Kinder und Jugendliche: Den Reformen fehlt es an Präzision
Kinder und Jugendliche: Den Reformen fehlt es an Präzision
Nach 30 Jahren Diskussion, dringendem Reformbedarf und mehreren Anläufen legte die Regierung vor einem Jahr gleich drei Gesetze zum Schutz Minderjähriger vor: ein Jugendschutzgesetz, ein Jugendstrafgesetz und das Gesetz zu den Rechten von Minderjährigen in der Strafprozessordnung, die Opfer oder Zeugen sind. Am Freitag legten die Vertreter der Commission consultative des Droits de l'Homme (CCDH) ihre Gutachten vor - das zum Jugendstrafrecht folgt in zwei, drei Wochen, da das Gesetz von der Regierung noch substanziell abgeändert wurde.
Warum sind die drei Gesetze so wichtig?
CCDH-Präsident Gilbert Pregno spricht von einem „Lichtblick“ und einem „richtigen Paradigmenwechsel“, mit dem endlich der UN-Kinderrechtskonvention, die Luxemburg vor 30 Jahren unterzeichnete, Rechnung getragen wird. Denn Kinder und Jugendliche haben Rechte, wie beispielsweise das auf Rechtsbeistand, das Recht, in einem Verfahren gehört zu werden, das Recht auf Vertrauensschutz, das Recht, Kontakt mit seinen Eltern zu haben, und sie dürfen nicht nur Subjekte autoritärer staatlicher Maßnahmen sein.
Luxemburg ist auch weltweit das fast einzige Land, das noch immer nicht zwischen Jugendschutz und Jugendstrafrecht trennt. „Die Widerstände aus der Magistratur waren groß. Sie hielten lange an der Meinung fest, dass Eltern den Schockzustand brauchen, dass man ihnen das Sorgerecht für das Kind wegnimmt“, bedauert Pregno. „Aber auch in den Heimen herrscht bis heute oft die Einstellung vor, dass die Eltern ihre Feinde sind.“
Worum geht es beim Jugendschutz?
Er betrifft Kinder, denen es nicht gut geht - geschlagene und vernachlässigte Kinder, solche ohne adäquate Erziehung, was schwere Folgen haben kann. „Wir haben immer mehr solcher Kinder und immer gravierendere Fälle“, stellte Pregno fest. „Wir haben auch übermäßig viele Hilfsstrukturen, aber eine Studie zeigt, dass im Schnitt zehn Monate vom Vorfall bis zur ersten Hilfsmaßnahme vergehen.“ Künftig müssen nun grundsätzlich die Kinder einbezogen und angehört werden und ihr Recht darauf, Kontakt mit ihren Eltern zu haben, wird respektiert. Die Eltern behalten auch ein Mitspracherecht, nachdem ein Kind platziert wird.
Was macht künftig das Office National de l'Enfance (ONE)?
Das ONE wird zentraler Akteur im Bereich der präventiven Hilfestellung für Kinder, Jugendliche und Familien. Die Staatsanwaltschaft und der Service central d'assistance sociale (SCAS) werden gar nicht mehr intervenieren. Es kann aber auch die gerichtliche Prozedur initiieren und ist verantwortlich, die gerichtlichen Anordnungen umzusetzen. Für die CCDH ist es insofern „nicht überraschend, dass die Konzentration breiter Kompetenzen in der Hand einer einzigen Organisation skeptisch gesehen wird“, stellt die CCDH-Juristin Anamarija Tunjic fest. Die Umsetzung müsse gut abgesprochen werden, nicht zuletzt, weil der neue Ansatz der engeren Einbindung von Kindern und Eltern die bisherige Praxis stark verändert.
Was sieht die CCDH die Reform?
Die CCDH begrüßt die Reform, mahnt aber auch an, dass sie präzise und kohärent sein soll. Die Regierung soll sich stärker an internationalen Standards zu Kinderrechten orientieren und weniger an Meinungen einzelner Akteure, deren Berücksichtigung teils zu Widersprüchen führe. Eine umfassende Betreuung des Kindes auf allen Ebenen müsse ermöglicht werden.
Dafür braucht es einen korrekten Informationsaustausch und eine gute Kommunikation, Zusammenarbeit und Koordination zwischen allen Akteuren, die die Gesetze umsetzen müssen. Es sollen Weiterbildungen stattfinden und dem ONE sollen die nötigen Personalressourcen und Mittel zur Verfügung gestellt und Erhebungen durchgeführt werden. „Es gibt nicht genug Statistiken, und diese Tatsache kommt im Gesetz wieder zu kurz“, moniert die CCDH-Juristin Anamarija Tunjic. Das ONE müsse zudem regelmäßig extern evaluiert werden.
Was fordert die CCDH für die Prozeduren?
Die Hilfs- und Schutzmaßnahmen sollten vorrangig freiwillig beantragt und nur in Ausnahmefällen durch die Justiz angeordnet werden. Diese Priorisierung sollte gesetzlich festgeschrieben werden. Hilfen können von Jugendlichen ab 14 und bis zum Alter von 25 beziehungsweise 27 Jahren beantragt werden, die Hürden dafür seien jedoch zu hoch. Es sollte keine minimale Altersgrenze gelten, sondern die Anfragen flexibel und nach Bedarf bearbeitet werden.
Des Weiteren soll eine Prozedur vorgesehen werden, die schnell funktioniere, wenn Eltern die Umsetzung einer von einem Kind beantragten Maßnahme verweigern. „Die Interessen der Eltern dürfen nicht über den Bedürfnissen des Kindes stehen“, betont Tunjic. Gut sei, dass die Verfahrensrechte der Kinder verankert wurden. Letztere müssen allerdings darüber informiert und ihnen diese Rechte verständlich kommuniziert werden.
Was fordert die Menschenrechtskommission für die Gerichtsverfahren?
Die CCDH wünscht sich ein spezielles Kapitel zu den Rechten der minderjährigen Jugendlichen und ihrer Familien. Das gibt es bei den freiwilligen Prozeduren, fehle aber bei der gerichtlichen Prozedur. Zudem fehlten Rechte, die auf internationaler sehr wohl existierten, wie das Recht auf Übersetzung und Information.
Zu begrüßen sei, dass der Beistand durch einen Anwalt für jeden Minderjährigen ab sechs Jahren künftig obligatorisch sei. Allerdings sollte ein Kind seinen Anwalt frei wählen können, und es sollten auf Kinderrechte spezialisierte, erfahrene und psychologisch geschulte Anwälte zum Einsatz kommen. Zudem sollte die Altersgrenze flexibel vom Richter gehandhabt werden. Müssen Kinder ihren Eltern entzogen werden, sollte die Polizei nur noch in Ausnahmefällen anwesend sein.
Warum ist die Pflicht zur Anzeige beunruhigender Informationen problematisch?
Das Gesetz sieht eine Prozedur vor, die es jedem erlaubt, schnell sogenannte „beunruhigende Informationen“ zu melden, also Verdachtsmomente für eine Kindeswohlgefährdung. Dafür wird beim ONE eine Cellule de Receuil d’informations préoccupantes eingerichtet (CRIP), die eine Alternative zum sogenannten Signalement bei der Staatsanwaltschaft und dem Gericht bieten soll, der nach Einschätzung der CCDH aber nicht gut funktioniert.
Dieser Text sei an dieser Stelle nicht klar genug, moniert Tunjic, vor allem wenn es um die Informationen geht, die diese Zelle benötige, um sich ein Bild der Gefahr machen zu können. Die Menschenrechtskommission befürchtet zudem, dass Informanten sich durch die eng gefasste Verpflichtung dazu gedrängt fühlen könnten, sich mit denselben Fakten zusätzlich an die Staatsanwaltschaft wenden zu müssen. Dies, um nicht hinterher dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, die Verpflichtung zur Denunziation verletzt zu haben, wie sie im Gesetz zu Minderjährigen, die Opfer oder Zeuge sind, steht. Das Verhältnis dieser Vorschriften zueinander müsse geklärt werden.
Wie ist die Kritik am Gesetz zu minderjährigen Opfern und Zeugen?
CCDH-Jurist Max Mousel spricht von einem Schritt in die richtige Richtung, es müsse aber stellenweise nachgebessert werden. Es widerspreche anderen Vorschriften und sei nicht präzise genug. „Die Leute melden vielleicht Sachen, die nicht strafbar sind“, befürchtet Mousel. Es könnte zudem zu Vertrauensbrüchen führen, wenn Psychologen beispielsweise mit vertraulichen Informationen zu den Autoritäten gehen. Es müsse eine Prozedur ausgearbeitet werden, um das individuelle Recht des Kindes besser zu schützen und eine Anlaufstelle geschaffen werden, in der alle Hilfsstrukturen für Kinder vertreten sind.
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