Wählen Sie Ihre Nachrichten​

Okaju bezeichnet Strafmündigkeit ab 13 als "haarsträubend"
Politik 6 Min. 15.03.2023
Jugendschutzreform

Okaju bezeichnet Strafmündigkeit ab 13 als "haarsträubend"

Charel Schmit und die externe Beraterin Dr. Susanna Greijer hoffen darauf, dass das Parlament bei der Jugendschutzreform nachbessert.
Jugendschutzreform

Okaju bezeichnet Strafmündigkeit ab 13 als "haarsträubend"

Charel Schmit und die externe Beraterin Dr. Susanna Greijer hoffen darauf, dass das Parlament bei der Jugendschutzreform nachbessert.
Foto: Luc Deflorenne
Politik 6 Min. 15.03.2023
Jugendschutzreform

Okaju bezeichnet Strafmündigkeit ab 13 als "haarsträubend"

Annette WELSCH
Annette WELSCH
Der Ombudsman fir Kanner a Jugendlecher (Okaju) Charel Schmit legt die Gutachten zu den drei Gesetzen der Jugendschutzreform vor.

Im deutschen Freudenberg wurde am Wochenende ein zwölfjähriges Mädchen von zwei Mädchen im Alter von zwölf und 13 Jahren erstochen. Da in Deutschland die Strafmündigkeit ab 14 Jahren beginnt, wurden sie dem Jugendamt übergeben. Geht es nach Justizministerin Sam Tanson (Déi Gréng) gehörte die 13-jährige mutmaßliche Täterin künftig in die Hände der Staatsanwaltschaft: Mit der Jugendschutzreform wird in Luxemburg erstmals ein Strafmündigkeitsalter gesetzlich festgelegt, das ursprünglich bei 14 Jahren lag, so wie das UN-Kinderrechtskomitee es empfiehlt, kürzlich aber in Abänderungsanträgen auf 13 abgesenkt wurde


IPO , Uni.lu , ITV Prof Stefan Braum , Jugendschutzgesetz , Foto;Guy Jallay/Luxemburger Wort
„Repressionen sind bei Jugendlichen kontraproduktiv"
Strafrechtsprofessor Stefan Braum erklärt das geplante Jugendstrafrecht und warum die Justiz Widerstand leistet.

Der Ombudsman fir Kanner a Jugendlecher (Okaju), Charel Schmit, bezeichnete dies am Mittwoch als „haarsträubend“. Dass die Regierung diesen Weg gegangen ist, sei nicht nachvollziehbar. „Es gibt keine Evidenz dafür. Wir sind der gegensätzlichen Meinung, dass das Alter höher als 14 Jahre, eher 15, 16 Jahre sein müsste. Wir rufen die Chamber dazu auf, dies nicht zu billigen, denn es besteht keinerlei Notwendigkeit dafür.“  

Kriminologisch zeige sich europaweit die Tendenz, dass die klassischen Formen der Jugendkriminalität rückläufig sind, erklärt Schmit. „Es gibt isolierte Ausnahmefälle wie diesen, das kann vorkommen. Aber man kann deswegen nicht ganze Generationen unter eine Strafverfolgung stellen, die für dieses Lebensalter exzessiv ist.“ 

Kriminologisch gesehen, zeigt sich europaweit die Tendenz, dass die klassischen Formen der Jugendkriminalität rückläufig sind.

Charel Schmit, Okaju

Die externe Beraterin Dr. Susanna Greijer wies darauf hin, dass die Rückfallquoten in Systemen, die stärker an Kinder angepasst wurden, niedriger sind. „Ziel ist die Rehabilitation und die Reintegration in die Gesellschaft, ohne weitere Straftaten zu begehen - und das gelingt besser über Sozialdienste denn über Freiheitsentzug.“ In diesem Sinne fordert sie einen gesetzlichen Zusatz, dass das Alter für die Bestrafungsmündigkeit festgelegt wird und höher als 13 Jahre liegt, so wie das eine Reihe Länder, wie zum Beispiel Serbien, Irland und die Schweiz, vorsehen.   


Politik, droit pénal pour mineurs, Pressekonferenz, Claude Meisch, Sam Tanson, Renate Winter , Foto: Anouk Antony/Luxemburger Wort
So sollen Minderjährige geschützt und gestraft werden
Gleich drei neue Gesetze sollen den Jugendschutz, das Jugendstrafrecht und den Zeugen- und Opferschutz im Sinne der Kinderrechtskonvention regeln.

Es bleibe genügend Zeit für Verbesserungen, die Änderungen der Regierung in einem anderen Licht zu sehen und Verschlechterungen wieder herauszunehmen, sagte Schmit. Der Ombudsman stellte seine Gutachten zu den drei Gesetzen vor, mit denen der Jugendschutz, die Jugendstrafprozessordnung und der Schutz minderjähriger Opfer und Zeugen geregelt werden sollen.

Ziel ist die Rehabilitation und die Reintegration in die Gesellschaft und das gelingt besser über Sozialdienste denn über Freiheitsentzug.

Dr. Susanna Greijer, externe Beraterin des Okaju

Freiheitsentzug als Ultima ratio 

Bei der Jugendstrafprozessordnung begrüßt er, dass die sogenannte Diversion vorgesehen ist. Hier kann eine Verurteilung und Strafe mit Freiheitsentzug von Ersttätern abgewendet werden, wenn der Jugendliche beispielsweise gemeinnützige Arbeiten verrichtet. Schmit wünscht sich allerdings, dass Jugendliche im Sinne der Kinderrechtskonvention stärker am Verfahren beteiligt werden, das heißt, selbst einen Vorschlag machen können, wie sie die Tat wiedergutmachen wollen. Diversion sollte zudem auch noch im Hauptverfahren möglich sein. 

Der Freiheitsentzug sollte Ultima ratio sein, wenn nichts anderes greift - und dies gehöre zudem gesetzlich verankert, fordert Schmit. Die Situation in der geschlossenen Erziehungsanstalt Unisec ist für ihn „unbefriedigend“. „Die Infrastruktur ist nicht geeignet, um mit Jugendlichen zu arbeiten. Es ist nicht klar, welche Konzepte angewandt werden sollen und was verändert werden soll. Das riskiert, die Zielsetzung der Reform, mit den Jugendlichen zu arbeiten, zu unterlaufen.“

Positiv bewertet der Okaju, dass Rechte der Verteidigung, wie den Beistand durch einen Kinderanwalt, verbindlich eingeführt werden. Es bräuchte darüber hinaus präzise Bedingungen, wer als Kinderanwalt, Jugendrichter oder als Jugend-Sozialarbeiter arbeiten darf, da blieben alle drei Gesetze unklar. „Es besteht zudem ein großer Bedarf an Weiterbildung für die Umsetzung der drei Gesetze. Wir benötigen ein entsprechendes Angebot und eine begleitende Politik.“ Schmit hätte sich außerdem gewünscht, dass das Jugendschutzgericht in das Familiengericht integriert wird und nicht drei Gerichtsbarkeiten zuständig sind. „Wir sehen das eher als Zwischenetappe, die dann bilanziert werden sollte. Aus der Sicht des Kindes sollte das System der Institutionen verständlicher sein.“ 

Arbeit des SCAS wird ausgeweitet

Die Aufwertung der Jugendgerichtsbarkeit, indem sie kinderrechtskonform und im Sinne internationaler Empfehlungen gestaltet und an die Verfahrensrechte für Erwachsene angeglichen wird, begrüßt der Okaju. Ebenso wie die Erweiterung und Aufwertung der Arbeit des Service Central d'Assistance Sociale (SCAS) im Sinne eines spezialisierten Dienstes für Jugendliche: Er begleitet die Jugendlichen nun durch die gesamte Prozedur, bis die Strafe oder Diversionsarbeit abgeschlossen ist und achtet zudem darauf, ob zusätzliche Bedürfnisse bestehen, wie eine Wohnung oder eine Therapie.


Lokales, Interview Simone Flammang, Kritik der Generalstaatsanwaltschaft zu Jungendschutzreform, Tribunal de la Jeunesse, Foto: Chris Karaba/Luxemburger Wort
Justizbehörden kritisieren Jugendschutzreform scharf
„Die Leidtragenden sind die Kinder und Jugendlichen“, so die erste Generalstaatsanwältin Simone Flammang. Die Reform sei keine Verbesserung.

Dass es künftig vier Sektionen beim SCAS geben soll und der Jugendliche mit vier Sozialarbeitern zu tun bekommt, sei allerdings eine „unverantwortliche Verkomplizierung der Prozedur“ und entspreche nicht der Sozialarbeit im Sinne des Case Management. Es bestehe auch keine Kohärenz zwischen den drei Gesetzen, wenn es um die Vertrauensperson geht, die ein Minderjähriger als Begleitung heraussuchen kann. Das ist nur im Jugendschutz vorgesehen. Der Okaju wünscht, dass Kinder auch bei Strafverfahren und als minderjährige Zeugen und Opfern zusätzlich zum Sozialarbeiter eine solche Person zur moralischen Stütze mitnehmen können. 

Beim Gesetz zum Schutz minderjähriger Opfer und Zeugen werden zusätzliche Mittel und Personal vermisst sowie die gesetzliche Verankerung eines sogenannten „Barnahus“, das im Regierungsprogramm noch versprochen wurde: Unter einem Dach sind alle relevanten Dienste versammelt, die die Aussage eines minderjährigen Opfers oder Zeugen aufnehmen, es forensisch untersuchen sowie psychologisch und medizinisch betreuen, damit es nicht immer wieder sein Trauma durchleben muss. In 20 EU-Ländern gibt es das. „Es würde zudem die Kommunikation und den Informationsfluss zwischen den Instanzen stärken“, betonte Charel Schmit. 

Inkohärenz bei Anzeige von Delikten 


IPO , PK Commission Consultative des Droits de l`Homme , CCDH , vlnr Max Mousel , Gilbert Pregno , Anamarija Tunjic Foto:Guy Jallay/Luxemburger Wort
Kinder und Jugendliche: Den Reformen fehlt es an Präzision
Das Gutachten der beratenden Menschenrechtskommission zur Jugendschutzreform stellt Mängel fest.

Wie die Beratende Menschenrechtskommission beanstandet auch der Okaju die Inkohärenz bei der Meldung von das Kindeswohl gefährdenden Taten, die für Staatsanwaltschaft und Office National d'Enfance (ONE; Jugendamt) unterschiedlich geregelt sind. „Die unter Strafe gestellte Anzeigepflicht, wenn Kinder Opfer von Delikten oder Verbrechen sind, wird auf alle Bürger ausgedehnt. Das ist zusätzlich dazugekommen und nicht zwingend notwendig, um die Rechte von Zeugen und Opfern zu stärken“, moniert Charel Schmit und fordert Richtlinien, was gemeldet werden soll und was nicht. „Vor allem im Sport- und Freizeitbereich können junge Menschen aneinandergeraten, ohne dass es sich um Delikte handelt.“

Dass das ONE für den Jugendschutz zuständig ist, und Fälle erst dann an die Justiz abgibt, wenn Familien nicht mitarbeiten, ist Ausdruck der Gewaltentrennung.

Charel Schmit, Okaju

Das dritte Gesetz - die Stärkung des 2008 eingeführten ONE, das zur Entjustizialisierung des Jugendschutzes beitragen soll - findet der Okaju nicht problematisch. Das ONE, zuständig für Erziehungshilfen bei Kindern und Familien und vergleichbar dem deutschen Jugendamt, soll für den Jugendschutz zuständig sein, solange die Familien freiwillig an Lösungen mitarbeiten und Fälle erst dann an die Justiz abgeben, wenn Familien die Kooperation verweigern. „Wir sehen das als Ausdruck der Gewaltentrennung.“ Besonders zufrieden ist der Verteidiger der Kinderrechte, dass gesetzlich verankert wird, dass Kinder möglichst in ihrem familiären Milieu bleiben sollen - oder aber in Pflegefamilien kommen. „Das entspricht der Kinderrechtskonvention und fehlt bislang.“ 

Folgen Sie uns auf Facebook, Twitter und Instagram und abonnieren Sie unseren Newsletter.


Lesen Sie mehr zu diesem Thema