"Niemand soll angeprangert werden"
"Niemand soll angeprangert werden"
(ml) - Der Artuso-Bericht zur Frage der Kollaboration der luxemburgischen Behörden bei der Judenverfolgung von 1933 bis 1941 trage dazu bei, dass Wunden geheilt werden, auch wenn er keine wirklichen Überraschungen beinhalte, sagt François Moyse, der ehemalige Präsident des israelitischen Konsistoriums in Luxemburg.
Durch die Arbeit, die einzelne Historiker (Serge Hoffmann, Denis Scuto und andere) zuvor geleistet hätten, habe es bereits in der Vergangenheit Andeutungen gegeben, dass die luxemburgische Verwaltungskommission mit den Nazis kollaborierte. Bei der Polizei seien Listen mit ausländischen Juden aufgeführt worden. Auch im Schulwesen seien die Inspektoren nicht pro-jüdisch gewesen.
Der Artuso-Bericht habe nun bestätigt, dass damals keine passive Resistenz stattfand, um den Gräueltaten der Nazis entgegen zu wirken, so Moyse: "Die luxemburgischen Institutionen hatten damals eine moralisch zweifelhafte Haltung. Juden - auch luxemburgische Juden - wurden hierzulande als Ausländer angesehen." Wichtig sei es, dass dieses Tabu gebrochen wurde. Ziel dürfe es jedoch nicht sein, jetzt Menschen anzuprangern. Gleichzeitig sollte nichts unter den Teppich gekehrt werden.
Moyse will den Blick nach vorne richten. Erst gelte es abzuwarten, wie die Politik mit dem Bericht umgeht. In den Staaten, wo die Behörden mit den Nazis kollaborierten, um Juden auszugrenzen, hält Moyse eine Entschuldigung seitens der Politik für angebracht. In Frankreich und Belgien sei dieser Schritt bereits vollzogen worden, auch wenn die Situation nicht mit der von Luxemburg zu vergleichen sei.
Vieles müsse noch bewältigt werden, unterstreicht der Ex-Präsident des israelitischen Konsistoriums. Zahlreiche Juden seien damals weder materiell noch moralisch anerkannt worden. In Zukunft sollte man die Frage vertiefen, was mit den Gütern geschehen ist, die den Juden geraubt wurden. Der Bericht der Spezialkommission, die sich mit diesem Thema beschäftigte, sei unvollständig. Klärungsbedarf bestehe auch was mit Lebensversicherungen und mit Konten passiert ist, die in Banken schlummern.
Sinnvoll wäre es, eine Stiftung zur Erinnerung an die Shoa zu gründen, so Moyse. Ziel müsse es sein, die Forschung über die Shoa in Luxemburg zu fördern, denn auf dem Gebiet seien bislang praktisch keine Recherchen gemacht worden.
In den Nachkriegsjahren, und auch später in den 60er-Jahren, ergriff die jüdische Gemeinschaft nicht die Initiative, um einen Bericht über die "jüdische Frage" in Luxemburg einzufordern. Nach dem Krieg sei es den Menschen in erster Linie darum gegangen, ihr Leben neu aufzubauen, betont Moyse. Alles andere habe in gewissen Bevölkerungsgruppen kein Gehör gefunden.
Im Übrigen habe es damals eine gewisse Konkurrenz gegeben zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die im Krieg besonders gelitten hatten. Erst die nachkommenden Generationen seien zu dem Schluss gekommen, dass eine historische Aufarbeitung unumgänglich sei. Einzelne Personen hätten Angst vor der Schuld gehabt, die man ihnen zumuten könnten. Seit den 80er-Jahren gebe es ein Bekenntnis, mit diesem Tabu zu brechen.
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