Nancy Arendt: „Doch, Petitionen bewirken immer etwas“
Nancy Arendt: „Doch, Petitionen bewirken immer etwas“
Sie ist berechtigt, die Frage nach dem Sinn und vor allem dem Einfluss von Petitionen. Immerhin 1.655 Unterstützer fand etwa jene, die einen freien Tag am eigenen Geburtstag forderte. Für eine öffentliche Anhörung reichte es nicht. Dazu sind 4.500 Unterschriften nötig. So oder so wären Folgen wohl ausgeblieben. Warum also wird die Petition überhaupt zugelassen?
Wenn alle Bedingungen erfüllt sind, müssen wir die Petition zulassen, egal wie gut sie uns gefällt.
Nancy Arendt, Präsidentin der Petitionskommission
Nancy Arendt, die Präsidentin der Petitionskommission, lacht über dieses Beispiel und gibt zu, längst nicht von jeder Idee begeistert zu sein. „Das ist nicht unsere Aufgabe, genauso wenig wie zu beurteilen, ob am Ende etwas dabei herauskommt oder nicht. Wir betrachten jedes Anliegen aus einem neutralen Blickwinkel“, erklärt sie. Richtlinien gibt es natürlich: Die Forderung darf weder diskriminierend noch rassistisch motiviert sein, und sie muss ein nationales Interesse haben. Auch darf keine Falschbehauptung enthalten sein. „Wenn alle Bedingungen erfüllt sind, müssen wir die Petition zulassen, egal wie gut sie uns gefällt.“
Spiegelbild der Sorgen der Bürger
Dass Petitionen – die CSV-Politikerin spricht vom „Puls des Volkes“ - gelegentlich ins Lächerliche gezogen werden, ärgert sie. „Wenn man sich die ganze Bandbreite an Petitionen anschaut und vor allem jene, die die nötige Unterstützung erfahren, sieht man, dass der gesunde Menschenverstand in Luxemburg doch noch funktioniert“, zeigt sie sich erleichtert. Letztlich seien die Petitionen ein Spiegelbild der Sorgen der Bürger.
„Manchmal kann man sogar von einem Hilfeschrei reden. Da geht es teils um ganz dramatische Themen“. Nancy Arendt erinnert an die Mutter eines an Krebs erkrankten Kindes. „Durch die Debatte kam ans Licht, dass Luxemburg internationale Standards nicht erfüllt, dass lediglich ein Krankenhausbett für betroffene Kinder zur Verfügung steht, und nur zwei Ärzte, von denen auch noch einer von der Fondation Cancer bezahlt wird. Ohne diese Petition hätten wir das nie erfahren. So aber war die Gesundheitsministerin gezwungen, zu handeln.“
Manchmal kann man sogar von einem Hilfeschrei reden. Da geht es teils um ganz dramatische Themen.
Politischer Wille als Voraussetzung
Der Petitionsausschuss sei letzten Endes aber nicht verantwortlich für das Ergebnis. „Wir geben den Bürgern eine Plattform für ihre Forderungen. Wenn die Petition die erforderliche Unterschriftenzahl erreicht, wird eine Debatte organisiert. Ob etwas dabei herauskommt, liegt außerhalb unserer Verantwortung. Ist dies von der Regierung gewollt, wird ein politischer Prozess gestartet“, erklärt sie.
Gesundheitsthemen führen die Liste der Inhalte an, die im vergangenen Jahr im Mittelpunkt standen. Mehrfach wurde der Fokus auch auf die Kinder gerichtet, so etwa bei der Forderung nach einer Ausdehnung des Elternurlaubs. 2022 hätten viele Bittschriften zudem in Zusammenhang mit finanziellen Sorgen gestanden. Manche Themen würden sie sehr berühren, gesteht die Ausschussvorsitzende. „Diese Menschen kämpfen für etwas, womit sie jeden Tag konfrontiert sind. Es ist unsere Pflicht als Politiker, ihnen zuzuhören.“
Petitionen sorgen für Druck auf den Minister. Eine öffentliche Debatte bleibt nie ohne Folgen.
Die Anhörung der Petition „Überarbeitung des Sexualstrafrechts in Luxemburg“ im Mai habe eine Enttabuisierung des Themas bewirkt. „Endlich wurde richtig darüber geredet“, so Nancy Arendt. Besonders über die Bewährungsstrafe sei seither viel diskutiert worden. Auch sei festgehalten worden, eine zentrale Anlaufstelle für Opfer von sexuellem Missbrauch zu schaffen. „Zu derart wichtigen Diskussionen kommt es aufgrund von Petitionen“, unterstreicht sie und spricht deshalb von einem „extrem wichtigen Medium“. „Petitionen sorgen für Druck. Eine öffentliche Debatte bleibt nie ohne Folgen, und sei es nur, dass auf etwas aufmerksam gemacht wird, was uns überhaupt nicht bewusst war und dadurch dann ein Stein ins Rollen kommt.“
Meinungen von Impfskeptikern zulassen
Mit „Schnapsideen“ müsse man sich auch beschäftigen. Über manches könne man nur den Kopf schütteln. Während der Pandemie sei dies häufiger der Fall gewesen, berichtet die Politikerin. In gewisser Weise könne sie in diesem Kontext nachvollziehen, dass der Nutzen von Petitionen und Anhörungen infrage gestellt wurde. „Wenn sowohl die Majorität als auch der größte Teil der Opposition sich einig über Entscheidungen sind, ist es natürlich schwierig, das Gegenteil zu bewirken. Dennoch ist es wichtig, auch Menschen zuzuhören, die anderer Meinung sind, so etwa einem Luc Montagnier, und sich der Kritik zu stellen. Es musste besser über die Vorteile der Impfung und den Sinn der Einschränkungen aufgeklärt werden“, erläutert Nancy Arendt das Fazit dieser Debatten. Bei derart heiklen Dossiers sei vorhersehbar, dass Maßnahmen nicht aufgrund einer Petition wieder gekippt würden.
Wir hatten bereits eine Menge Petitionen, die zu einem Erfolg geführt haben, auch wenn dieser nicht gleich tags darauf sichtbar war.
Das System an sich dürfe man deshalb aber nicht anzweifeln. „Wir hatten bereits eine Menge Petitionen, die zu einem Erfolg geführt haben, auch wenn dieser nicht gleich tags darauf sichtbar war. Das liegt am politischen Prozess. So nahm Luxemburg etwa eine Vorreiterrolle in Sachen Tiertransportverbot ein - ein Jahr nach der Petition“, ruft sie in Erinnerung.
Positive Effekte durch Aufmerksamkeit
Bei der Anhörung zur Petition „Nein zur Reform der Erzieher-Ausbildung“ habe sich herausgestellt, dass der Bildungsminister im Vorfeld kein einziges Gespräch mit den Vereinigungen der Erzieher geführt hatte. „Danach kam es zum Dialog und es konnte sogar eine Übereinkunft gefunden werden. Ohne den Druck auf den Minister durch die Petition wäre das nicht passiert“, ist sich Nancy Arendt sicher.
Manchmal würden Minister sogar noch vor der Anhörung Kehrtwenden vollziehen. Dies sei etwa der Fall bei der Petition gewesen, die sich gegen die Privatisierung im Bildungswesen aussprach. Kurz vor der Debatte wurde das Gesetzesprojekt zurückgezogen. Gleiches gilt für die Reform des Adapto-Dienstes.
Eine Diskussion hat die Ausschussvorsitzende besonders bewegt: „Die Petition, die sich für zwei Tage Arbeitsdispens für Frauen während ihrer Monatsblutung einsetzte, wurde kontrovers diskutiert und auch belächelt. Den beiden Petitionärinnen ging es in erster Linie um Verständnis und Respekt. Immerhin leiden über 70 Prozent der Frauen während ihrer Periode.“ Auch dieses Hearing hatte positive Effekte. So sei entschieden worden, in den Schulen Automaten mit kostenlosen Hygieneartikeln aufzustellen und eine Sensibilisierungskampagne in der Arbeitswelt zu starten.
„Auch wenn vielleicht nicht alles eins zu eins umgesetzt wird, passiert eigentlich nie überhaupt nichts“, bekräftigt sie. Dies treffe auch auf die Petition mit den bisher meisten Unterschriften zu: 18.645 Menschen waren für „E Referendum iwwert ons Verfassungsreform“. „Dazu kam es nicht, dafür wurde aber eine Informationskampagne in drei Sprachen gestartet, um jeden Haushalt über die Hauptpunkte der Verfassung und die geplanten Änderungen aufzuklären.“
Wahres Gesicht hinter verschlossenen Türen
Nancy Arendt plädiert derweil dafür, die abschließende Diskussion, bei der die Schlüsse gezogen werden, ebenfalls öffentlich zu halten, um zu verhindern, „dass dem Petitionär erst beigepflichtet und dann hinter verschlossenen Türen ein anderes Gesicht gezeigt wird. Für mich würde das der Debatte eine größere Ehrlichkeit bringen“. Als Beispiel nennt sie die Petition, die eine Unterstützung für Eltern forderte, deren Kinder nicht in die Maison relais gehen. „Während der Debatte wurde die Frage aufgeworfen, wie viele Kinder zu Hause essen und was das die Eltern kostet, um einen Vergleich anzustellen. Als später ,à huis clos‘ die Schlüsse gezogen wurden, fehlte der Wille, das auszurechnen, dann doch.“
Je näher die Wahlen rücken, desto weniger wird wohl bei solchen Anhörungen herauskommen.
Eine ähnliche Petition, die eine Ausgleichszahlung fordert und in wenigen Tagen ausläuft, wird das Quorum aller Voraussicht nach erreichen. Auch sie könnte wiederum am politischen Willen scheitern, befürchtet die Ausschussvorsitzende. „Je näher die Wahlen rücken, desto weniger wird wohl bei solchen Anhörungen herauskommen und umso politischer werden sie noch dazu“, vermutet sie. Immerhin würden in Petitionen oft Ideen aufgeworfen, die nicht im Sinne der Majorität seien.
Umsetzung von Petitionen wird bewertet
Nach einer gewissen Zeit unterzieht der zuständige Ausschuss die erfolgreichen Petitionen übrigens einer Analyse. „Wir überprüfen, ob die Versprechen der Minister eingehalten wurden, wenn nicht, haken wir nach. Aber noch einmal: Man kann nicht erwarten, dass das von jetzt auf gleich erledigt ist, vor allem wenn es einen legislativen Prozess erfordert. Das kann dann schon mal zwei, drei Jahre dauern.“ Welche Bilanz zieht sie diesbezüglich? „Eine extrem positive. Fast alles, was wir bisher überprüft haben, wurde umgesetzt. Das verschwindet also nicht irgendwo in der Schublade“, so Nancy Arendt.
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