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Die Rolle des Großherzogs in der Verfassung
Politik 6 Min. 07.10.2020 Aus unserem online-Archiv
Reformbedarf

Die Rolle des Großherzogs in der Verfassung

Der Großherzog bei der Eröffnung des Parlaments im Jahr 2001. Die Wichtigkeit der parlamentarischen Arbeit sowie die Bedeutung der demokratischen Prinzipien standen im Zentrum der Rede.
Reformbedarf

Die Rolle des Großherzogs in der Verfassung

Der Großherzog bei der Eröffnung des Parlaments im Jahr 2001. Die Wichtigkeit der parlamentarischen Arbeit sowie die Bedeutung der demokratischen Prinzipien standen im Zentrum der Rede.
Anouk Antony
Politik 6 Min. 07.10.2020 Aus unserem online-Archiv
Reformbedarf

Die Rolle des Großherzogs in der Verfassung

Während die Luxemburger Gesellschaft sich gewandelt hat, ist die Verfassung unzeitgemäß. Konflikte zwischen Institutionen sind damit vorprogrammiert.

Von Morgan Kuntzmann

Wie Gesellschaften unterliegen politische Systeme einem ständigen Wandel. Krisen oder sozialer Wandel führen unter anderem dazu, dass es zu schweren Diskrepanzen zwischen der Ausübung der Macht und dem Wortlaut einer Verfassung kommt. 

Selbst in Russland fand Anfang Juli ein Verfassungsreferendum statt, das dem Autokraten Wladimir Putin eine Legitimation seines Herrschaftssystems gibt. Währenddessen hat das Großherzogtum die Machtverhältnisse seit 1868 nicht angepasst. Wohl einer der wenigen Nachteile, die mit dem für die Luxemburger Wirtschaftspolitik oft zitierten Vorteil der politischen Stabilität einhergeht. 

Herrschen durch Selbstbeherrschung 

Großherzog Henri ist nicht das erste Staatsoberhaupt, das in seiner Funktion als Repräsentant des Landes damit kämpft, seine eigenen Sichtweisen nicht preisgeben zu dürfen. Vor diesem Problem stehen nicht nur Monarchen. Auch gewählten Staatsoberhäuptern wie dem deutschen Bundespräsidenten ist diese präsidiale Zurückhaltung in manchen Situationen schwergefallen. 

Um in diesem Konfliktfeld zwischen persönlicher Ambition und Selbstbeherrschung des Amtes willen das Gleichgewicht zu finden, braucht man politisches Talent. Die Königin des Vereinigten Königreichs, Queen Elizabeth II., ist ein gutes Beispiel dafür. 

Das Luxemburger Grundgesetz stammt aus der Epoche des Konstitutionalismus, als es zwar bereits Verfassungen gab, aber die parlamentarische Regierungsweise sich noch nicht rechtlich oder faktisch durchgesetzt hatte. Wenn eine Verfassung aus dem 19. Jahrhundert auf die Lebensrealität des 21. Jahrhunderts trifft, sind Konflikte unvermeidlich.


WASHINGTON, DC - SEPTEMBER 21: The American flag is flown at half-staff at the U.S. Capitol on September 21, 2020 in Washington, DC to honor Supreme Court Justice Ruth Bader Ginsburg. Ginsburg passed away due to complications from pancreatic cancer on Friday, September 18, 2020.   Stefani Reynolds/Getty Images/AFP
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Dementsprechend gibt es Stimmen, die die aktuelle innenpolitische Lage der Vereinigten Staaten von Amerika zum Teil darauf zurückführen, dass die veraltete und zusehends dysfunktionale US-Verfassung, die aus dem 18. Jahrhundert stammt, das Land immer tiefer in die Krise treibt. So könnte die Richternominierung nach dem Tod der US-Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg über den Ausgang der diesjährigen Präsidentschaftswahlen entscheiden. Die lebenslange Richternominierung in den USA mag im 18. Jahrhundert Sinn gemacht haben, nur dass man heutzutage doppelt so lange lebt wie zu den Gründerzeiten der US-Verfassung. 

Auch in Luxemburg gibt es eine Politisierung der öffentlichen Verwaltung. Noch verständigen sich die politischen Parteien am Krautmarkt im Konsens. Dies kann sich jedoch, wie die aktuelle Krisensituation aufzeigt, schnell ändern. 

Die institutionelle Rolle des Großherzogs 

Die Verfassung schreibt dem Großherzog Befugnisse in den drei Staatsgewalten zu. Das Staatsoberhaupt beteiligt sich an der Legislative, mit der Verkündung der Gesetze, und übt die Exekutive mithilfe seiner Regierung aus, die vor dem Parlament politisch verantwortlich ist. Die Vorrechte des Monarchen in der Gerichtsbarkeit beinhalten die Ernennung der Richter und das Privileg, Begnadigungen vorzunehmen. Darüber hinaus werden Urteile im Namen des Großherzogs gefällt. 

Doch noch bis 2008 besaß laut Konstitution der Staatschef die Möglichkeit, Gesetze durch ein Veto aufzuhalten. Das Recht, ein Gesetz nicht zu „billigen“, wie es in der Verfassung stand, hatte de facto noch kein Luxemburger Staatsoberhaupt in Anspruch genommen. 

Euthanasie-Gesetz: Veto mit Konsequenzen 

Im Februar 2008 beschloss die Abgeordnetenkammer ein Gesetz, das die aktive Sterbehilfe unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Großherzog Henri kündigte an, dass er das Gesetz als ernste Gewissensentscheidung empfand und es „aus Gewissensgründen“ nicht unterzeichnen werde. 

Zum damaligen Zeitpunkt stilisierten manche die Weigerung des Monarchen, aus persönlichen Gründen das Gesetz zu billigen, als Verfassungsbruch. Die Regel sei, dass sich die Staatsoberhäupter aus der Tagespolitik raushalten. Nur die kurzweilig als Großherzogin amtierende Maria-Adelheid hatte sich 1912 die Freiheit genommen und erst nach einigem Zögern ein neues Schulgesetz unterschrieben. 


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Als Verfassungsbruch per se kann man die Zurückhaltung der Unterschrift durch den Großherzog nicht sehen. Hingegen könnte man dem Staatsoberhaupt vorwerfen, sich nicht an Artikel 33 der Verfassung gehalten zu haben. 

In diesem steht unter anderem, dass der Großherzog Symbol der Einheit des Landes ist. Mit seiner Weigerung, das Euthanasie-Gesetz zu billigen, erhob sich das Staatsoberhaupt zum politischen Akteur und favorisierte damit eine parlamentarische Minderheit. Auch ein Monarch braucht die Unterstützung aus der Politik und kann Mehrheiten im Parlament nicht übergehen. 

Die „Verfassungskrise“ von 2008 konnte mithilfe einer Verfassungsänderung, die eine teilweise Entmachtung des Staatsoberhauptes zur Folge hatte, gelöst werden. Artikel 34 der Verfassung wurde verändert, so dass der Staatschef seitdem Gesetze nur noch verkünden darf. Das Vetorecht entfiel. 

Regierungsbildung: Ernennung des Formateur und Informateur 

Bei der Regierungsbildung besteht in Luxemburg ein Gewohnheitsrecht. Der Großherzog ernennt, gemäß den ständigen Gebräuchen, wie es passenderweise auf der Webseite der Regierung steht, den Premierminister. Dieser Formateur kann dann mit der Bildung einer Regierung beginnen. Davor kann der Staatschef einen Informateur ernennen. Dieser erkundet durch Sondierungsgespräche mit den Parteien die Möglichkeit einer politischen Mehrheit. 

Diese Vorgehensweise hat sich über Jahrzehnte bewährt, obwohl sie für den Großherzog ebenfalls ein Risiko darstellt, da er sich bei einer kontroversen Entscheidung öffentlicher Kritik aussetzt und allein in der Verantwortung steht. 

Bereits 2013 kam Kritik auf, als der Großherzog erstmalig einen Informateur ernennen musste. Es kam zu dieser Situation, weil keine der anderen Parteien mehr mit der CSV, der Partei mit den meisten Stimmen, eine Koalition eingehen wollte. Man hatte sich bereits im Voraus auf eine Dreierkoalition geeinigt. Diese Information gelangte an die Öffentlichkeit. Dadurch kam Großherzog Henri gewissermaßen in Zugzwang und ernannte Georges Raverani zum Informateur, der eine Dreierkoalition ermöglichte. 


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Rezentes Beispiel: Bei den letzten Wahlen 2018 wurde Xavier Bettel (DP) vom Staatschef zum Formateur berufen und dieser beauftragte ihn dadurch mit der Regierungsbildung, obwohl die Liberalen als drittstärkste Kraft aus der Wahl hervorgingen. 

Nachdem die Regierung gebildet wurde, findet traditionell eine Vertrauensabstimmung in der Chamber statt. Dies gibt dem vorangegangenen Prozess eine demokratische Legitimität. Der Vorgang des „vote de confiance“ nach der Regierungsbildung ist ebenfalls nicht in der aktuellen Verfassung verankert. 

Waringo-Bericht

Am 31. Januar 2020 legte der Sonderbeauftragte Jeannot Waringo seine Analyse und Reorganisationsvorschläge zu Struktur und Organigramm des großherzoglichen Hofs vor. Die Personal- und Finanzpolitik des Hofes stand im Mittelpunkt der Untersuchungen. Das Kernstück der Empfehlungen ist, wie in der Verfassungsreform vorgesehen, die Schaffung einer Rechtspersönlichkeit: der Maison du Grand-Duc, die den Hof modernisieren und institutionalisieren soll. 

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