Pro und Contra: Gehört der Weltfrauentag abgeschafft?
Pro und Contra: Gehört der Weltfrauentag abgeschafft?
Der Weltfrauentag polarisiert durch seine bloße Existenz die Gemüter: Von „bringt doch nichts“ zu „einem feministischen Kampftag“ poppt seit einigen Jahren immer wieder die Debatte darüber auf, welchen Beitrag der 8. März für die Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung von Frauen leisten kann. Das Politik-Ressort vom „Luxemburger Wort“ hat darüber debattiert - ein Pro und Contra zum Weltfrauentag.
Opfer der Aufmerksamkeitsökonomie
Von Jan Kreller
Es ist unzweifelhaft, dass Frauen - und niemand sonst – ihr Recht auf Gleichberechtigung selbst erkämpft haben. Heute ist es gesellschaftlicher Konsens, dass rein aus der Geschlechterzugehörigkeit keine Dominanz abgeleitet werden kann. Dass Frauen ihren männlichen Konkurrenten in nichts nachstehen, hat beispielsweise Angela Merkel in ihrer 16 Jahre dauernden Amtszeit deutlich unter Beweis gestellt.
Wer also braucht heute noch einen fest terminierten Weltfrauentag? Diese fast toxische Frage stellt sich zumindest in den westlichen Demokratien, in denen juristisch zwischen Mann und Frau kein Blatt mehr passt. Im Reigen der weit über 100 internationalen Gedenktage der Vereinten Nationen ist der Weltfrauentag zudem nur noch einer unter vielen. Die Aufmerksamkeitsökonomie spielt uns hier ihre Streiche. Wir sind umgeben von Informationen und Eindrücken, werden überfrachtet mit Appellen, die uns dazu anhalten, unser Handeln in verschiedensten Fragen zu überdenken.
Gedenken wir nur an einem Tag der Gleichstellung und Frauenrechte, dann verpufft dieses Gedenken.
Gedenken wir nur an einem Tag der Gleichstellung und Frauenrechte, dann verpufft dieses Gedenken. Es ist ja schön, wenn die Zivilgesellschaften der demokratisch verfassten Länder am 8. März Flagge zeigen. Nur nützt das den systematisch, weil von Staats wegen diskriminierten Frauen beispielsweise im Iran oder Afghanistan kaum weiter. Natürlich ist das nicht mit der Lage in der EU vergleichbar. Aber auch bei uns ist nicht alles Gold, was glänzt. Da wären noch die Unterschiede bei den Stundenlöhnen, die aber wenigstens für das Großherzogtum so gut wie nicht mehr zu messen sind.
Viel wichtiger ist es, das Thema im ganz normalen Alltag zu leben, respektvoll miteinander umzugehen – und das schließt alle Geschlechter mit ein.
Wichtig, um an Versäumnisse zu erinnern
Von Simone Molitor
Über den Sinn und Unsinn manch skurriler Aktionstage kann man zweifelsohne diskutieren, nicht aber über die Daseinsberechtigung der offiziell von den Vereinten Nationen ausgerufenen Welttage. Ihr Ziel ist es, an Probleme zu erinnern, zu sensibilisieren und letztlich ein Bewusstsein für Versäumnisse zu schaffen. In diesem Sinn hat der Weltfrauentag bis heute nicht an Bedeutung verloren, weil es nach wie vor Ungleichheiten gibt. Darauf muss immer wieder hingewiesen werden.
Die Frauen mussten in der Vergangenheit hart für ihre Rechte kämpfen. In vielen Ländern dieser Welt stehen sie noch am Anfang, in anderen wiederum befinden sich wichtige Errungenschaften auf der Kippe.
Solange es Ungleichheiten gibt, brauchen wir den Weltfrauentag.
Und was ist mit Luxemburg? Wurde in den letzten 100 Jahren nicht genug erreicht? Viel, aber nicht alles. Manche Ungerechtigkeiten haben Bestand. Sie gilt es jedes Jahr an diesem Tag besonders in den Fokus zu rücken: Frauen verdienen oft weniger als Männer, haben kleinere Renten, sind häufiger Opfer von Gewalt, bekleiden seltener hohe Positionen, übernehmen den größten Teil der Hausarbeit, unterbrechen ihr Arbeitsverhältnis oder arbeiten in Teilzeit, um sich um die Kinder zu kümmern … Eine gleichberechtigte Gesellschaft sieht anders aus.
Der Weltfrauentag ist ein sinnvolles Instrument, um Aufmerksamkeit zu wecken, um uns den Spiegel vorzuhalten und um die Politik anhand von Statistiken und Fakten an ihre Pflicht zu erinnern, in allen Bereichen konsequent gegen die Benachteiligung von Frauen vorzugehen. Dazu bleiben anschließend jedes Jahr mindestens 364 weitere Tage. Diese Zeit muss genutzt werden!
Unseren Frauentag abschaffen!
Von Ines Kurschat
Eigentlich hat sich Alice Schwarzer mit ihrer fehlenden Abgrenzung gegen Rechts auf der Berliner Friedens-Demo selbst ins Aus geschossen, aber mit einer Forderung hat die Ex-Ikone des Feminismus recht: Der Frauentag, wie er im Westen begangen wird, gehört abgeschafft, fand sie 2018. Die „symbolische Schmeichelei“ sei „gönnerhaft“ und ändere nichts an den patriarchalen Machtverhältnissen.
Das stimmt. Was einst als internationaler Kampftag in Gedenken an umgekommene Textilarbeiterinnen von Clara Zetkin ins Leben gerufen wurde, fühlt sich heute wie ein zweiter Muttertag an: Unternehmen verteilen Rosen und Parfümproben in der Fußgängerzone, der Fraestreik ist zum After-Work-Spaziergang mit bunten Plakaten zusammengeschrumpft.
Was einst als internationaler Kampftag in Gedenken an umgekommene Textilarbeiterinnen von Clara Zetkin ins Leben gerufen wurde, fühlt sich heute wie ein zweiter Muttertag an.
An der vorrangig von Frauen und Migrantinnen geleisteten, mies bezahlten Care-Arbeit, am von Mädchen und Frauen erlittenen Sexismus, an der Gewalt bis hin zum Beziehungsmord, an den Attacken rechter Politiker, den weiblichen Körper und die Sexualität zu kontrollieren, ändert der Tag rein gar nichts. Und die Frauen im Süden, in Afghanistan, im Iran, in Bangladesch, haben viele nur auf dem Schirm, wenn die Schlagzeilen unerträglich werden.
Die Medien kommen zum 8. März mit Sonderseiten, Marketingchefs frohlocken, einmal im Jahr werden die Frauen entdeckt – und dennoch drücken sich Männer davor, aktiv einen Beitrag zur Gleichstellung zu leisten und sind die Chefredaktionen, und überhaupt die Chefetagen, weiterhin männlich dominiert.
Als junge Feministin, die mal selbst mit Leidenschaft am 8. März marschierte, hätte ich es weit von mir gewiesen, aber: Es braucht mehr Realpolitik und nachhaltige Veränderungen im Geschlechterverhältnis statt Lippenbekenntnisse und ritualhafte Reflexe. Die am 9. März wieder vergessen sind, wenn der nächste von 364 Weltmännertagen anbricht.
Wer den Weltfrauentag abschafft, betreibt Demokratieabbau
Von Florian Javel
Der internationale Frauentag ist heute nur noch ein Schatten seiner selbst, sagen die einen. Zum Spielball der Marketingbranche reduziert, übertönt seine Wirkungslosigkeit alle gut gemeinten Bekundungen und Proteste am 8. März. Und lässt so manche pseudo-feministischen Aktivistinnen laut aufschreien, die so weit gehen, dessen Stellenwert mit der des Tags des Baumes gleichzustellen. Denn ja, für manche ist der internationale Frauentag nicht mehr das, was er mal war.
Wer diesen politischen Kampftag allerdings so sieht, denkt bestimmt auch, dass Klimakleber und Teilnehmerinnen der Fridays for Future-Demos arbeitslose Nichtsnutze und freche Gören sind, deren sinnbefreite Aktionen die Öffentlichkeit gefährden. Nein, wer die Abschaffung des Weltfrauentags möchte, übersieht schlichtweg das Gewicht von politischen Kampftagen für unsere Gesellschaft. Dieser Tag wurde Frauen nicht gnädig auf dem Silbertablett serviert - er wurde erkämpft, so wie die Emanzipation von Arbeiterinnen und das Frauenwahlrecht. Der Weltfrauentag hat somit historisch gesehen seine Daseinsberechtigung verdient. Auch heute noch.
Während Klimaaktivisten auf den Straßen beleidigt werden oder der Weltfrauentag als „zweiter Muttertag“ verpönt wird, passiert vor allem eines: Die Inhalte gehen unter.
Die Debatte um eine Abschaffung tut dem Aktivismus nicht gut. Ein solcher Aufschrei stärkt nur den Grundsatz innerhalb der Gesellschaft, sich politisch außerhalb der demokratischen Institutionen zu engagieren, führe doch zu nichts. Während Klimaaktivisten auf den Straßen beleidigt werden oder der Weltfrauentag als „zweiter Muttertag“ verpönt wird, passiert vor allem eines: Die Inhalte gehen unter. Das Vertrauen in die Macht der Bürgerbeteiligung schwindet. Politische Kampftage sollen aber das Vertrauen der Menschen in ihre politische Selbstermächtigung aufwerten. Den Weltfrauentag abzuschaffen, würde somit eines bedeuten: Demokratieabbau.
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