Petition 1717: Claude Meisch nimmt Stellung zu Privatisierungsvorwürfen
Petition 1717: Claude Meisch nimmt Stellung zu Privatisierungsvorwürfen
Fast 4.900 Unterschriften hat Ana Pinto mit ihrer Petition 1717 gesammelt. Die Petition setzt sich gegen eine schleichende Privatisierung des öffentlichen Bildungssystems ein. Diese Petition macht deutlich, dass die Bürger sehr wohl Druck auf Regierungsmitglieder ausüben und sie zum Handeln bewegen können. Zwei Tage vor der Anhörung hat sich Bildungsminister Claude Meisch (DP) mit der CGFP darauf geeinigt, die beiden umstrittenen Gesetzentwürfe 7662 und 7658 zurückzuziehen und zu überarbeiten.
Obwohl damit ein zentrales Ziel der Bittstellerin erreicht war, wollte sie nicht auf die Anhörung verzichten. Die Debatte bot die Gelegenheit, das Thema Privatisierung der öffentlichen Schule global zu diskutieren. Dazu muss man sagen: Es war die erste öffentliche politische Debatte zum Thema Privatisierungstendenzen im Bildungssystem. Und es war vor allem die erste öffentliche Debatte, bei der der zuständige Minister Claude Meisch sich zum Thema äußerte.
Unterstützt wurde Ana Pinto von Philippe Kirsch, Ingenieur, der zunächst im Privatsektor gearbeitet, später die Lehrerausbildung absolviert hat und jetzt in einem Lycée unterrichtet. Unterstützt wurde sie auch von Nicolas Sizaret, einem Franzosen, der in Luxemburg aufgewachsen ist, in Frankreich sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor gearbeitet hat, dort lebt und ein Buch zum Thema Privatisierung der öffentlichen Bildung geschrieben hat. Anhand einzelner Beispiele - USA, England, Frankreich - erläuterte er, wie sich privatwirtschaftliche Firmen Zugang zu Bildungssystemen verschaffen, dort ihre Interessen durchsetzen und in die Bildung eingreifen.
Es gibt verschiedene Methoden, öffentlichen Dienstleistungen nach und nach einer liberalen Logik zu unterwerfen. Dann sind wir verloren.
David Wagner, Déi Lénk
Die zentrale Frage in der Debatte: Sollen Vertreter aus der Privatwirtschaft mit der Leitung von öffentlichen Schulen betraut werden? Welchen Nutzen bringt das für die Schulen und die Bildung der Schüler? Und: Sind sie bessere Schulleiter als Vertreter aus dem öffentlichen Sektor?
Schule und Berufswelt verknüpfen
Einig war man sich, dass Schulen nicht losgelöst von der Berufswelt funktionieren können, dass es Verknüpfungen und eine Zusammenarbeit braucht. „Das bedeutet aber nicht, dass man die Logik der Privatwirtschaft in den Schulen übernehmen sollte“, sagte der linke Abgeordnete David Wagner. Er warnte vor einer schleichenden Privatisierung. „Es gibt verschiedene Methoden, öffentliche Dienstleistungen nach und nach einer liberalen Logik zu unterwerfen. Dann sind wir verloren“, so Wagner.
Von Djuna Bernard (Déi Gréng) wurde die Frage aufgeworfen, welche Kompetenzen Schuldirektoren nach Ansicht der Bittsteller haben sollten und wie der Rekrutierungsprozess gestaltet werden müsste, um die bestmögliche Besetzung für Direktionsposten zu finden. Nicolas Sizaret meinte dazu, dass ein Austausch zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor wichtig sei. Wichtig sei auch zu prüfen, welche Kompetenzen, welche Instrumente und Methodologien aus dem Privatsektor von Nutzen für die Leitung einer Schule sein können, ohne an den Grundfesten des öffentlichen Bildungssystems zu rütteln und auf dessen Werte zu verzichten. Es sei durchaus sinnvoll, künftigen Direktoren die für die Leitung einer Schule notwendigen und nützlichen Kompetenzen - aus dem Privatsektor - zu vermitteln, aber unter der Bedingung, Sicherheitsmaßnahmen (garde-fou) einzubauen.
Sollte das Problem sein, Lehrer zu finden, die motiviert sind, eine Schule zu leiten, müsse man sich eingehender mit den Gründen befassen und gezielt Anreize schaffen. Sizaret zufolge hat auch Frankreich mit größeren Rekrutierungsproblemen - nicht nur von Direktoren - zu kämpfen. Vergangenes Jahr habe Frankreich beim Zulassungsexamen für Mathematiklehrer den Notendurchschnitt auf 6/20 senken müssen, um genügend Lehrer rekrutieren zu können, so Sizaret.
Man kann nicht erwarten, dass digitale Instrumente den Lehrer ersetzen.
Nicolas Sizaret, Petition 1717
„Empathie wichtigste Kompetenz“
Für Philippe Kirsch ist die wichtigste Kompetenz, über die ein Schuldirektor verfügen muss, Empathie für die Sorgen und Probleme der Schüler. „Schüler sind Menschen, keine Roboter. Erst wenn man die vielen kleinen Probleme versteht, kann man versuchen, sie zu lösen.“ Kompetenzen in administrativen, organisatorischen oder technischen Aufgaben kämen an zweiter Stelle, so Kirsch sinngemäß.
Einfluss großer Technologiekonzerne
Angesprochen wurde auch der zunehmende Einfluss von Global Playern im digitalen Bereich. Was ist beispielsweise vom Einsatz von iPads zu halten? „Die Frage ist: Welchen pädagogischen Mehrwert bringt der Einsatz von digitalen Instrumenten?“, meinte Nicolas Sizaret. Er berief sich auf eine US-amerikanische Studie, die belege, dass der Mehrwert von der pädagogischen Begleitung abhängig sei. „Man kann nicht erwarten, dass digitale Instrumente den Lehrer ersetzen“, so Sizaret, und man dürfe sich nicht der Illusion hingeben, dass der Einsatz solcher Instrumente automatisch die „Produktivität“ steigere.
Marc Hansen (Déi Gréng) reicherte die Debatte mit der Idee eines „Conseil de direction“ an. Sein Gedanke: Muss man sich nicht grundsätzlich mit der Frage befassen, inwiefern die vielen Kompetenzen, die für die Leitung einer Schule notwendig sind, auf mehrere Personen verteilt werden sollten? Es sei schwierig, Personen zu finden, die sämtliche Kompetenzen in sich vereinen, fand Hansen.
Francine Closener (LSAP) thematisierte die Aus- und Weiterbildung von Schuldirektoren, besonders in nicht-pädagogischen Bereichen. Ein Direktor müsse sich Kompetenzen in Bereichen wie Budget, Personalverwaltung usw. aneignen können, „wenn er sie nicht schon mitbringt“, so Closener.
Claude Meisch nimmt Stellung
Bildungsminister Claude Meisch nutzte seine 20-minütige Redezeit, um anhand von Beispielen zu zeigen, dass er keinesfalls eine schleichende Privatisierung des öffentlichen Bildungssystems im Sinn habe. So seien die drei Einrichtungen Script, IFEN und CGIE in den vergangenen Jahren personell aufgestockt worden, um die öffentlichen Schulen bei der Schulentwicklung zu unterstützen.
Viele Aufgaben, die vorher ausgelagert gewesen seien, würden jetzt inhouse übernommen. Das Script arbeite viel eigenes Lehrmaterial aus, das vorher im Ausland eingekauft worden sei - 39 Schulbücher seien es im vergangenen Jahr gewesen. Ein anderes Beispiel, das er anführte, ist die geplante Integrierung der Privatschule Grandjean mit zehn Lehrern und 140 Schülern in das öffentliche Bildungssystem.
Auch das ECG (Ecole de Commerce et de Gestion) werde voraussichtlich vom Staat übernommen. Des Weiteren übernehme der Staat zahlreiche Vereinigungen, wie die „Agence nationale pour l'information des jeunes“ (ANIJ) oder Agenten der Vereinigung Infopla. „Diese Vereinigungen haben Aufgaben, die der Staat selbst übernehmen sollte“, so Meisch.
Vertrag mit „Pearson“ aufgelöst
Zu Pearson - ein privater Bildungsanbieter -, dessen Programme vom Staat eingekauft und im Lycée technique Michel Lucius angeboten werden, sagte Claude Meisch, dass damit Schluss sei. Man sei in den vergangenen vier Jahren schrittweise aus dem Vertrag ausgestiegen und arbeite jetzt mit einer Non-Profit-Organisation von Cambridge zusammen, die dieselben Programme anbiete.
Ferner stellte Claude Meisch eine Debatte über den Mangel an Interesse bei Lehrern für Schulleitungsposten in Aussicht. Martine Hansen (CSV) wollte vom Bildungsminister wissen, ob er mit den vier spezialisierten Lyzeen über die Änderungen im Gesetzentwurf 7662, die jetzt erfolgen, gesprochen habe. Aus Zeitgründen habe er das noch nicht getan, sagte Claude Meisch. Aber er werde das selbstverständlich tun.
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