Neun Millionen Euro und ein Streik
Neun Millionen Euro und ein Streik
Von Michèle Gantenbein
Vor dem Regierungswechsel fanden in den Räumlichkeiten der DP-Fraktion regelmäßig Pressekonferenzen zur Bildungspolitik statt. Der Inhalt: ein Mix aus Kritik an der Politik der LSAP-Ministerin Mady Delvaux und bildungspolitische Rezepte, wie man es besser machen kann. Stets wurde beteuert, wie wichtig es sei, die Lehrer mit allen Mitteln in ihrer pädagogischen Arbeit zu stärken. Nun steht ein Liberaler an der Spitze des Bildungsministeriums und gibt vor, genau dieses Ziel anzustreben, doch diese Botschaft scheint nicht bei den Lehrern anzukommen.
Bildungsminister Claude Meisch will Reformen umsetzen, um die Schulen fit für die Zukunft zu machen. Er ist bereit, in den kommenden Jahren mehr Geld in die Bildung zu stecken, wie er bereits mehrfach betonte. Gleichzeitig beschloss die Regierung, das Bildungssystem auf Sparpotenzial hin zu untersuchen.
Privilegien abschaffen
Das Screening deckte eine Reihe von Mechanismen und Privilegien auf, die die Lehrer betreffen und „nicht mehr in die heutige Zeit passen“, wie Claude Meisch sagt. Nicht mehr passend findet der Bildungsminister beispielsweise, dass Lehrer von Abschlussklassen während der rund zweimonatigen Examensphase für Unterrichtsstunden bezahlt werden, die nicht stattfinden.
Nicht mehr passend findet Meisch auch, dass Überstunden während der ein- bzw. zweiwöchigen Ferienzeit bezahlt werden, obschon sie nicht geleistet werden. Hier ließe sich sparen, doch alle Vorschläge prallten an den Lehrern ab.
Meisch jedoch hält beharrlich am Sparbeitrag der Lehrer fest. Man findet ihn unter der Bezeichnung „Modification de la tâche des enseignants“ im Zukunftspaket. Neun Millionen Euro will die Regierung auf diese Weise bis 2018 einsparen. Durch eine Reorganisation der Ressourcen will Meisch zudem Posten einsparen, die dann aber wieder dem Bildungssystem zugutekommen sollen. Das klingt vernünftig, doch irgendwie kommt die frohe Botschaft bei den Lehrern nicht an. Sie fühlen sich ungerecht behandelt und sehen nicht ein, warum gerade von ihnen gesonderte Opfer verlangt werden.
Die Gewerkschaften haben alternative Sparvorschläge auf den Tisch gelegt, mit denen man, wie sie meinen, die Sparziele auch ohne Änderungen an der Lehrer-Tâche erreichen kann. Sie werfen dem Minister vor, aus rein ideologischen Gründen an der „Modification de la tâche“ festzuhalten.
Symbolischer Beitrag
Meisch selbst sprach zuletzt von einem symbolischen Beitrag der Lehrer. Angesichts der mehr als angespannten Lage drängt sich demnach die Frage auf: Ist der mit neun Millionen Euro vergleichsweise geringe Sparbetrag den ganzen Ärger und einen sich anbahnenden Streik wert? Mit jedem Tag, den der Streit andauert, verhärten sich die Fronten ein Stück weit mehr. Das Bildungswesen droht wegen eines symbolischen Beitrags im Stillstand stecken zu bleiben.
Claude Meisch hat sich viel vorgenommen in seinem Superministerium, doch er riskiert, bis Ende der Legislaturperiode ohne nennenswertes Ergebnis dazustehen. Auch im Fondamental stehen die Zeichen auf Sturm. Hier will der Minister mittels eines neuen Stundenplans die Ressourcen reorganisieren und neu verteilen. Zudem will er die Autonomie bei der Wahl der Unterrichtsmaterialien einschränken und die Kompetenzen der Schulkomiteepräsidenten erweitern. Alles Dinge, die nach weiterem Ärger riechen und für die nicht sehr viel Zeit bleibt, wenn sie noch vor den nächsten Wahlen umgesetzt werden sollen.
Modernisierungswut
Blau-Rot-Grün ist angetreten, um das Land zu modernisieren, doch was hat die Reformwut der Regierung bis jetzt gebracht? Ein dreifaches Nein beim Referendum und eine Blockade in der Bildungspolitik. Nach nicht einmal zwei Jahren Amtszeit steht der Regierung ein erster Streik ins Haus.
Auch, wenn man Meischs Vorstoß, mit Privilegien aufzuräumen, nachvollziehen kann, und ihm gerne abkauft, dass er das Bildungssystem auf Vordermann bringen möchte, selbst wenn er mit seiner Vision eines modernen Bildungssystems richtig liegen sollte, bleibt die Tatsache, dass man ein Land nicht an den Menschen vorbei modernisieren kann. Man kann nicht erwarten, dass sie tatenlos zusehen, wenn man ihnen etwas wegnimmt, was ihnen lieb und teuer ist und von dem sie, zu Recht oder zu Unrecht denken, dass es ihnen zusteht, seien es Privilegien oder Überzeugungen. In diesem Sinne muss Bildungsminister Meisch sich fragen, ob es klug war, seine Amtszeit mit Sparforderungen zu beginnen, zumal es sich auch noch um einen symbolischen Beitrag handelt, der nun ein Fiasko im gesamten Bildungswesen zur Folge hat.
Der Einfluss der Lehrerkomitees
Eigentlich hätte Claude Meisch aus den Erfahrungen seiner Vorgängerin lernen müssen. Sie war es, die den Lehrerkomitees die Tür geöffnet und ihnen zu der Machtposition verholfen hat, die sie heute haben. Das Nein zum Sparpaket kommt weniger aus dem gewerkschaftlichen als vielmehr aus dem Lager der Lehrerkomitees, die sich von Anfang an gegen jegliche Einschnitte bei der Tâche gewehrt haben.
Somit hat Claude Meisch recht, wenn er sagt, er brauche starke, verhandlungsfähige Gewerkschaften, die in der Lage sind, Verhandlungsergebnisse auch umzusetzen. Die 180-Grad-Wende der Gewerkschaften – wohl auf Druck der Lehrerkomitees, die sich bereits vor der Abstimmung in den Schulen mehrheitlich für ein Nein ausgesprochen hatten – aber zeugt nicht gerade von Geradlinigkeit und Mut, zumal einer der Gewerkschaftspräsidenten im RTL-Interview noch beteuert hatte, man werde die Lehrer in aller Neutralität über den Vorschlag informieren.
Die Gewerkschaften haben dem Minister ein Ultimatum gestellt. Entweder zieht er sein Sparpaket bis September zurück, oder es kommt zum Streik. „In diesem Fall sind wir alle Verlierer“, hatte Féduse-Präsident Camille Weyrich vor einigen Tagen dieser Zeitung gesagt. Verlierer auf der ganzen Linie. Wegen neun Millionen Euro.
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