Gericht ziehen kann. 

Die Studie hat unsere Meinung bestärkt, dass es an Jurisprudenz fehlt.

Nathalie Morgenthaler, CET-Direktorin

Für das CET macht die Studie auch deutlich, dass die Diskriminierung aufgrund der Nationalität durchaus ein Thema ist. Sie ist seit 2017 gesetzlich verankert, seitdem fordert das CET, dass es auch für diesen Diskriminierungsgrund für zuständig erklärt wird, was ihr bislang verwehrt wurde. Nun hofft man darauf, dass die Parteien die Forderungen des CET in ihren Wahlprogrammen berücksichtigen.  

Folgen Sie uns auf Facebook, Twitter und Instagram und abonnieren Sie unseren Newsletter.


Lesen Sie mehr zu diesem Thema

Die Zunahme der ungleichen Behandlung aufgrund der ethnischen Herkunft lässt aufhorchen. Leben wir in einer zunehmend diskriminierenden Gesellschaft?
Die Zahl der Fälle, mit denen sich das „Centre pour l'égalité de traitement“ (CET) befassen muss, ist in den letzten Jahren rasant gestiegen.