Minister werden jetzt juristisch wie Bürger behandelt
Minister werden jetzt juristisch wie Bürger behandelt
Es zählt zu den parlamentarischen Kuriositäten: 200 Jahre kam man ohne das Ausführungsgesetz zum Artikel 82 der Verfassung aus, vier Monate, bevor es mit Inkrafttreten der neuen Verfassung ohnehin hinfällig wird, wird das Gesetz zur strafrechtlichen Verantwortung von Ministern doch noch verabschiedet. Zehn Monate Diskussionen um den Umgang mit der Justiz-Akte der ehemaligen Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng), die an den Grundfesten des Rechtsstaates rüttelten, fanden am Dienstag ihren Abschluss.
Am 21. April 2022 beantragte die Staatsanwaltschaft beim Parlament, Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng) in der „Gartenhaus-Affäre“ um den grünen Abgeordneten Roberto Traversini (Déi Gréng) vernehmen zu können. Dieser trat im September 2019 als Bürgermeister von Differdingen zurück, weil es beim Umbau eines Gartenhauses auf seinem Grundstück zu Unregelmäßigkeiten gekommen war, die noch immer Gegenstand von Ermittlungen sind. Zudem befand sich das Gartenhaus in einer Umweltzone, sodass Umweltministerin Dieschbourg damals in der Kritik stand, vor allem der CSV, Genehmigungen rückwirkend und bevorzugt erteilt zu haben.
Zehn Monate Diskussionen
Die Staatsanwaltschaft wollte vor einem knappen Jahr vom Parlament autorisiert werden, entsprechende Ermittlungen durchführen zu können. Carole Dieschbourg kam dem zuvor und reichte ihren Rücktritt ein. Sie wollte so den Weg für ihre Aussagen freimachen. Und auch verhindern, sich einem Verhör und einer Anklage der Abgeordneten unterziehen zu müssen.
Denn laut noch geltender Verfassung ist das Parlament für die strafrechtliche Anklage von Ministern zuständig. Da das Ausführungsgesetz für die entsprechende Prozedur aber nie erlassen wurde und die neue Verfassung, die am 1. Juli in Kraft treten wird, festlegt, dass Minister genau wie jeder andere Bürger auch der Justiz unterstehen, wurde eine Übergangslösung gesucht. Eine Lösung, die auch den Verfahrensrechten, die einem Angeklagten heute nach den Standards der internationalen Menschenrechte zustehen, Rechnung tragen.
Mit dem am Dienstag einstimmig verabschiedeten Gesetz zur strafrechtlichen Verantwortung von Ministern, das die Fraktionspräsidenten der vier großen Parteien, Gilles Roth (CSV), Gilles Baum (DP), Yves Cruchten (LSAP) und Josée Lorsché (Déi Gréng) am 18. Juli vergangenen Jahres eingebracht hatten, wurde das Problem nun gelöst: Sobald das Parlament im Respekt des Artikel 82 der derzeit noch gültigen Verfassung Anklage erhebt, wird die normale Strafprozedur des allgemeinen Rechts angewandt.
Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen. Zum einen unterliegen Befragung und Beweisaufnahme nicht einer Spezialkommission des Parlaments, sondern den Justizautoritäten konform zu den normalen Regeln der Strafprozessordnung. Zum anderen ergeht das Urteil abhängig vom Typ des Gesetzesbruchs vom vorgesehenen Gericht – von der Strafkammer des Bezirksgerichts für Vergehen und von der Kriminalkammer des Bezirksgerichts bei Verbrechen.
Der Staatsrat hatte drei formelle Einsprüche, wobei er weitere Präzisionen verlangte. So fehlte dem Gesetz ein Verweis auf internationale Menschenrechtskonventionen, denen Luxemburg verpflichtet ist, es fehlte die ausdrückliche Vorschrift, dass das Parlament der Staatsanwaltschaft sein Einverständnis erteilen muss, die Befragung und Beweisaufnahme aufzunehmen und es fehlte eine Regelung dessen, was die Staatsanwaltschaft dem Parlament nach den Ermittlungen übergeben muss. Nun ist festgeschrieben, dass eine detaillierte Schlussfolgerung überreicht werden muss.
Längst überfällige Regelung
Alle Redner waren sich einig, dass die Regelung längst überfällig war, um nicht zuletzt den Regeln des Rechtsstaates und der Unabhängigkeit der Justiz Rechnung zu tragen. Berichterstatter Mars Di Bartolomeo (LSAP) betonte, dass das Gesetz dem Geist der neuen Verfassung Rechnung trage. „Die nächste Etappe ist das Einverständnis der Chamber, dass eine Voruntersuchung von der Staatsanwaltschaft eingeleitet wird.“
Die nächste Etappe ist das Einverständnis der Chamber, dass eine Voruntersuchung von der Staatsanwaltschaft eingeleitet wird.
Mars Di Bartolomeo, LSAP
Die CSV steht zwar zu dem Gesetz, wäre aber auch den Weg gegangen, ohne diesem über die Folgen des Dossiers zu entscheiden, machte Gilles Roth deutlich. Er bedauerte, dass mit der Gartenhaus-Affäre 2019 auf politischer Ebene unzulänglich umgegangen wurde, was erst zu der ganzen Misere geführt habe. Die Opposition sei mundtot gemacht worden und konnte keine Fragen im Umweltausschuss stellen, ihre Fragen wurden im Parlamentsplenum nur unzulänglich von der Ministerin beantwortet und die umstrittenen Entscheidungen wurden nicht überdacht oder zurückgezogen, bedauerte er.
Die Forderungen seiner Partei zu den Prinzipien des Gesetzes sah Gilles Roth (CSV) erfüllt. Das Parlament soll bis zum Juli, wenn die neue Verfassung in Kraft tritt, darüber entschieden haben, ob Ermittlungen in dem Dossier von den Justizautoritäten unternommen werden sollen und es soll in einer nicht-öffentlichen Plenarsitzung darüber diskutiert werden. „Jeder Abgeordnete soll aufgrund seiner Analyse des Dossiers und um seiner verfassungsrechtlichen Aufgabe nachzukommen, Fragen an die Justizbehörden weiterleiten können“, betonte er und blieb damit der CSV-Linie treu, dass sich Carole Dieschbourg auch den Fragen der Abgeordneten stellen müsse.
Weg frei für rechtsstaatliche Prozedur
Josée Lorsché (Déi Gréng) war überzeugt, dass Luxemburg mit einem öffentlichen Schauprozess der Chamber und ohne einem Minister jede Verfahrensrechte zu garantieren, in Straßburg vor dem Menschengerichtshof gelandet wäre und dort „den Kürzeren gezogen“ hätte. „Wir sind uns parteiübergreifend einig, dass es heute nicht mehr zeitgemäß ist, dass das Parlament Regierungsmitglieder anklagt und Justiz spielt.“
Wir sind uns parteiübergreifend einig, dass es heute nicht mehr zeitgemäß ist, dass das Parlament Justiz spielt.
Josée Lorsché, Déi Gréng
Jetzt sei der Weg frei für eine rechtsstaatliche Gerichtsprozedur, wo es nicht mehr um die Form, sondern den Fonds der Sache geht. „Die Untersuchung liegt in den Händen derer, die dafür ausgebildet und qualifiziert sind und nicht in denen von Politikern, die schon allein von ihrem Mandat her parteipolitische Interessen vertreten.“
Wies Sven Clement (Piraten) darauf hin, dass sich die Bürger zu Recht erwarten können, dass Politiker bestraft werden können, wenn sie sich nicht an Gesetze halten und das Vertrauen der Bürger in die Politiker erhalten bleiben muss, so warf lediglich Fernand Kartheiser (ADR) noch Fragen auf. Er verlangte, dass das Abstimmungsresultat veröffentlicht werden müsse, auch wenn die Diskussionen hinter verschlossenen Türen laufen.
Die Bürger können zu Recht erwarten, dass Politiker bestraft werden können, wenn sie sich nicht an Gesetze halten.
Sven Clement, Piratenpartei
Er forderte auch, dass „die Chamber die politische Kontrollfunktion über die Minister behalten müsste und nicht alles an die Justiz abgibt“. Eine Minderheit von Abgeordneten soll bei der Staatsanwaltschaft beantragen können, eine Untersuchung gegen einen Minister einzuleiten. Und wenn die Abgeordneten nun Fragen weiterleiten, die die Justiz Carole Dieschbourg stellen soll, so sollten sie auch das Recht haben, die Antworten einzusehen.
Wendet man aber die allgemeinen Strafprozessregeln an, so kann man gespannt sein, wie die Justiz weiter verfährt. Denn es wurden bislang schon verschiedene prozedurale Fehltritte begangen. Justizministerin Sam Tanson (Déi Gréng) informierte Carole Dieschbourg, dass die Staatsanwaltschaft das Parlament mit einer Ermittlungsanfrage befasst hatte - im Glauben, dass die Abgeordneten schon informiert waren. Das war aber noch nicht der Fall.
Das Parlament, das mit dem Rücktritt der Ministerin und der Frage konfrontiert war, wie jetzt verfahren werden müsse, gab als Erstes den Abgeordneten Zugang zur Akte - anstatt das Untersuchungsgeheimnis zu wahren, bis die Zuständigkeit geklärt war. Es stellt sich die Frage, ob die Akte nicht ungeöffnet zurück an die Staatsanwaltschaft hätte gehen müssen. So könnten die Verfahrensrechte von Carole Dieschbourg verletzt worden sein. Mit dem Risiko, dass das ganze Verfahren eingestellt werden könnte.
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