„Stereotypen in den Köpfen der Menschen fest verankert“
„Stereotypen in den Köpfen der Menschen fest verankert“
2021 ließ die Regierung in Luxemburg eine breit angelegte nationale Umfrage zum Thema Rassismus und ethnisch-rassische Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Nationalität, Herkunftsland, Nachname, Religion usw. durchführen. Den Auftrag dazu hat die Regierung vom Parlament erhalten. Am Dienstag wurden die Ergebnisse der Umfrage vorgestellt.
Die Umfrage ist zweigeteilt: Das „Luxembourg Institute of Socio-Economic Research“ (Liser) war für die quantitative Analyse zuständig und hat 139 Experten und Akteure aus 67 verschiedenen privaten und öffentlichen Strukturen über deren Wahrnehmung des Phänomens befragt.
Das „Centre d’étude et de formation interculturelles et sociales“ (Cefis) war für die qualitative Analyse zuständig und hat via Online-Fragebogen die Bevölkerung um deren Einschätzung zum Phänomen Diskriminierung gebeten. Die Fragebögen wurden an 15.000 zufällig ausgewählte Einwohner (Luxemburger und Personen mit Migrationshintergrund) ab 18 Jahren verschickt, darunter 1.500 Portugiesen und 5.000 Nicht-EU-Bürger, um eine Überrepräsentation von bestimmten Risikogruppen zu erreichen. Geantwortet haben 2.949 Einwohner.
Die Studie liefert Informationen zur Wahrnehmung des Phänomens Rassismus und Diskriminierung. Das Positive: Die Überzeugung, dass manche Rassen anderen überlegen seien, ist sehr wenig präsent. Lediglich 4,3 Prozent der 2.949 Befragten vertraten diese These. In einer vergleichbaren Studie in Frankreich lag diese Quote bei neun Prozent. Gering ist auch die Quote derer, die meinen, dass rassistische Reaktionen in manchen Fällen gerechtfertigt seien. 15,2 Prozent der Befragten vertraten diese Meinung, in Frankreich lag diese Quote bei 46 Prozent.
Diffuses Phänomen
Die Befragung der Experten ergab, dass Rassismus und Diskriminierung recht vage Begriffe seien, die nicht klar definiert sind, es deswegen auch keine klaren Strategien im Umgang mit dem Phänomen gibt. Sie stellten fest, dass rassistische Angriffe in der Öffentlichkeit eher seltener geworden seien und es zu einer Transformation des Phänomens hin zu Mikroaggressionen gekommen sei, wobei die sozialen Medien eine wichtige Rolle spielen.
Wenngleich ideologischer Rassismus in der Luxemburger Bevölkerung kaum verbreitet ist, so sind aber bestimmte Stereotypen recht fest in den Köpfen der Menschen verankert. Die Experten identifizierten vor allem folgende Vorurteile: Faulheit der Afrikaner, Unterwerfung und Unterdrückung muslimischer Frauen, islamistischer Terror sowie die Annahme, dass Flüchtlinge Asylschmarotzer seien.
Diese Wahrnehmung der Experten spiegelt sich in der Online-Befragung der Einwohner wider. Knapp 46 Prozent gaben an, dass bestimmte ethnisch-rassische Gruppen die Interaktion mit anderen meiden, allen voran Muslime, Roma, gefolgt von den Luxemburgern, Portugiesen und an letzter Stelle die Asiaten. Ein Drittel der Befragten macht bestimmte Gruppen für die Steigerung von Gewalt und Kriminalität verantwortlich, allen voran Menschen von dunkler Hautfarbe, Menschen aus osteuropäischen Ländern, Roma und an letzter Stelle Muslime.
Ein Drittel ist zudem überzeugt, dass bestimmte Gruppen Mühe haben, sich an gängige Nachbarschaftsregeln zu halten. Auch hier dominieren Roma und Muslime, gefolgt von Personen von dunkler Hautfarbe und Portugiesen.
Risikobereiche für Diskriminierungen
Die Forscher haben bestimmte Risikobereiche ausgemacht, in denen Diskriminierungen hauptsächlich stattfinden. Die Experten beobachten sie im Arbeitsbereich, bei der Wohnungssuche, auf den sozialen Medien und im Bildungsbereich und führen sie auf mangelnde Sprachkenntnisse (Luxemburgisch), auf die Hautfarbe und die Herkunft zurück. Betroffen seien vor allem afrikanischstämmige Personen, arabischstämmige Muslime und Portugiesen. Die Online-Befragung bestätigt diese Wahrnehmung der Experten.
Opfer melden Fälle nicht
Doch nur wenige Betroffene melden Fälle von Rassismus und Diskriminierung. Zwei Drittel der Opfer gaben an, ihren Fall nicht zu melden - zum einen, weil sie das nicht für nötig oder nicht schwerwiegend genug halten, zum anderen, weil sie nicht informiert sind oder diesen Schritt für zu kompliziert halten. Das bestätigt laut Frédéric Docquier vom Liser die Annahme der Experten, dass es sich um ein diffuses Phänomen und in vielen Fällen um Mikroaggressionen handelt, die schwer zu greifen sind.
Die Forscher haben aus den Ergebnissen Handlungsempfehlungen an die Politik im Speziellen für die Bereiche Arbeit, Wohnen und Schule ausgearbeitet. Sie sehen Verbesserungsmöglichkeiten durch schärfere Sanktionen einerseits, vor allem aber durch Aufklärung, Sensibilisierung, Weiterbildung und durch konkrete Initiativen, die das Zusammenleben fördern. Sie machen sich stark für eine bessere Begleitung von Opfern und für eine Verstärkung des „Centre pour l'égalité de traitement“ (CET).
Familien- und Integrationsministerin Corinne Cahen (DP) zufolge sind bereits erste Schritte geplant. So soll es eine Schulung zum Umgang mit Risikogruppen für kommunale Beamte geben. Man werde an die Unternehmen herantreten und Immobilienagenturen dazu anhalten, Diskriminierungsversuche seitens von Hauseigentümern nicht zuzulassen.
In einem zweiten Teil der Studie wird das Cefis Interviews mit Opfern von Rassismus und Diskriminierung führen und die Ergebnisse Ende des Jahres vorstellen.
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