Etabliert, aber trotzdem anders
Etabliert, aber trotzdem anders
Von Christoph Bumb
Einst noch als junge, verspielte Nerds und Informatikfreaks belächelt, haben sich die Piraten zu einer ernstzunehmenden Partei gemausert. Aufgrund ihrer Wahlerfolge kommt die Piratepartei Lëtzebuerg seit Juni in den Genuss der staatlichen Parteienfinanzierung. Das heißt im Klartext: Monatlich wandern rund 11.000 Euro aus der Staatskasse auf die Konten der Partei. „Das erleichtert unsere Arbeit natürlich um einiges“, sagt Piraten-Präsident Sven Clement mit einem schelmischen Lächeln.
Die erste Investition tätigte die Partei in eigene Büroräume. In der Rue de Luxembourg in Kopstal hat man ein fast 200 Quadratmeter großes Areal gemietet, von wo aus die politische Arbeit künftig koordiniert werden soll. Doch wer jetzt gedacht hat, dass man es durch den staatlichen Geldsegen plötzlich mit einer ganz normalen, gewöhnlichen Partei zu tun hätte, der hat sich getäuscht. „Ja, wir sind mittlerweile im Parteiensystem etabliert. Aber wir sind immer noch anders als die anderen Parteien“, beteuert Clement.
Beim Betreten des neuen Piraten-Hauptquartiers wird dieser Eindruck durchaus bestätigt. Freundlich bekommt man einen Kaffee angeboten und wird gleich in den bürointernen „Chill-Room“ geführt. Das hier stehende Mobiliar erinnert an eine gemütliche Studentenbude. Kein Wunder, die Couch und die weitere Einrichtung Marke Ikea stammt aus aufgelösten Wohnungen von diversen Piraten-Studies.
Dazu passt auch die Retro-Spielkonsole „Super Nintendo“, mit der spielbereit eingelegten Kassette „Donkey Kong Country“, die auch keine plötzliche Wandlung der Piraten zu über-professionellen, abgehobenen Parteifunktionären vermuten lässt. Daneben steht mit einer handelsüblichen Xbox übrigens auch noch die zeitgemäßere Variante.
Star Trek-Analogien und andere Nerd-Klischees
Doch im neuen Hauptquartier der Piraten wird natürlich nicht nur „gechillt“. Der Präsident hat sein eigenes Büro, genannt „Captain's Ready Room“, was als Star Trek-Analogie nicht die einzige symbolische Bestätigung des Nerd-Images in den Räumen der Partei darstellt. Man findet hier kleine Lara-Croft-Figuren ebenso wie ein Poster der Serie „Big Bang Theory“.
Im Gegensatz zum Chef müssen sich Vize-Präsident, Generalsekretär und Schatzmeister ein Büro teilen. Weiter den Gang entlang erreicht man einen für alle Mitglieder zugänglichen Arbeitsbereich, der wiederum in den großen Versammlungsraum führt, wo Präsidium und Parteileitung tagen und künftig Pressekonferenzen abgehalten werden sollen.
Bisher trafen sich die Mitglieder in Cafés oder bei jemandem zu Hause, was laut Clement „auch seinen Charme hatte“. Die neuen Räumlichkeiten würden der ganzen Partei allerdings ganz neue Möglichkeiten eröffnen: von der Lagerung von Werbematerial über die Möglichkeit, ad hoc Sitzungen zu organisieren und das soziale Leben der Partei zu fördern bis hin zur besseren „Beherbergung“ von Medienvertretern.
"Wir haben uns das alles selber erarbeitet"
Ansonsten will sich die Partei aber treu bleiben, betont ihr Präsident und Aushängeschild. Man bleibe bescheiden, so Clement, auch wenn er mit gewissem Stolz auf die Entwicklung seiner Partei seit der Gründung im Jahre 2009 zurückblickt. „Wir haben uns das alles selber erarbeitet“, sagt Clement. Der Fakt, jetzt von staatlichen Hilfen zu profitieren, erlaube einerseits eine gewisse finanzielle Planungssicherheit. Andererseits verpflichte es auch zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit dem Geld. „Es handelt sich schließlich um Steuergelder“, so Clement.
Die Entwicklung der Partei spricht in der Tat für sich. 2009 gründeten eine Hand voll junger Politikinteressierter die Piratepartei Lëtzebuerg, damals noch als Ableger der in Schweden gestarteten internationalen Bewegung, die sich für eine radikale Reform des Urheberrechts einsetzte. Bald schon entfernten sich die Luxemburger Piraten aber von der ursprünglichen Idee der Bewegung und legten das Stigma der „Ein-Thema-Partei“ ab.
„Wir haben ein Programm entwickelt, das zu ziemlich allen Politikbereichen ganz konkrete Problemlösungen anbietet“, sagt Clement. Dabei fühle man sich dem Sozialliberalismus verbunden, was heißen soll, „dass wir die üblichen ideologischen Gegensätze der Parteipolitik ablehnen und mit informiertem Pragmatismus an Probleme herangehen.“
Unumstrittener Chef und Aushängeschild
Das Ergebnis dieser maßgeblich von Clement selbst angestoßenen und verkörperten Ausrichtung ist, dass die Partei heute mehr als 330 Mitglieder hat. Trotz breitem Parteiprogramm sind sie in der politischen Auseinandersetzung aber vor allem bei ihren Kernthemen kompetent und präsent. Sven Clement: „Zwei Themen liegen uns besonders am Herzen, das ist die Herstellung von mehr Transparenz in Staat und Gesellschaft und die Stärkung der Demokratie, wo auch immer sie möglich ist.“
Dass Clement dabei sowohl nach außen als auch innerhalb der Partei der unumstrittene Anführer ist, sorgt bei den Piraten nicht für Unmut. Im Gegenteil. Man hat den Eindruck, dass der 25-jährige Student der Wirtschaftsinformatik als Gründungsmitglied die natürliche Führungsfigur ist. Das machen ihm seine Kollegen in der Parteiführung auch nicht streitig. „Wir haben Glück, dass wir mit Sven in den Wahlen einen sichtbaren Spitzenkandidaten hatten, den die Leute mit der Partei identifizieren“, sagt Vize-Präsident Marc Goergen. Von Neid und Eifersüchteleien ist hier keine Spur, womit sich die Luxemburger Piraten grundsätzlich von ihrer deutschen Schwesterpartei unterscheiden.
Ein weiterer Grund ist die besondere politische Konstellation im Land, meint Generalsekretär Andy Maar. Nicht nur, dass es eine Reihe von Menschen gebe, die „mit den etablierten Parteien massiv unzufrieden sind“; hinzu kommt der unvermeidliche persönliche Aspekt: „Wir verstehen uns in der Partei alle persönlich sehr gut, deshalb würde es schnell auffallen, wenn jemand nur auf Streit aus ist.“
Pragmatisches Politikverständnis
Die Stimmung auf der prinzipiell öffentlichen Präsidiumssitzung bestätigt diesen Eindruck. Es herrscht eine kollegiale, locker-lustige Atmosphäre, egal ob es gerade um die Bestellung eines normgerechten Verbandskastens, die Reparatur eines Kopierers oder die Organisation eines veganen Abends geht. Den Themen nach zu urteilen, könnte hier auch gerade der Vorstand einer Amiperas-Sektion tagen.
Doch weit gefehlt, viele Piraten sind sehr politisch, gut informiert und gehören mehrheitlich zu dem was man gemeinhin modernes Bildungsbürgertum nennt. Hier trifft man eine Gruppe von „digital natives“, die generell in das von den Medien oft vermittelte Klischee-Bild der Partei passen, zu denen mit der Zeit aber Menschen jeglichen Alters mit den unterschiedlichsten Berufen dazu gestoßen sind. Eine ganz normale Partei eben.
Ganz normal und etabliert sind sie jetzt, die Piraten, aber trotzdem noch immer anders. Das zeigt sich nicht zuletzt in ihrer unideologischen und unprätentiösen Art, Politik zu machen und darüber zu sprechen. Laut Clement entspricht es einfach dem Selbstverständnis der Parteimitglieder, „die durch ihren meist wissenschaftlichen Hintergrund eher rational und lösungsorientiert mit Politik umgehen“.
Dabei fällt auch die im Vergleich zu anderen Parteien erfrischend wirkende und stets mit Ironie daherkommende Bescheidenheit auf. „Wir geben nicht vor, allwissend zu sein, sondern stellen Dinge kritisch in Frage, die unserer Meinung nach schief laufen, auch wenn sie eigentlich nicht schief laufen müssten“, sagt Clement in seiner selbstverständlich selbstbewussten Art, in der er über so gut wie alle politischen Themen und Personen spricht. Dass dabei die Substanz nicht immer mit seiner Dynamik und Leidenschaft mithalten kann, gehört auch zur Normalität eines offensichtlichen Vollblutpolitikers einer jetzt eindeutig etablierten Partei.
Immer schön bescheiden bleiben
Dass er trotz weitgehender, zeitintensiver Aufopferung für die Sache der Partei kürzlich auch noch unter die Unternehmer gegangen ist, sehen einige Beobachter kritisch. Clement hat vor einigen Wochen gemeinsam mit Piraten-Gründungsmitglied Jerry Weyer eine Beratungsfirma für „digitale Kommunikation“ gegründet. Damit wollen die beiden bekennenden Facebook- und Twitter-Junkies ihr Wissen über den sinnvollen Einsatz von sozialen Medien gegen Geld an Unternehmen oder sonstige Organisationen weitergeben.
Ein Interessenkonflikt sei dabei so gut wie ausgeschlossen, beteuert Clement und bläst sogleich zum Gegenangriff gegen „Politiker, die nach ihrer aktiven Zeit in der Chamber zu großen Unternehmen wechseln“. Eine andere Antwort hat sein Vize in der Partei, Marc Goergen, parat: „Wenn Sven einmal in die Chamber gewählt wird, wird er wohl keine Zeit und auch kein finanzielles Interesse mehr daran haben, Unternehmen zu erklären wie Facebook und Twitter funktionieren.“
Sven Clement und die Piraten in der Chamber? Was auf den ersten Blick wie eine ziemlich kühne Aussage mit Augenzwinkern daherkommt, könnte in einigen Jahren tatsächlich zur Realität werden. Mit diesen Piraten ist in Zukunft jedenfalls zu rechnen. Und das liegt nicht nur am staatlich garantierten, monatlich abrufbaren Geldsegen.
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