Unpräzise und verfassungswidrig
Unpräzise und verfassungswidrig
Der Staatsrat hat am 22. Juni eine Reihe von Gutachten zu Gesetzentwürfen im Bereich der Abfallwirtschaft veröffentlicht, angefangen beim umstrittenen Abfallgesetz. Der Staatsrat hat viel zu bemängeln, 17 Mal hat er sein Veto gegen den Text eingelegt. Das Abfallgesetz betrifft viele Akteure, darunter Produzenten, Restaurants, Kantinen, Supermärkte, Einkaufszentren, Gemeinden und Gemeindesyndikate. Einige haben bereits kritische Gutachten dazu verfasst.
Für Unverständnis sorgt beispielsweise der Umstand, dass der Gesetzgeber über die Vorgaben der EU-Abfallrahmenrichtlinie hinausgeht. Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng) möchte Luxemburg als Vorreiter in Sachen Abfallwirtschaft etablieren (Null-Abfall-Strategie) und deshalb strenger als von der EU verlangt vorgehen.
Der Staatsrat schließt sich der Kritik an und moniert seinerseits, dass der Gesetzestext – ohne Begründung – von der EU-Direktive abweicht. Die Staatsräte empfehlen dem Gesetzgeber mehrfach, sich an den Text der Direktive zu halten, „dans le but de ne pas prêter de motif pour contester la transposition correcte de la directive 2008/98/CE“.
Luxemburg geht seinen eigenen Weg
So weicht der Gesetzestext beispielsweise von den von der EU vorgegebenen Definitionen bezüglich der Siedlungsabfälle (Déchets municipaux) ab und stellt eine eigene Definition auf – ohne allerdings eine Begründung dafür zu liefern. Die Staatsräte widersetzen sich dem und verlangen, dass sich an die Definitionen in der Direktive gehalten wird.
Luxemburg unterscheidet in Anlehnung an die französische Gesetzgebung zwischen „Déchets municipaux ménagers“ und „Déchets municipaux non ménagers“. Die Direktive schließt eine solche Unterscheidung zwar nicht explizit aus. Dennoch empfiehlt der Staatsrat, sich bei der EU-Kommission rückzuversichern, in diesem Punkt konform zur Direktive zu sein.
Weiter unterscheidet Luxemburg zwischen Abfällen aus Einfamilienhäusern, Mehrfamilienhäusern und Einrichtungen wie Schulen oder kommerzielle Betriebe, was in der Direktive so nicht vorgesehen ist. Die Staatsräte stellen diese Unterscheidung infrage, zumal sich ihnen die Gründe für dieses Vorgehen nicht erschließen.
Der Staatsrat bemängelt aber auch die Qualität des Textes. Er ist an vielen Stellen unpräzise. Das führt zu juristischen Unsicherheiten und somit zu formalen Einwänden.
Die Direktive fordert die Staaten auf, Maßnahmen zur Abfallvermeidung zu ergreifen und hat eine Liste mit Vorschlägen vorgelegt. Allerdings sind diese Maßnahmen nicht verpflichtend. Luxemburg aber setzt sich qualitative und quantitative Ziele und sieht im Rahmen der Abfallvermeidung eine Reihe von Verboten und Geboten vor, die nach Ansicht des Staatsrats aber zu vage formuliert sind und deshalb so nicht durchgehen können.
Das betrifft zum Beispiel das Verbot von Einwegmaterial auf Festen und öffentlichen Veranstaltungen (Teller, Besteck, Becher, Gläser, Flaschen usw.). Auch Knallkörper, Konfetti und anderes Vergnügungsmaterial wie Luftschlangen werden verboten, sofern sie plastik- oder metallhaltig sind. In beiden Fällen drohen Geldstrafen (bis zu 10.000 Euro), wenn man gegen die Bestimmung verstößt. Laut dem Staatsrat ist unklar, worin die Zuwiderhandlung besteht, welches Verhalten konkret strafbar ist. Die Bestimmungen verstoßen damit gegen Artikel 14 der Verfassung („Nulle peine ne peut être établie ni appliquée qu’en vertu de la loi“) und müssen abgeändert werden.
Mikroplastikvermeidung
Ähnlich sieht es mit den Bestimmungen zur Reduzierung von Mikroplastik aus. Der Staatsrat gibt zu bedenken, dass die Definition dessen, was unter Mikroplastik zu verstehen ist, auf EU-Ebene noch in der Ausarbeitung ist und der Text selbst auch keine Definition liefert. Ohne Definition aber können keine Sanktionen verhängt werden, so die Hohe Körperschaft in ihrer Begründung für den formalen Einwand.
Nachbesserungsbedarf besteht auch in Bezug auf Artikel 10 und die darin definierte Einzelsammlung von Abfällen. Die Liste mit Abfällen, die getrennt eingesammelt werden müssen, ist nicht präzise, moniert der Staatsrat. So sei völlig unklar, was unter „Emballages“ sowie unter „Autres déchets tombant sous le régime des la responsabilité élargie des producteurs“ zu verstehen sei. Diese Formulierungen sind juristisch zu vage und müssen umgeschrieben werden.
Was auch nicht geht: Die Regierung behält sich das Recht vor, per großherzogliche Verordnung weitere Abfallfraktionen zu definieren. Letzten Endes sei völlig unklar sei, welche Fraktionen denn nun eingesammelt werden müssen, so der Staatsrat.
Residenzenprojekt und Produzentenverantwortung
Das Gesetz verpflichtet Mehrfamilienhäuser ab vier Einheiten, ein spezielles Abfallsammelsystem in speziell dafür eingerichteten Infrastrukturen einzurichten. Der Staatsrat wirft in diesem Kontext mehrere grundsätzliche Fragen auf, zum Beispiel wie diese Sammelstellen anzuordnen sind, aber auch, wie sich der Bau dieser Sammelstellen finanziell auf die Bauprojekte auswirkt und welche zusätzlichen Nebenkosten sich daraus für die Bewohner ergeben.
Das Gesetz nimmt die Produzenten und Vertreiber von Verpackungen stärker in die Pflicht. So werden Einkaufszentren und Supermärkte ab 400 Quadratmeter dazu verpflichtet, an Ort und Stelle Abfallsammelstellen einzurichten und einen Abfallvermeidungsplan zu erstellen.
In Restaurants dürfen nur noch wiederverwendbare Materialien (Teller, Besteck, Gläser) benutzt werden. Darüber hinaus dürfen Kantinen und Restaurants Essensreste beziehungsweise Mahlzeiten nur noch in wiederverwendbaren Behältern mit Pfandsystem herausgeben.
Wie schon oben erwähnt verpflichtet das Gesetz die Hersteller zu minimalen Recyclingzielen, während die EU-Direktive diese Ziele lediglich als Empfehlung an die Staaten herausgibt.
Bezüglich der erweiterten Herstellerverantwortung beanstandet der Staatsrat die Ungenauigkeit des Textes und die darin vorgesehenen verfassungswidrigen Geldstrafen und fordert die Regierung auf, nachzubessern.
Strafen nicht verhältnismäßig
Was die Strafen betrifft, kritisiert der Staatsrat, dass das Strafmaß in vielen Fällen in keinem Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehe und fordert die Regierung auf, die Verhältnismäßigkeit zwischen Zuwiderhandlung und Strafmaß herzustellen.
Brisante Bemerkung zur SDK
Im Gesetzentwurf wird die „SuperDrecksKëscht“ (SDK) namentlich erwähnt. Die SDK ist in Luxemburg exklusiv unter anderem für die Entsorgung von Problemmüll zuständig. Die Staatsräte weisen die Regierung darauf hin, dass namentliche Erwähnungen von Firmen und Privatpersonen in Gesetzestexten nichts zu suchen haben, weil das Gesetz sonst auf mögliche andere in der Entsorgung von Problemabfällen tätige Organismen nicht anwendbar sei. „En effet, la loi en projet risquerait de ne pas être applicable en cas d'intervention d'autres organismes dans la collecte des déchets problématiques.“ Die Tatsache, dass die Regierung die SDK namentlich erwähnt, zeigt, dass für sie niemand anderes als die SDK für Problemabfälle infrage kommt. Genau diese Monopolstellung ist Gegenstand des SDK-Audits, dessen Ergebnisse noch ausstehen.
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