Umedo: Spurensicherung bei Opfern physischer Gewalt
Umedo: Spurensicherung bei Opfern physischer Gewalt
Rund um die Uhr wird die Umedo (unité médico-légale de documentation des violences) ab dem 23. Juli 2018 unter der Telefonnummer 621 858080 - und auch nur so - erreichbar sein. Am Donnerstag stellten Gesundheits- und Chancengleichheitsministerin Lydia Mutsch (LSAP) sowie Justizminister Félix Braz (Déi Gréng) das Angebot vor, das im Staatslabor angesiedelt ist, aber auch direkt mit den Krankenhäusern zusammenarbeitet und gegebenenfalls dorthin fährt, um den Opfern entgegen zu kommen.
"Die Beweisführung ist wichtig: Wer noch zögert, den Täter anzuzeigen, sollte auf alle Fälle die Beweise sichern lassen - dann bleiben zehn Jahre Zeit, gegebenenfalls darauf zurückzugreifen. Ohne seine Einwilligung wird nichts verwertet", erklärte Mutsch. Sie rief Opfer aber auch dazu auf, Gewaltakte anzuzeigen. Denn nur fünf bis zehn Prozent der Gewaltfälle aus dem nahen Umfeld würden derzeit überhaupt zur Anzeige gebracht - weil man in Beziehung zum Täter steht, weil Kinder involviert sind, weil man noch nicht bereit für eine Anzeige und die Konsequenzen ist.
Nicht Opfer bleiben, sondern aktiv gegen den Täter vorgehen
Viele Opfer häuslicher Gewalt, sexueller Gewalt oder Gewalt wegen des Geschlechts wenden sich nicht an Polizei oder Justiz, sondern flüchten zu einer Hilfsorganisation, der Familie, zu Freunden oder lassen sich im Krankenhaus mit einer erfundenen Geschichte behandeln. Oder leiden einfach stumm weiter. Bei Opfern sexueller Gewalt kommt noch dazu, dass sie traumatisiert sind und eingeschüchtert, sich schämen oder auch Schuld verspüren - oft weil der Täter aus dem nahen Umfeld kommt. "Solche Personen brauchen Hilfe von außen, rechtliche Hilfe, um nicht nur Opfer zu bleiben, sondern aktiv gegen den Täter vorzugehen", kommentierte Braz.
Man sollte auf alle Fälle die Beweise sichern lassen - dann bleiben zehn Jahre Zeit, den Gewaltakt anzuzeigen.
Die Umedo macht keine medizinische Behandlung und Beratung, stellt auch keine Atteste aus. Sie dokumentiert die sichtbaren Verletzungen und nimmt biologische Proben. Das Material wird dann pseudonymisiert und strikt getrennt von den persönlichen Daten aufbewahrt. Untersucht wird es in der Regel erst, wenn tatsächlich gerichtsverwertbare Beweise im Rahmen eines Verfahrens gebraucht werden. Es wird nichts einer Untersuchung unterzogen, herausgegeben oder in einem Gutachten verarbeitet ohne das Einverständnis der betroffenen Person.
50 bis maximal 100 Fälle pro Jahr erwartet
"Darauf können die Opfer zu 100 Prozent vertrauen", sagte der Rechtsmediziner Dr. Andreas Schuff, der bereits die Opferambulanz in Saarbrücken aufbaute. Er leitet nun die Umedo. Ihm stehen mit Martine Schaul und Dr. Thorsten Schwark zwei weitere Rechtsmediziner zur Seite. Alle unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht und sie sind auch von der Pflicht entbunden, als öffentliche Personen Anzeige erstatten zu müssen, wenn sie von einer Straftat erfahren. Sie müssen sich auch absolut neutral und unparteiisch verhalten. "Das wird von den Opfern sehr geschätzt."
Dr. Schuff rechnet mit einer Anlaufphase von anderthalb bis zwei Jahren und 50 bis maximal 100 Fällen pro Jahr, zu denen die Umedo in Luxemburg hinzugezogen werden wird. Um die zehn Prozent der Fälle werden vom Opfer dann auch angezeigt. Erfahrungsgemäß, aber: "In einem kleinen Land wie Luxemburg kann es sein, dass die Zahlen höher liegen werden."
Fälle häuslicher Gewalt 2017 leicht rückläufig
"Es ist ein für mich sehr wichtiges Dokumentationszentrum. Schließlich sind es Verbrechen und wir müssen es fertig bringe, dem Rhythmus der Opfer angepasst, die Täter vor Gericht zu bringen", bekräftigte Braz. Die Umedo sei ein wichtiges Element, um die Personen zu ermutigen, sich mit allen Mitteln zu wehren. "Die Rechte der Opfer werden verbessert. Es ist ein großer Schritt in Richtung gerechter Umgang mit einem sozialen Phänomen, das leider nicht aus der Welt zu schaffen ist", sagte Mutsch und bezog sich auf häusliche Gewalt.
Die Ministerin nannte auch die neuesten Zahlen: Mit 715 Fällen, in denen die Polizei gerufen wurde, war die häusliche Gewalt 2017 leicht rückläufig. 789 Fälle waren es noch 2016. Dennoch: "60 Fälle im Monat ist immens oft und keine schöne Zahl für Luxemburg", bedauerte Mutsch. Zumal die Dunkelziffer hier, wie auch bei der sexuellen Gewalt sehr viel höher liegt. In 217 Fällen wurde 2017 eine Wegweisung ausgesprochen, auch hier weniger als 2016 (258 Fälle). Die Täter sind zu 90 Prozent Männer und zu über 90 Prozent findet die Gewalt innerhalb eines Paares statt.
Jede dritte Frau in der EU hat schon Gewalt erfahren
Nach einer EU-weiten Befragung aus dem Jahr 2012 sind 35 Prozent aller Frauen schon Opfer körperlicher/sexueller Gewalt geworden. 22 Prozent haben Gewalt durch den Ex-Partner erfahren. Neun Prozent der Frauen zwischen 18 und 74 hatten in den letzten zwölf Monaten Gewalt erfahren: sieben Prozent körperliche Gewalt und zwei Prozent sexuelle. Angezeigt werden aber nur fünf bis zehn Prozent der Fälle.
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