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Fahrplan in die politische Moderne
Politik 4 Min. 15.08.2014 Aus unserem online-Archiv
Verfassungsreform und Referendum

Fahrplan in die politische Moderne

Das Volk soll sich per Referendum zu wichtigen Themen wie etwa dem Ausländerwahlrecht äußern dürfen; ob die Meinung des Volkes dann auch 
Einzug in den definitiven Verfassungstext erhält, ist noch lange nicht ausgemacht.
Verfassungsreform und Referendum

Fahrplan in die politische Moderne

Das Volk soll sich per Referendum zu wichtigen Themen wie etwa dem Ausländerwahlrecht äußern dürfen; ob die Meinung des Volkes dann auch 
Einzug in den definitiven Verfassungstext erhält, ist noch lange nicht ausgemacht.
Shutterstock
Politik 4 Min. 15.08.2014 Aus unserem online-Archiv
Verfassungsreform und Referendum

Fahrplan in die politische Moderne

Seit über fünf Jahren arbeiten die Parteien an einer neuen Verfassung. Nächstes Jahr soll das Volk dazu befragt werden. Das Ergebnis fließt in den Verfassungstext ein. Bis es zur Verabschiedung kommt, kann es allerdings noch dauern.

(CBu) - Seit 1948 ist Luxemburg laut seiner Verfassung eine parlamentarische Demokratie. Seitdem wurde das Grundgesetz oft reformiert, allerdings noch auf der Basis des Textes, der aus dem Jahre 1868 stammt. Nach einer Vielzahl von einzelnen „Reförmchen“ war in der politischen Klasse die Idee einer grundlegenden Neugestaltung der Verfassung gereift. Seit den 1990er-Jahren wird darüber gesprochen, seit 2004 auch ganz konkret daran gearbeitet. Erst nach der „institutionellen Krise“ von 2008, als der Großherzog sich weigerte, das Euthanasie-Gesetz zu unterzeichnen und infolgedessen in seiner konstitutionellen Macht beschnitten wurde, wurden die Stimmen nach einer Beschleunigung des Prozesses lauter.

Seitdem arbeiten die Abgeordneten in der für Verfassungsfragen zuständigen Kommission an einer „Refonte“ der Verfassung. Das Ziel sei die „Modernisierung“ der Verfassung im Sinne der „ersten grundlegenden Reform seit 1868“. Wortführer der Reformatoren war zunächst der Vorsitzende der Kommission und anerkannte Verfassungsexperte Paul-Henri Meyers (CSV).

Das Volk als Schiedsrichter

Nach dem Regierungswechsel im Oktober übernahm Alex Bodry (LSAP) den Vorsitz und setzte die Arbeit seines Vorgängers in weitgehender sachlicher und überparteilicher Kontinuität fort. „Bei über 90 Prozent des Textes“ sei man sich ohnehin bereits einig, sagt Bodry. Was die übrigen zehn Prozent betrifft, will man in den kommenden Jahren, spätestens bis zum Ende der Legislaturperiode 2018, Vollzug vermelden.

Bis es soweit ist, gilt es allerdings noch einige Hürden zu nehmen. So steht einer zügigen Einigung im Parlament und anschließenden Verabschiedung noch die Herausforderung Referendum im Weg. Zu vier fundamentalen und verfassungsmäßig relevanten Fragen will die neue Koalition das Volk befragen: aktives Wahlrecht für Ausländer, aktives Wahlrecht ab 16, Limitierung der Ministermandate und die Finanzierung der Glaubensgemeinschaften. Laut Bodry geht es dabei um die Klärung von zentralen Streitfragen, bei denen sich die Parteien in der Vergangenheit nicht einigen konnten. Das Volk soll also gewissermaßen als „Schiedsrichter“ fungieren. Die Koalition betont dabei, dass das Ergebnis der (rechtlich) eigentlich nur konsultativen Abstimmung für sie in jedem Fall (politisch) bindend sein wird.

Egal wie die Abstimmung zu den Sachfragen, die für das erste Halbjahr 2015 geplant ist, ausgehen wird, ist damit das letzte Wort aber noch nicht gesprochen. Denn für eine Verfassungsreform benötigt man im Parlament, egal wie, eine Zweidrittelmehrheit, über die Blau-Rot-Grün bekanntlich alleine nicht verfügt. Es ist dies auch ein weiterer Beweggrund der Koalition: durch eine erhoffte Bestätigung ihrer Position etwa in Sachen Ausländerwahlrecht die CSV mit Verweis auf die „Meinung des Volkes“ zu einer Zustimmung im Parlament zu drängen.

Die Rolle des Großherzogs in einer modernen parlamentarischen Demokratie bleibt eine bedeutende und potenziell heikle Frage.
Die Rolle des Großherzogs in einer modernen parlamentarischen Demokratie bleibt eine bedeutende und potenziell heikle Frage.
Marc Wilwert

Ambitionierter Zeitplan

Die größte Oppositionspartei hält bisher dagegen, dass ein konsultatives Referendum die Politik nicht unbedingt bindet. Was wäre zum Beispiel, wenn sich eine hauchdünne Mehrheit von 50,1 Prozent für das Ausländerwahlrecht entscheidet? Hinzu kommt die Gefahr, das Land durch diese Prozedur nachhaltig zu spalten, so die CSV-Position. Ebenso fragen sich die CSV-Mitglieder in der Verfassungskommission, warum man gerade über die festgelegten Fragen abstimmt und nicht auch über andere. Dass die im Regierungsprogramm enthaltene Liste noch nicht komplett sei, hatte Justizminister Felix Braz bereits Anfang des Jahres im Interview mit dieser Zeitung klargestellt.

Für den weiteren Zeitplan bedeutet dies: Die Mehrheitsparteien müssten bis Ende des Jahres den Katalog mit Fragen, die dem Volk unterbreitet werden sollen, fertigstellen, damit das Referendum nach Plan noch im ersten Halbjahr 2015 stattfinden kann. Davor wollen Regierung und Parlament aber auch noch Informations- und Diskussionsveranstaltungen, sogenannte „Bürgerforen“, zur Herstellung einer breiten öffentlichen Debatte über die bei der Volksabstimmung gestellten Fragen organisieren.

Nach dem Referendum über die Sachfragen bräuchte man wiederum einige Monate, um die noch strittigen Fragen der Verfassungsreform zu klären. Dann kommt auch noch der Staatsrat ins Spiel. Und dann soll am Schluss der ganzen Prozedur erst das definitive und dann verbindliche Referendum über die gesamte Reform stattfinden (bisheriger Zeitplan: 2016). Falls das Volk sein O.K. gibt, wäre der vor fast zwei Jahrzehnten begonnene Prozess erfolgreich abgeschlossen. Sollte das Volk gegen die Verfassungsreform stimmen, wäre die ganze Arbeit (vorerst) vergebens, und es würde verfassungsmäßig alles beim Status quo bleiben.

Weitere Fragen offen

Unabhängig vom Referendum birgt die Diskussion der noch nicht abschließend geklärten Fragen in der Verfassungskommission noch einen gewissen Zündstoff. Dabei geht es nämlich unter anderem um das ganze Kapitel der Justiz, also die eventuelle Neuausrichtung des Verhältnisses zwischen den drei Staatsgewalten. Zudem werden auch noch die Prärogativen des Großherzogs eine Rolle spielen. Eine immer noch nicht geklärte Frage ist nämlich die Immunität des Großherzogs. Nach der aktuellen Verfassung ist der Monarch immer noch „unverletzlich“, was im Klartext bedeutet, dass er im Falle einer Straftat nicht belangt werden kann. In beiden noch offenen Grundsatzfragen deutet sich – wie bereits bei den anderen „90 Prozent“ des Textes – ein Konsens zwischen den Parteien ab.

Ob es jedoch so weit kommt und das Volk im Zuge der Reform über die ganze monarchische Staatsform abstimmen wird, wie es „Déi Lénk“ fordern, ist eher unwahrscheinlich. So weit soll der Modernisierungsdrang dann doch nicht gehen – auch hier sind sich die vier großen Parteien jedenfalls weitgehend einig.