Weshalb die einen wachsen dürfen und andere nicht
Weshalb die einen wachsen dürfen und andere nicht
Die Assises du logement führten nochmals eindrücklich vor Augen, wie enorm die Herausforderungen im Wohnungsbau heute sind.
Blickt man in das Programme directeur der Landesplanung, dann werden diese Herausforderungen – wachstumsbedingt – morgen und übermorgen nicht kleiner. Jenes Dokument, das die Leitlinien der räumlichen Entwicklung des Landes festlegt, geht bis 2035 von 827.000 Einwohnern (plus 28 Prozent gegenüber 2021) aus – und plädiert parallel für eine Halbierung des Bodenverbrauchs auf „nur“ 90 Hektar pro Jahr, um die natürlichen Ressourcen zu schützen. Für Ressortminister Claude Turmes stellt dies keinen Widerspruch dar: „Wir benötigen eine andere Qualität der Planung. Dann spielt die Zahl, ob nun 25.000 oder 150.000 zusätzliche Einwohner, keine Rolle“, hatte der Grünen-Politiker im Oktober in einem „Wort“-Interview betont.
IDEA zufolge muss diese Planungskultur geradezu revolutionäre Züge annehmen. Die Denkfabrik hat sich eingehend mit der territorialen Entwicklung Luxemburgs befasst und stellt dabei nüchtern beziehungsweise ernüchtert fest, dass das Land über einen wenig kohärenten Werkzeugkasten verfüge, um seine Landespolitik zu gestalten. Ein generelles Manko sei das Tempo der infrastrukturellen Entwicklung, die mit der demografischen und wirtschaftlichen Entwicklung nicht Schritt halte. Gleichzeitig erachtet IDEA die damit einhergehenden Folgen für das natürliche Umfeld als „problematisch“.
Wie das Unterfangen einer kohärenten Landesplanung dennoch gelingen kann, beschreibt IDEA in seinem 134 Seiten schweren Dokument „Une vision terrritoriale pour le Luxembourg à long terme“. Darin gehen die Autoren – unter ihnen Romain Diederich, lange Jahre im Ministerium für die Koordination der Landesplanung verantwortlich - bis 2050 von einem Szenario „au fil de l’eau“ aus, mit einem durchschnittlichen Wachstum von 2,8 Prozent, 1,092 Millionen Einwohnern und 0,955 Millionen Beschäftigten. Die daraus abgeleiteten Simulationen und Prognosen werden als „realistisch“, „ambitiös“ und „gewagt“ resümiert; Ziel des Dokumentes sei es, die politischen und wirtschaftlichen Entscheider für den Stellenwert der territorialen Dimension der Entwicklung des Landes zu sensibilisieren, so Co-Autor Vincent Hein.
„Gewagte“ Ideen
Was „gewagt“ für IDEA bedeutet, zeigt sich am Beispiel der Mobilität. Drei städtische Seilbahnen sollen demnach den hauptstädtischen Bahnhof mit den Vierteln Dommeldingen, Kirchberg und Howald/Cloche d’Or verbinden – als Fortbewegungsmittel seien diese schneller und kostengünstiger als die Tram, unterstreicht Romain Diederich. „Gewagt“ kann auch die Verbindung zwischen den beiden Ballungsräumen AggloLUX und AggloSUD mit einer Hochbahn bezeichnet werden.
Wie tiefgreifend die Veränderungen allein im Bereich der Mobilität sind, offenbart die von IDEA angedachte Entwicklung des Modal Split. So soll die Nutzung des Autos bis 2050 von 69 (stand 2017) auf 45 Prozent zurückgehen - allein mit dem Umstieg auf E-Autos sei es nicht getan. Parallel dazu sollen der öffentliche Transport von 17 auf 30 Prozent und die sanfte Mobilität von 14 auf 25 Prozent steigen.
Ein wesentliches Element für das Gelingen einer kohärenten territorialen Gestaltung ist der Blick über die Landesgrenzen hinaus. IDEA spricht sich für die stärkere Einbindung der Großregion aus, insbesondere im Landessüden und der AggloSUD. Diederich spricht in dem Fall von der „größten Herausforderung“, weil es sich um ein sehr heterogenes Territorium handele.
Mit den sogenannten „aires fonctionnelles“ existiert mittlerweile ein konkreter Ansatz für die Einbeziehung der Großregion. Das Konzept umfasst acht Grenzgemeinden, aus denen mindestens 50 Prozent der Beschäftigten ihr Geld in Luxemburg verdienen und wird mit europäischen Interreg-Geldern bezuschusst.
Was die Finanzierung ihrer Ideen betrifft, hält sich die Denkfabrik zurück. Als ein finanzielles Steuerungsinstrument werden indes Sonderfonds genannt, beispielsweise bei grenzüberschreitenden Vorhaben, bei Pilotprojekten im Urbanismus oder bei Kompensierungen.
Drei Ballungsräume
Diese würde bei jenen Gemeinden und Grundstückseigentümern anfallen, die im Zuge der territorialen Entwicklung durch eine Begrenzung des Bauperimeters ausgebremst würden. Denn wenn IDEA einerseits dafür plädiert, dass die demografische Entwicklung vornehmlich in und um die drei Ballungsräume AggloNORD, der um Colmar-Berg erweitert werden soll und auf 50.000 Einwohner wachsen soll, AggloLUX, der sich bis nach Mersch erstrecken soll, mit 380.000 Einwohnern und AggloSUD mit 310.000 Einwohnern stattfinden soll, fordert die Denkfabrik andererseits, dass die ruralen Räume ihren ländlichen Charakter erhalten: Einige Gemeinden müssen ihr Urbanisierungspotenzial reduzieren, heißt es in dem am Montag vorgestellten Dokument.
Handlungsbedarf sehen die Autoren generell bei der urbanistischen Gestaltung. Unter anderem verweisen sie dabei auf die Arbeit von „Luxembourg in Transition“; die von Minister Turmes initiierte Bewegung entwarf Konzepte, wie Luxemburg sich in den kommenden Jahren klimaneutral entwickeln kann. Ein Beispiel ist die Neugestaltung von Gewerbegebieten, weg von einer monothematischen Nutzung. Auch erinnert IDEA an bereits bestehende Möglichkeiten, sei es höher zu bauen oder dichter zu bauen. Eine intelligente Urbanisierung bedeutet laut IDEA auch, dass nicht alle verfügbaren Flächen zwangsläufig erschlossen werden müssen.
Als wesentlich für eine gelungene Landesplanung erachtet IDEA die gesellschaftliche Akzeptanz, die nach Dafürhalten der Denkfabrik auch dadurch erreicht werde, dass die Urbanisierung die Lebensqualität stärkt und die natürlichen Lebensräume schützt. Dabei ist den Autoren die Botschaft wichtig, dass sich dieser Schutzstatus nicht nur am Prozentsatz an Fläche messen lasse, der verbraucht werde.
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