Ein Lehrstück
Ein Lehrstück
"Wohl dem Menschen, wenn er gelernt hat, zu ertragen, was er nicht ändern kann, und preiszugeben mit Würde, was er nicht retten kann“, schrieb Friedrich Schiller. Luxemburger Steuerpolitiker erkennen sich dieser Tage wohl mehr denn je in dem Spruch wieder. Am Donnerstag Abend versuchte sich Premierminister Xavier Bettel so in Brüssel in der Kunst des „preiszugeben mit Würde“. Luxemburg, geschwächt durch die „LuxLeaks“-Affäre, wird die EU-Kommission demnach zukünftig umfassend über die umstrittenen Steuervorentscheide informieren.
Die Regierung kommt somit einer Brüsseler Forderung nach, gegen die sie sich Monate lang mit allen Mitteln gewehrt hatte. Im April hatte Finanzminister Pierre Gramegna noch eine Klage vor dem Gerichtshof der EU gegen die Informationsforderung der Kommission angekündigt. Letztere hatte ihrerseits mit einem Vertragsverletzungsverfahren geantwortet. Jetzt sollen beide Klagen zurückgezogen werden.
„Luxemburg informiert die EU zukünftig über Steuer-Rulings.“
Wie die Geschichte ohne die „LuxLeaks“-Welle geendet hätte, ist reine Spekulation. Fest steht, dass Luxemburg die Konfrontation suchte – und verloren hat. War es einfach Pech? Kaum. Übernimmt man die Regierungsthese, dass „LuxLeaks“ eigentlich nichts wirklich Neues zutage gefördert hat, darf man seinerseits die These erstellen, dass der offene Streit mit Brüssel grundsätzlich die falsche Strategie war, und somit zu einer regelrechten Kapitulation geführt hat.
Es ist nicht das erste Mal, dass eine Luxemburger Regierung die Macht der EU-Kommission unterschätzt und sich somit selbst ein Bein stellt. Auch der Eiertanz rund um die berüchtigte 1929er Holding verlief vor zehn Jahren schon ähnlich. Gegen den Willen der gleichen Hauptakteure, die auch jetzt im Ruling-Strudel stecken, erkannte Luxemburg schon 1997 an, dass die steuerbefreite Holding, fast 70 Jahre nach der Einführung dieser Rechtsform, in einem geeinten Europa das Potenzial hat, zu Missbrauch zu führen. Wie andere Mitgliedstaaten auch, verpflichtete sich das Land, derartige Konstrukte bis 2004 abzuschaffen.
Doch 2004 kam und ging, und die Holding 1929 gab es noch immer. Im Frühjahr 2005 kam es schließlich zu einer halbherzigen gesetzlichen Anpassung. Doch es war zu spät. Der Kommission platzte der Kragen und sie forderte formal, öffentlich und unmissverständlich die Abschaffung. Und siehe da: Trotz Sommerpause brachte Luc Frieden die entsprechende Gesetzesvorlage nur drei Monate später auf den Instanzenweg, und in der absoluten Rekordzeit von lediglich sechs Wochen war die „H29“ Ende 2006 Geschichte.
Zurückbehalten wurde aus diesem ersten Lehrstück offensichtlich nichts. Die Kunst des taktischen Rückzugs beherrscht der Finanzplatz noch immer nicht.
Seit jeher strebt die Luxemburger Wirtschaftspolitik vorrangig danach, sich Zugang zu anderen Märkten zu sichern. Die Europäische Union bietet in dieser Hinsicht alle Garantien. Aber, dieses Privileg ist an Spielregeln gebunden – Regeln innerhalb derer jedoch bedeutender Spielraum besteht. Nun deutet in der Tat vieles darauf hin, dass diese Ellbogenfreiheit bei großen Ländern großzügiger gehandhabt wird. Monieren kann und soll man dies schon. Darüber hinaus wird es aber Zeit zu lernen, zu ertragen, was man nicht ändern kann.
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