Privatisierung im öffentlichen Dienst: Gewerkschaften blasen zum Kampf
Privatisierung im öffentlichen Dienst: Gewerkschaften blasen zum Kampf
Die Gewerkschaften machen in Sachen Privatisierung des öffentlichen Dienstes Druck auf die Regierung. Weil Premierminister Xavier Bettel (DP) nicht auf die Terminanfrage der CGFP vom vergangenen Jahr reagiert, hat die Staatsbeamtengewerkschaft am Montag ein Schlichtungsverfahren eingeleitet. Am Dienstag meldeten sich der SEW/OGBL und die Apess bei einer gemeinsamen Pressekonferenz zu Wort, um sich gegen die Privatisierungstendenzen im Bildungswesen zur Wehr zu setzen.
Jules Barthel vom SEW sprach von einem schleichenden Prozess „mit gravierenden Konsequenzen für das gesamte Bildungssystem“. Ein Prozess, der leider von vielen Menschen – auch aus dem Bildungssektor – nicht richtig wahrgenommen werde, „den sie aber kennen sollten“. In diesem Prozess seien die Gesetzentwürfe 7662 – er liegt derzeit auf Eis – und 7658 nur die Spitze des Eisbergs. Sie sehen vor, den Zugang zu Direktionsposten im Bildungssektor für Vertreter aus der Privatwirtschaft zu öffnen. Die Gewerkschaften fordern, dass beide Gesetzentwürfe „endgültig vom Tisch verschwinden“.
Dialog- und Demokratieverständnis
Barthel beklagte den „Mangel an Dialog- und Demokratieverständnis überall dort, wo privatwirtschaftliche Akteure sich breit machen“. Stimmen, die von der Linie der Entscheidungsträger abweichen, die Meinung von Interessenverbänden oder der Zivilgesellschaft würden mehr und ignoriert. „Das muss man leider auch im Bildungssektor feststellen.“
Das Mitspracherecht der Gewerkschaften, Eltern- und Schülervertretungen habe massiv unter Bildungsminister Claude Meisch (DP) gelitten, sagte Barthel. Zwar habe der Minister zahlreiche Gremien geschaffen. Er habe aber nie dafür gesorgt, dass diese Gremien auch konstruktiv arbeiten. Den vor den Wahlen 2018 angekündigten Bildungstisch gibt es bis heute nicht. Barthel forderte, dass die Menschen „vum Terrain“ in Reformprozesse und die Gewerkschaften in die Ausarbeitung von Gesetzentwürfen eingebunden werden.
Konkurrenzkampf der Schulen
Mehr Demokratie und Teilhabe wünschen sich die Gewerkschafter auch innerhalb der Schulen. Gefordert wurde, den Conseil d'éducation zum zentralen Entscheidungsorgan zu machen. In dem Gremium sind die Direktion, die Lehrer, die Schüler und die Eltern vertreten.
Der Staat gibt den Bildungsauftrag komplett aus der Hand und überlässt Privatfirmen die Entscheidung, was gelernt wird, wie es gelernt wird, was geprüft und wie es bewertet wird.
Vera Dockendorf, SEW
Gilles Everling von der Apess beklagte, dass die Autonomie der Schulen zu einem immer schärferen Konkurrenzkampf führe. Ziel der Bildung sei immer mehr, „menschliche Ressourcen für den internationalen Arbeitsmarkt zu produzieren statt kritische und mündige Bürger mit einer breiten, humanistischen Bildung“. Everling beklagte des Weiteren den Attraktivitätsverlust des Lehrerberufs. Statt die Karriere aufzuwerten, würden mehr und mehr Lehrer ohne pädagogische Ausbildung rekrutiert.
Auch die Internationalisierung und Digitalisierung der Bildungslandschaft bereitet den Gewerkschaften Sorgen. „Der Staat gibt den Bildungsauftrag komplett aus der Hand und überlässt Privatfirmen die Entscheidung, was gelernt wird, wie es gelernt wird, was geprüft und wie es bewertet wird“, sagte Vera Dockendorf vom SEW. Für Firmen wie Apple oder Microsoft sei der Bildungssektor ein lukrativer Markt. Nicht pädagogische Ziele stünden im Vordergrund, sondern die Eigeninteressen der Firmen.
Internationalisierung der Schulprogramme
Dockendorf kritisierte auch die Internationalisierung der Schulprogramme. „Manche Schulen kaufen ihre Programme und Examen bei Privatfirmen ein und überlassen die Korrektur und die Bewertung der Examen diesen Firmen“, so Dockendorf. Auch hier gebe der Staat die Hoheit über Lerninhalte an Privatfirmen ab. Solche Konzerne seien IB (Schweizer Stiftung), Pearson und Cambridge Assessment.
Wir müssen die Privatisierungstendenzen früh genug erkennen und die Entwicklung überall dort, wo sie stattfindet, stoppen.
Vera Dockendorf, SEW
Dockendorf verwies auf Großbritannien, wo die Privatisierung ebenfalls schleichend begonnen und am Ende zu einem Ranking der Schulen geführt habe, das die „besten“ Schulen finanziell bevorteile. Das führe zu einem starken Konkurrenzkampf, zur Bildung von Eliteschulen und am Ende zu noch weniger Chancengleichheit. „Wir müssen die Privatisierungstendenzen früh genug erkennen und die Entwicklung überall dort, wo sie stattfindet, stoppen.“ Sie forderte ein sofortiges Umdenken.
Gemeinsam stark
SEW/OGBL und Apess suchen den Schulterschluss mit den Schüler- und Elternvertretern sowie den Lehrbeauftragten, um zu vermeiden, „dass der Minister die einen gegen die anderen ausspielt“, so Barthel.
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