Ein Zwischenruf: Eine Pseudo-Kampagne gegen Juncker
Kaum ist Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsident im Amt, da öffnen unsere geschätzten Kollegen aus der investigativen Abteilung ihre Schubladen und finden geheimes und belastendes Material über ihn. Wirklich alles brandneu und sensationell? Dass Luxemburg im europäischen Steuerwettbewerb besondere Kreativität an den Tag legte, wussten wir schon lange. Auch, dass das schöne kleine Land dabei nicht allein war. Ausführlich beschäftigten sich Medien im Sommer mit der „Luxembourg Connection“. Warum also jetzt diese investigative Welle? Geht es ihnen um Wahrheit und Enthüllung, oder sehen sich bestimmte Medienhäuser als „politische Player“ im großen europäischen Spiel? Nutzen sie Junckers Amtsantritt, um Auflage und Quote zu steigern? Geht es um Juncker oder eher um die großen Konzerne, deren Namen wir jetzt kennen und die aktiv legale Wege zur Steuervermeidung genutzt haben? Dazu hat sie niemand gezwungen, wie die Beispiele aus anderen Unternehmen zeigen.
Als Luxemburger Premier war Juncker seinem Land verpflichtet, nicht mehr und nicht weniger. Ein Skandal wäre es allerdings, würde er als Kommissionspräsident die Abschaffung europäischer Steuersparmodelle behindern oder verzögern. Es ist einigermaßen leichtfertig, die Autorität des überzeugten Europäers Juncker schon zu Beginn seiner Amtszeit zu beschädigen. Europa braucht einen starken Kommissionspräsidenten, der auch bereit ist, einem britischen Premier oder einem italienischen Ministerpräsidenten auf die Finger zu klopfen. Sollte aus fadenscheinigen Gründen eine Pseudo-Kampagne gegen Juncker losgetreten werden, ist dies vor allem Wasser auf den Mühlen antieuropäischer Parteien, wie erste Reaktionen der deutschen AfD bereits zeigen.
Rotger Kindermann
