Luxemburg-Stadt: Die wahre Rentnerpartei sind Déi Lénk
Luxemburg-Stadt: Die wahre Rentnerpartei sind Déi Lénk
Von Ines Kurschat und Jean-Michel Hennebert
Wie repräsentativ ist die Chamber fragen Soziologen, Politologen und politische Beobachter gern in Wahlkampfzeiten. Im Fokus steht dann oft, wie viele Frauen ins Parlament gewählt werden oder wurden.
Weniger häufig wird analysiert, wie die Verteilung nach Berufen oder Bildung unter den gewählten Vertretern ist, dabei ist sie ein wichtiger Indikator für die soziale Repräsentativität: Eine Supermarktkassiererin mit niedrigem Einkommen wird die Diskussion um die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich vermutlich anders bewerten als ein selbstständiger Unternehmer, der mit weniger Personal rechnen müsste. Seit Jahren dominieren im Parlament Rechtsanwälte, Selbstständige und Beamte mit Hochschuldiplom.
Wie sozial repräsentativ die Kandidatinnen und Kandidaten auf Gemeindeebene sind, fragt hingegen kaum jemand. Dabei zeichnet sich dort ein ganz ähnlicher Trend ab: Das „Luxemburger Wort“ hat die gemeldeten und selbst ermittelten Berufsprofile von Kandidaten in den vier Regionen im Land genauer unter die Lupe genommen: Selbst in Orten wie Wiltz im Norden oder Grevenmacher im Osten, der eine von Wald und Wiesen gesäumt, der andere Austragungsort des größten Trauben- und Weinfests an der Mosel, sind Landwirte kaum anzutreffen. Stattdessen dominieren Beamte, Ingenieure und Angestellte.
Piraten und ADR: Parteien der kleinen Leute
Interessant ist der genauere Blick auf die einzelnen Parteien in den Regionen: In der rund 8.000 Einwohner zählenden Gemeinde Wiltz etwa ist die LSAP mit einem bunten Strauß an Berufen vom Handwerker bis zum Wirtschaftswissenschaftler noch recht vielfältig aufgestellt. Für die CSV in der aufstrebenden Regionalhauptstadt treten mehrheitlich Kandidaten mit Hochschulbildung an. Aber auch Unternehmer stehen auf der Liste und eine Erzieherin.
In Grevenmacher an der Mosel ist das nicht viel anders: CSV und DP vertreten den Mittelstand und das besser gestellte Bürgertum. Die Grünen gehen mit mehreren Beamten und Lehrern an den Start. Die Partei der kleinen Leute in Grevenmacher stellen klar die Piraten: Bei ihnen stehen auf der Liste für die Gemeindewahlen am 11. Juni Hausfrauen, Busfahrer, Kellner, Elektriker, Haushälterinnen.
In der einstigen Arbeiterhochburg Esch/Alzette, in der heute noch viele gering verdienende Haushalte leben, hat das A für Arbeiter bei der LSAP ausgedient: Auf der Liste sind Rechtsanwälte und Juristen unter den Kandidaten stark vertreten. Eine andere Mehrheit bilden Frauen und Männer, die für den Staat oder die Gemeinde arbeiten. Zum Vergleich: Das damals 30.000 Einwohner umfassende Esch/Alzette zählte laut Statistischem Amt im Jahr 2011 noch über 2.200 Industriearbeiter und Handwerker; auf den Kandidatenlisten heute spiegelt sich das nicht wider (die Ergebnisse der Volkszählung 2021, nach Branchen aufgeschlüsselt, liegen dem Statec zufolge noch nicht vor).
Hochschuldiplom für Gemeindepolitik
Die DP in der Südgemeinde tritt als klassische Mittelstandspartei an, will heißen, mit Rechtsanwälten, Händlern, Ingenieuren und Informatikern. Was außerdem auffällt: Ausgerechnet im einst von der Stahlindustrie dominierten Süden scheint ein Hochschuldiplom zunehmend Zugangsvoraussetzung für eine Karriere in der Gemeindepolitik. Die Uni ist eben um die Ecke. In den vergangenen Jahren sind etliche Menschen aus Esch abgewandert und Studenten sowie besser verdienende Familien zugezogen. Von Studentenflair kann im Stadtbild aber weiterhin kaum die Rede sein - und nur rund sieben Prozent der Kandidaten sind Studierende.
Die ADR war und bleibt Anziehungspunkt für Rentner auch bei diesen Wahlen. Die übrigen Kandidaten sind Krankenschwester, Lagerarbeiter, Reinigungskräfte; aber auch Verwaltungsangestellte und Rechtsanwälte zählen dazu. Die wahre Rentnerpartei heutzutage ist allerdings die Kommunistische Partei Luxemburg (KPL) mit sieben Rentnern von insgesamt 27, die in Esch/Alzette erkennbar ins Rennen gehen.
Bürgerliche Bastion in der Hauptstadt
Überholt beim Rentneranteil werden die Kommunisten und die ADR im Süden in der Hauptstadt ausgerechnet von den sich sonst jung gebenden Linken: Dort treten, sage und schreibe, neun Kandidaten im Ruhestand an. Das sind mehrheitlich ehemalige Staatsbeamte (Lehrer, Ministerialbeamte) – keine Wutbürger mit schmalem Portemonnaie, die es im Ruhestand „denen da oben“ nochmal zeigen wollen.
Die hauptstädtische CSV und die DP sind und bleiben vom sozio-ökonomischen Profil her klassisch-bürgerliche Parteien, mit mehreren Juristen sowie fast einem Dutzend Kandidaten, die zur Gruppe der Selbstständigen oder Unternehmen zählen. Bei der LSAP stellen sich bemerkenswert viele Beamte zur Wahl, auch wenn sich nicht alle als solche zu erkennen geben und sich lieber Kommunikationsberaterin oder Politologin nennen.
Eine schräge Note gibt dem hauptstädtischen Wahlkampf in diesem Jahr eine kleine zusammengewürfelte Gruppe. Die Partei Mir d’Vollek dient als Sammelbecken für alle möglichen Überzeugungen: Ein Ex-KPL-Mitglied steht einträchtig neben einem ehemaligen Piraten zur Wahl. Was sie verbindet: Beide bildeten die Speerspitze der Anti-Corona-Märsche 2021 und 2022. Letzterer Kandidat stand übrigens kürzlich vor Gericht, weil er Luxemburger Ärzte mit Nazis verglichen hatte.
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