Menschenrechtler fordern Nachbesserungen beim Covid-Gesetz
Menschenrechtler fordern Nachbesserungen beim Covid-Gesetz
Die Regierung steht mit den Covid-Gesetzen extrem unter Zeitdruck. Sie müssen am 24. Juni in Kraft sein, wenn der Etat de crise endet. Wenn es schnell gehen muss, leidet oft die Sorgfalt. Entsprechend kritisch fallen manche Gutachten zu den Gesetzen aus. Die beratende Menschenrechtskommission hat am Mittwoch ihr Gutachten zum Gesetzesprojekt 7606 vorgestellt. Und das fällt alles in allem kritisch aus.
Gesetz aus vielen Puzzlestücken
"Wir sind nicht zufrieden", sagte der Vorsitzende der Commission consultative des droits de l'homme (CCDH), Gilbert Pregno, am Mittwoch bei einer Pressekonferenz. "Das Ziel wird nicht erfüllt. Dem Gesetzestext fehlt es an Präzision. Er gibt keine Rechtssicherheit, viele Maßnahmen sind unverhältnismäßig und es ist unklar, wie sie später umgesetzt werden sollen", so Pregno. Pregno spricht von einem Gesetz, das aus einzelnen Puzzlestücken zusammengesetzt scheint, wobei die Puzzlestücke die großherzoglichen Verordnungen der vergangenen Wochen sind. Hinzu kommt ein Stück aus einem anderen Puzzle: Das Gesetz aus dem Jahr 1980, das die Zwangseinweisung in ein Krankenhaus ermöglicht. "Was fehlt, ist ein Gesamtbild", so Pregno.
Zwangseinweisung
Die Zwangshospitalisation (Artikel 7 im Gesetz) sehen die Menschenrechtler ganz besonders kritisch. Sie ist vorgesehen, wenn eine Person infiziert ist, eine Gefahr für andere darstellt, aber nicht in Quarantäne gehen will. In dem Fall kann der Direktor der Santé den Staatsanwalt anweisen, die Person zwangsweise in ein Krankenhaus einzuweisen. "Diese Maßnahme kommt einem Freiheitsentzug gleich und bedeutet einen tiefen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen", sagte der Jurist der Menschenrechtskommission, Max Mousel.
Vertrauen statt Zwang
Auch wenn eine solche Maßnahme unter sehr limitierten Bedingungen aus Menschenrechtssicht möglich sei, gehe diese Maßnahme dann doch sehr weit, so Mousel. Besser wäre, wenn man auf das Vertrauen, das Verantwortungsbewusstsein und die Kollaboration der Bevölkerung setzen würde. Man müsse sich prinzipiell fragen, "ob diese Maßnahme überhaupt erwünscht ist und ob sie eine verhältnismäßige Antwort auf ein tatsächliches Problem ist". Die CCDH appelliert an die Regierung, sich das genau zu überlegen und eine transparente und partizipative Debatte über diese Frage zu führen.
Sollte die Regierung an der Zwangseinweisung festhalten, brauche die Maßnahme - um menschenrechtskonform zu sein - einen klaren gesetzlichen Rahmen, "sie muss ein legitimes Ziel verfolgen, sie muss verhältnismäßig und auf das Nötigste beschränkt sein", so Mousel. Wie die Maßnahme sich im Gesetzentwurf darstellt, ist sie für die Menschenrechtler inakzeptabel.
Gesetz von 1980
Luxemburg hat seit 1980 ein Gesetz, das die Zwangseinweisung von Menschen mit einer ansteckenden Krankheit in ein Krankenhaus erlaubt. "Unseren Informationen zufolge wurde während dem Etat de crise auch darauf zurückgegriffen", sagte Mousel. Allerdings findet sich darüber keine Information im Gesetzentwurf. Die CCDH fordert die Regierung auf, Zahlen zu veröffentlichen, die zeigen, wie oft in den vergangenen 40 Jahren "und ganz besonders während dem Etat de crise auf die Zwangshospitalisation auf Basis dieses Gesetzes zurückgegriffen wurde", so der Jurist der CCDH.
Geschlossene Psychiatrie kommt nicht infrage
Die CCDH fordert auch klarere Angaben zu den Strukturen, in die Menschen eingewiesen werden können. Eine Einweisung in eine geschlossene Psychiatrie kommt für die CCDH unter keinen Umständen infrage. Des Weiteren fehlen die Bedingungen, unter denen eine Zwangseinweisung verordnet beziehungsweise nicht verordnet werden darf. Im Gesetzentwurf wird als einziger Grund der Begriff "danger pour la santé ou la sécurité d'autrui" angeführt, was der CCDH viel zu vage ist. Es gibt keine Altersgrenze, bemängelt Mousel. Theoretisch können also auch Kinder, Eltern von Kindern, Sterbende oder Opfer von häuslicher Gewalt, die in einem Heim leben, zwangseingewiesen werden, so die Kritik der CCDH. "Unserer Auffassung nach muss unbedingt die persönliche Situation jeder einzelnen Person berücksichtigt werden, um zu verhindern, dass die Zwangseinweisung den Betroffenen und deren Umfeld größeren Schaden zufügt als die Infektion selbst", so Mousel.
Auch sollte die Entscheidung nicht allein dem Direktor der Santé, sondern von einem Komitee mit Experten aus verschiedenen Bereichen getroffen werden. Positiv sei, dass das Bezirksgericht die Rechtfertigung der Maßnahme überprüfen muss und dass die Betroffenen gegen die Entscheidung des Richters in Berufung gehen können. Nur bei den Fristen sehen die Menschenrechtler noch Verbesserungsbedarf.
Viel Interpretationsspielraum
Ansonsten war es die Kritik, dass der allgemeine gesetzliche Rahmen der Regierung viel Spielraum für Interpretationen biete. Hier müsse unbedingt nachgebessert werden. Ganz allgemein fordert die CCDH, dass alle Entscheidungen auf wissenschaftlich fundierten Daten basieren müssen "und diese Daten müssen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden", so Max Mousel. "Transparenz ist wichtig, damit die Menschen Vertrauen in die Maßnahmen haben und damit sie ihre Rechte ausüben beziehungsweise gegen Maßnahmen vorgehen können, wenn sie nicht damit einverstanden sind."
Positiv sei, dass die Demonstrationsfreiheit nicht eingeschränkt wird. Das müsse auch so bleiben, wenn die Lage sich erneut zuspitzen sollte, "wenn nötig unter Einbeziehung zusätzlicher sanitärer Maßnahmen", so der CCDH-Jurist. Wer gegen die Maskenpflicht verstößt, riskiert eine Geldstrafe. Diesbezüglich fordert die CCDH einen flexiblen Umgang bei Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen können, zum Beispiel Personen mit Atemproblemen.
Quarantänemaßnahmen
Anamarija Tunjic, ebenfalls Juristin, befasste sich mit Artikel 6 des Gesetzestextes zu den Quarantänemaßnahmen. "Diese Maßnahmen schränken die Grundrechte der Bürger stark ein und können einen negativen Impakt auf andere Grundrechte haben, wie zum Beispiel das Recht auf ein normales Familienleben. Diese Maßnahmen müssen verhältnismäßig und angemessen sein", so Tunjic. Aus Menschenrechtssicht sind solche Maßnahmen möglich, "allerdings müssen vorab weniger einschneidende Maßnahmen in Betracht gezogen werden", so Tunjic. Werden die Maßnahmen dennoch ergriffen, müssen sie aus Sicht der Menschenrechtler begründet werden. Dazu finde man aber keine Informationen im Gesetzestext.
Um gegen Missbrauch vorzugehen, das heißt, damit Menschen nicht zu Unrecht unter Verdacht geraten, infiziert zu sein, schlägt die CCDH vor, Tests durchzuführen, "um eine ungerechtfertigte Quarantäne zu verhindern". Wichtig sei auch, beim Ausgehverbot Ausnahmen vorzusehen, zum Beispiel dringende Arztbesuche oder familiäre Notfälle wie häusliche Gewalt.
Die CCDH fordert die Regierung explizit auf, klare Angaben zu den Strukturen zu machen, in die Menschen, die nicht zu Hause in Quarantäne bleiben können, untergebracht werden.
Folgen Sie uns auf Facebook, Twitter und Instagram und abonnieren Sie unseren Newsletter.
Als Abonnent wissen Sie mehr
In der heutigen schnelllebigen Zeit besteht ein großer Bedarf an zuverlässigen Informationen. Fakten, keine Gerüchte, zugänglich und klar formuliert. Unsere Journalisten halten Sie über die neuesten Nachrichten auf dem Laufenden, stellen politischen Entscheidern kritische Fragen und liefern Ihnen relevante Hintergrundgeschichten.
Als Abonnent haben Sie vollen Zugriff auf alle unsere Artikel, Analysen und Videos. Wählen Sie jetzt das Angebot, das zu Ihnen passt.
