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Aloyse Marx über die Architektur unserer Ernährungssicherheit
Politik 5 Min. 07.01.2023
Analyse und Meinung

Aloyse Marx über die Architektur unserer Ernährungssicherheit

Luxemburg sei ein Grünlandstandort und als solcher eine strategische Region für tierische Erzeugnisse innerhalb von Europa, betont Aloyse Marx.
Analyse und Meinung

Aloyse Marx über die Architektur unserer Ernährungssicherheit

Luxemburg sei ein Grünlandstandort und als solcher eine strategische Region für tierische Erzeugnisse innerhalb von Europa, betont Aloyse Marx.
Foto: Chris Karaba
Politik 5 Min. 07.01.2023
Analyse und Meinung

Aloyse Marx über die Architektur unserer Ernährungssicherheit

Der Autor erläutert die strategische Aufgabe der Landwirtschaft und geht auf deren umweltbedingte Herausforderungen ein.

Von Aloyse Marx *

Mit dem ersten abgegebenen Schuss in der Ukraine ist eine geschichtliche Zeitenwende eingeläutet worden. Strategisch wichtige Bereiche wie Verteidigung und Energieversorgung werden durch entsprechende Bündnisse gestärkt, um effizient, autark und unabhängiger von Drittstaaten zu werden.

Die Landwirtschaft ist ebenfalls ein strategisch essenzieller Bereich. In dieser Beziehung ist es wichtig, unsere eigene Geschichte zu kennen, damit wir sie nicht zu wiederholen brauchen. 


18.07.2022 Hitzwelle Hitze , Rekord Temperaturen , Hochsommer , Landwirtschaft , Arbeiten auf dem Feld , Bauer bei der Arbeit , Mähen Dreschen Foto : Marc Wilwert / Luxemburger Wort
Ohne die Bauern geht es nicht
Der Entwurf zum Agrargesetz muss unbedingt nachgebessert werden, fordert die Co-Fraktionsvorsitzende der CSV, Martine Hansen.

In der Ernährung hatte Europa nämlich bereits Ende der 1950 Jahre, durch die Gründung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP), eine Zeitenwende beschlossen und umgesetzt. Diese Initiative mündete in eine abgesicherte europäische Lebensmittelversorgung (1).

Es kann nur das gegessen werden, was auch erzeugt wird.

Die Erzeugung von Agrarprodukten passiert in zwei Dimensionen; einer strategischen sowie einer konjunkturellen Dimension. 

Die strategische Dimension bedeutet, dass in Europa verschiedene Regionen, aufgrund ihrer natürlichen Voraussetzungen, in der Lage sind, mehr Nahrungsmittel zu erzeugen als für ihre Region benötigt werden. Hochwertige Böden in Europa wie das Pariser Becken, die rumänischen Schwarz-Erde-Regionen oder die Ukraine erzeugen pflanzliche Erzeugnisse für Europa und die Welt. Fruchtbare Böden sind die Grundvoraussetzung für die Erzeugung pflanzlicher Lebensmittel. 

Die weniger fruchtbaren Böden, wie Mittelgebirgslagen, sind im Wesentlichen mit Gras bewachsen und liefern daher nicht direkt Lebensmittel für den Menschen. Diese Regionen sind nur durch sogenannte Wiederkäuer, zum Beispiel Rinder oder Schafe, zu bewirtschaften und sind deswegen in der strategischen Dimension Standorte, wo im Wesentlichen Milch und Fleisch erzeugt werden können. Luxemburg ist ein solcher Grünlandstandort und als solcher eine strategische Region für tierische Erzeugnisse innerhalb von Europa, auf der gleichen Ebene wie die Ukraine es darstellt für pflanzliche Erzeugnisse.

Diese strategische landwirtschaftliche Erzeugung stellt die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln dar und ist damit ein wenig vergleichbar mit dem, was man in der Stromversorgung die Grundlast nennt.

In der konjunkturellen Dimension werden Lebensmittel erzeugt, welche eine emotionale Bindung des Verbrauchers zu dem Produkt hervorrufen. Biolandwirtschaft, regionale und lokale Erzeugung usw. Sie orientiert sich eher an der lokalen Nachfrage. Ihre Erzeugung und Vermarktung sind kostenintensiver und aus diesem Grund anfälliger für konjunkturelle Schwankungen.

Drei Hebel sind wichtig   

Die drei fundamentalen Hebel, über welche die Leistung der Landwirtschaft in beiden Dimensionen gesteuert wird, sind Know-how, Energie und Technik. Jeder Einfluss auf diese drei Hebel hat Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit.

Das Wissen in den Köpfen der Frauen und Männer in den landwirtschaftlichen Familien stellt ein strategisches Kapital dar, welches es erlaubt, mit Tieren, Pflanzen und dem Boden das zu erzeugen, was Millionen von Menschen täglich als Lebensgrundlage brauchen. Verloren gegangenes Wissen in der Landwirtschaft wieder zu ersetzen wird, wenn überhaupt, Generationen in Anspruch nehmen.


Illustration, Politik, Wirtschaft, Bauern, Lokales, Agrastrategie, Landwirtschaft, Bauerenzentral, Lebensmittel, neue Forderungen, Subsid,  Foto: Luxemburger Wort/Anouk Antony
Bald will niemand mehr Bauer werden
Die Landwirte fühlen sich als Klimasünder an den Pranger gestellt und von der Politik nicht wertgeschätzt. Jetzt kommt auch noch das neue Agrargesetz.

Energie ist gebunden in der Herstellung von Gebäuden und Maschinen, in Strom und Treibstoff sowie in Futtermitteln, Düngemitteln und anderen Betriebsmitteln. Die verfügbare Technik bietet die Möglichkeit, eine hohe Produktivität zu erreichen und zunehmend ressourcenschonender Lebensmittel zu erzeugen.

Die strategischen Regionen kennzeichnen sich dadurch aus, dass sie, das notwendige Fachwissen und die Technik vorausgesetzt, mit wesentlich weniger Energieaufwand eine bestimmte Kategorie Agrarerzeugnisse herstellen können als andere Regionen. Aufgrund des Konflikts in der Ukraine ist der Faktor Energie nun zum Unsicherheitsfaktor geworden. In der Folge dessen erleben wir derzeit weltweit eine Stagnierung der landwirtschaftlichen Erzeugung und unter anderem deswegen steigende Lebensmittelpreise.

Niemand hat den Schuss gehört

Somit wurde durch den Ukrainekonflikt auch im sprichwörtlichen Sinn ein Schuss abgegeben, den aber bis jetzt augenscheinlich niemand in der Politik gehört zu haben scheint.

Ziel der Politik sollte es nämlich sein, die Agrarerzeugung in den strategischen Regionen zu stärken und nicht zu schwächen.

Das Ziel der Politik sollte es nämlich sein, die Agrarerzeugung in den strategischen Regionen zu stärken und nicht zu schwächen, weil die Energieeffizienz in diesen Regionen für die Erzeugung eines spezifischen Agrarproduktes am höchsten ist und deswegen proportional zur erzeugten Menge am wenigsten Energie benötigt wird.

Das kommende Agrargesetz und der nationale Strategieplan wären eigentlich die prädestinierten legislativen Rahmengesetze, um diese Aufgabe zu übernehmen.

Dramatisches Missverständnis in der Politik    

Es prallen allerdings offensichtlich zwei grundlegend unterschiedliche Interpretationen von nachhaltiger Landwirtschaft aufeinander. Die Politik möchte die landwirtschaftliche Erzeugung pauschal reduzieren, frei nach dem Motto weniger Erzeugung bedeutet weniger Umweltbelastungen. Davon geht die Gefahr aus, dass die Erzeugung von Lebensmitteln in Regionen des Globus verlagert wird, wo Umweltaspekte weniger berücksichtigt werden und wir abhängiger werden. 

Die landwirtschaftlichen Organisationen verfolgen den Ansatz, dass die Umwelteinflüsse auf Ebene der landwirtschaftlichen Betriebe berechnet werden sollen und gemäß einem Fußabdruckmodell auf das betreffende erzeugte Produkt umgelegt werden. Dieses Vorgehen bietet die Möglichkeit, über Anreizsysteme messbare Verbesserungen zu erreichen. Auch sind direkte Vergleichsmöglichkeiten zwischen einzelnen Betrieben und Regionen gegeben. Dies alles fördert das Wissen in der Landwirtschaft.

Vom Kommandostand auf die Zuschauerbank

Die Politik täte gut daran, Ihre derzeitige Einstellung zu überdenken. Zögert sie Ihren Kurswechsel zu lange hinaus, geht sie ein nicht unerhebliches Risiko ein, sich selbst vom Kommandostand auf die Zuschauerbank zu katapultieren. Das passiert nämlich ab dem Moment, wo Umweltleistungen wirkungsvoll über die Absatzkanäle der landwirtschaftlichen Vermarktungsorganisationen gesteuert werden. 


Immer Ärger mit der Regierung
Eine verfassungswidrige Auslegung des Naturschutzgesetzes, ein neuer Mietendeckel, ein neues Agrargesetz und eine Klinik mit Personalproblemen: der Jahresrückblick von K bis O.

Im Molkereibereich stehen wir, durch die Einführung eines Nachhaltigkeitsanreiz-Modells, kurz vor diesem Schritt. Dieses wird den Milcherzeugern im Wesentlichen auf Basis eines Katalogs von umgesetzten umweltrelevanten Maßnahmen beziehungsweise Daten aus ihrem Betrieb, die Möglichkeit bieten, über ein Punktesystem die Umwelt zu entlasten und parallel Ihr Einkommen zu steigern. 

Damit erhält der Landwirt die Wahl, welches Modell, ein rückwärtsgewandtes aus der Politik oder ein lösungsorientiertes aus der Vermarktung, ihm die besseren Perspektiven bietet. Sinnvoller wäre es allemal, wenn politische Instrumente und jene aus der Vermarktung aufeinander abgestimmt wären, um das Erreichen von wissensbasierten Umweltzielsetzungen zu beschleunigen. Je eher, desto besser.

* Der Autor ist Präsident des Fraie Letzebuerger Bauereverband (FLB)

(1) Artikel in der Rubrik „Analyse und Meinung“ (3.2.2018): „Es geht um die Ernährung“.

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