Der große Graben
Der große Graben
Ohne verfassungsrechtlichen Spielraum war Blau-Rot-Grün versucht, parlamentarische Zwei-Drittel-Majorität mit der Brechstange an der Urne zu erzwingen und wurde abgestraft. Regieren wird in Anbetracht der Referendum-Klatsche, die wie eine Rote Karte für die Regierung aussieht, nicht leichter – zumal der Zusammenhalt der Koalition jetzt einer ersten Prüfung unterzogen wird. Das Resultat ist eine landesweite Abfuhr, selbst in den liberalen oder sozialistischen Hochburgen lesen sich die negativen Prozentsätze wie Denkzettel.
Das Nein beim Wahlalter ab 16 und bei der Begrenzung der Ministermandate ist verkraftbar. Nicht aber das Nein bei der Öffnung des Ausländerwahlrechtes. Der blau-rot-grüne Entwurf, die politische Partizipation der Ausländer auszuweiten, um das Legitimationsdefizit zu kompensieren, wird nur von jedem fünften Luxemburger gutgeheißen. Das einem Referendum inhärente Spaltpotenzial offenbart sich in unerwartet klarem Ausmaß.
Das Dreifach-Nein führt der Regierung auch vor Augen, dass das Referendum weder vom Zeitpunkt noch von seiner Durchführung – der Fauxpas des Vizepremiers steht stellvertretend für die fehlende Ernsthaftigkeit – ein gelungener Coup war. Drei Wochen vor Beginn des EU-Ratsvorsitzes ist der hausgemachte Imageschaden perfekt.
Und die Folgen? Rücktritte bzw. Rücktrittsforderungen sind keine Lösung. Die Resultate zu „respektieren“, sich sodann auf eine um drei Punkte amputierte Verfassungsreform zu konzentrieren und den Wählern 2017 eine neue Chance der Partizipation zuzugestehen, ist auch keine Lösung. Dabei ist es bestimmt keine gute Idee – auch wenn logistische Argumente dafür sprechen – dieses verbindliche Referendum, wie vom LSAP-Fraktionschef vorgeschlagen, zeitgleich mit den Kommunalwahlen durchzuführen.
Der Verfassungsabstimmung wäre in der Konstellation das gleiche Schicksal bescheinigt, wie bis dato stets Europawahlen im Verhältnis zu Parlamentswahlen: Sie wären für die Wähler ein mit überschaubarem Interesse bedachtes Anhängsel.
Der 7. Juni 2015 hat auf die Frage der politischen Integration ausländischer Mitbürger ein Ergebnis ohne Zweideutigkeit gebracht. Der 7. Juni 2015 hat aber keine Antwort gebracht auf das real existierende und stetig steigende Legitimationsdefizit. Nach dem forcierten Ja/Nein-Versuch der Defizitminderung steht die Politik – Blau-Rot-Grün in erster Linie – in der Pflicht, der während Jahren bewährten Konsensmethode neues Leben einzuhauchen. Es geht um Beteiligung mit all ihren Facetten. Andernfalls ist in dieser für Luxemburg so bedeutsamen Frage keine nachhaltige Antwort zu erwarten.
Die erste Etappe dahin ist eine rigorose Ursachenforschung all jener, die offen und offensiv für das Ja geworben haben: Die drei Regierungsparteien ebenso wie Ausländerverbände, Wirtschaftseliten oder Kulturschaffende: In ihrem eigenen Mikrokosmos gefangen, haben sie es nicht geschafft, die Stimmungslage der Wähler aufzugreifen bzw. zu beeinflussen.
So dass das Resultat einen großen Graben offenlegt: Da die breite Mehrheit der Luxemburger, die den Regierungsvorschlag mit Nein quittieren – dort Ja-sagende Entscheider aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur, die sich seit gestern einem persönlichen Legitimationsproblem gegenüber sehen.
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