Der andere Blickwinkel
Der andere Blickwinkel
Von Dani Schumacher
Auch für die protestantische Kirche in Luxemburg wird sich durch die angestrebte Trennung von Kirche und Staat einiges ändern. Der Titularpastor der protestantischen Kirche, Volker Strauß, sieht bei dem neuen Miteinander Vor- und Nachteile.
Welche Auswirkungen wird das neue Verhältnis zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften für die protestantische Kirche in Luxemburg haben? Sehen Sie eher Vor- oder Nachteile?
Die Konventionen reihen sich in einen gesamtgesellschaftlichen und -politischen Prozess ein. Eine größere Entflechtung im Verhältnis zwischen den Religionsgemeinschaften und dem Staat ist begrüßenswert. Ich begrüße auch, dass die Regierung die Glaubensgemeinschaften, indem sie am System der Konventionen festhält, weiterhin als einen wichtigen Akteur der Zivilgesellschaft anerkennt.
Es ist ebenfalls wichtig, dass die Religionsgemeinschaften das Statut einer Körperschaft des öffentlichen Rechts behalten. Allerdings ist das Statut juristisch nicht ganz klar definiert. Dass dem Staat daran gelegen ist, die Religionsgemeinschaften in Zukunft neutral, bzw. gleich zu behandeln, ist ein weiterer Pluspunkt. So wird die muslimische Glaubensgemeinschaft offiziell anerkannt und finanziell unterstützt.
Ich möchte noch unterstreichen, dass der gesamte Prozess die Religionsgemeinschaften enger zusammengeschweißt hat. Wir mussten die gemeinsamen Interessen formulieren und gegenüber der Regierung vertreten. Wir haben eine intensive Phase einer engeren Zusammenarbeit hinter uns. Nun müssen wir abwarten, wie sich das Ganze entwickeln wird, ob die Religionsgemeinschaften mit mehr Akzeptanz rechnen dürfen als bisher oder ob sie sich einer stärker werdenden Religionsfeindlichkeit ausgesetzt sehen.
Die Konvention sieht 450.000 Euro für die protestantische Kirche vor, kommen Sie mit dieser Summe zurecht?
Persönlich finde ich es gut, dass die Regierung pragmatisch vorgegangen ist und einen Sockelbetrag festgeschrieben hat, damit die Grundfunktionen der Kirchen abgesichert sind. 450.000 Euro sind fair. In Zahlen gesprochen, ist der Einschnitt für die katholische Kirche natürlich gewaltig, was bedauerlich ist.
Wichtig ist uns, dass das Prinzip des Pacta sunt servanda festgeschrieben wurde, ohne dieses Prinzip wären Existenzen zerstört worden.
Wichtig ist uns, dass das Prinzip des Pacta sunt servanda festgeschrieben wurde, ohne dieses Prinzip wären Existenzen zerstört worden. Nun müssen wir sehen, dass künftig möglichst viele evangelische Gemeinden von den 450.000 Euro profitieren können. Wie wir die Mittel genau aufteilen werden, kann ich noch nicht sagen. Die neue Regelung wird aufgrund des Pacta sunt servanda voraussichtlich erst in zehn bis 15 Jahren greifen, und dann werden die einzelnen Gemeinden mitentscheiden, wie sie das Geld aufteilen und verwenden wollen. Doch bis es soweit ist, werden sich die Gemeinden schon wieder verändert haben.
Welche Entwicklung zeichnet sich bei der protestantischen Kirche ab?
Der Protestantismus in Luxemburg wächst zur Zeit recht schnell, er profitiert von der starken Zuwanderung. Mit den vielen Arbeitskräften kommen auch sehr viele Protestanten ins Land.
Die Skandinavier sind z.B. fast zu 90 Prozent lutherischer Konfession. So bilden die Dänen seit zwanzig Jahren eine eigene große Gemeinde, mit einer eigenen Pastorin, die Schweden werden dagegen von einem Reisepfarrer versorgt.
Insgesamt kommen in unserer Kirche sehr unterschiedliche Theologien und Traditionen zusammen. Es gibt größere Gemeinden, wie die luxemburgisch- und deutschsprachigen, die frankofonen oder die niederländischen Gemeinden, und es gibt Klein- und Kleinstgemeinden, wie etwa die Chinesen, oder die französisch sprechende afrikanische Gemeinde „Jesus est vivant“. Insgesamt gibt es in Luxemburg etwa 60 verschiedene protestantische Gemeinden. Sie unterscheiden sich konfessionell, traditionell oder aber linguistisch. Die meisten Luxemburger sind sich dieser Vielfalt innerhalb der protestantischen Kirche überhaupt nicht bewusst. Alles in allem leben etwa 20.000 getaufte Protestanten in Luxemburg. Davon erreichen die protestantische Kirche und die größeren Gemeinden etwa 10.000 Personen.
In dem Abkommen, das die Regierung und die katholische Kirche getroffen haben, wird festgehalten, dass der Religionsunterricht durch einen allgemeinen Werteunterricht ersetzt wird. Wird sich für die protestantische Kirche dadurch etwas ändern?
Für uns ändert sich gar nichts. Wir hatten nie Zugang zum öffentlichen Schulsystem. Wir haben nur Zugang zu den Europa-Schulen, wo wir auch Religionsunterricht erteilen und einen eigenen Lehrplan erstellt haben. Dieser Lehrplan bildet übrigens ziemlich genau das ab, was die Regierung anstrebt. Er vermittelt Kenntnisse in Philosophie, Kenntnisse von anderen Religionen und natürlich auch einen Blick auf die eigenen biblischen und theologischen Traditionen. Es ist kein Katechismusunterricht.
Außerhalb der Europa-Schulen bieten wir als Kirche aber auch einen Religionsunterricht an, der eher dem Katechismus entspricht und der sich an die verschiedenen Altersgruppen der Kinder richtet. Dort geht es um die Vermittlung biblischer Geschichten und Glaubensfragen.
Die Situation ist aber nicht zufriedenstellend, weil das Schulprogramm in Luxemburg recht dicht ist und kaum noch freie Nachmittage bleiben, an denen wir den Unterricht erteilen können.
Und wie sehen Sie den geplanten Werteunterricht, an dem dann auch die protestantischen Kinder teilnehmen werden?
Der Werteunterricht ist ein zweischneidiges Schwert. Wir müssen jetzt erst einmal Erfahrungen sammeln, ich glaube aber, dass es in den nächsten Jahren jede Menge Diskussions- und Reformbedarf geben wird.
Beim Werteunterricht wird in der Praxis vieles vom Lehrer abhängen. Die Aus- und die Fortbildung sowie die Motivation des Lehrers sind der Schlüssel zum Erfolg.
In der Praxis wird vieles vom Lehrer abhängen. Die Aus- und die Fortbildung sowie die Motivation des Lehrers sind der Schlüssel zum Erfolg. Ich würde mir aber auch wünschen, dass ich mein Kind von einem staatlich organisierten Werteunterricht abmelden dürfte, weil ich nicht weiß, ob ich diese Werte teile und weil ich nicht weiß, ob mein Kind nicht von bestimmten Lehrern doch indoktriniert wird.
Die Vermittlung der Werte ist Aufgabe der Eltern, der Staat, aber auch die Kirche, sollte nur subsidiär daneben stehen. Man sollte zudem die Möglichkeit schaffen, dass die Kinder neben dem Werteunterricht außerhalb der Schule noch den Religionsunterricht besuchen können. Ich würde es ärgerlich finden, wenn dies nicht mehr möglich wäre, etwa weil die Lehrpläne in der Schule zu voll sind, oder weil der schulische Zeitplan es nicht mehr zulässt. Das wäre in meinen Augen dann doch schon religionsfeindlich.
Der Werteunterricht soll in der Sekundarstufe bereits im Herbst anlaufen...
Die Ausarbeitung des Werteunterrichts erfolgt unter enormem Zeitdruck, der ist hausgemacht und völlig unnötig. Man hätte sich durchaus ein, zwei Jahre Zeit nehmen können. Das hätte sehr viel Druck aus der Diskussion genommen. Da spielen politische Aspekte wohl eine große Rolle.
Ich finde es unglücklich, dass es sehr konfliktreich zugeht im Moment. Natürlich muss gestritten werden, wenn es um Werte geht. Aber man kann auch nicht von den Werten schlechthin sprechen. Werte verändern sich ständig, oder um es mit Heraklit zu sagen: Alles ist im Fluss. Man kann also nicht ein für alle mal einen Wertekanon festschreiben. Wir müssen die Kinder vielmehr dahin gehend orientieren, dass sie sagen können, welche Werte für sie wichtig sind.
Ich würde mir auch wünschen, dass die Kinder mehr Praxiserfahrung bekommen, dass Schulklassen beispielsweise ein Flüchtlings- oder ein Obdachlosenheim besuchen. An solchen sozialen Brennpunkten geht es um ganz wichtige Lebensentscheidungen. Sie sollten in der Schule aber auch lernen, dass der Lehrer nicht immer Recht hat, gerade wenn es um Werte geht, sollte klar sein, dass Gewissensfreiheit ganz oben auf der Werteskala steht.
Das Programm muss auf Diskurs ausgerichtet sein. Der Lehrer muss zum Moderator werden.
Entstehung der protestantischen Kirche in Luxemburg
- Bereits 1806 wurde unter französischer Herrschaft ein Dekret erlassen, das das Verhältnis des Staates bzw. der Kommunen zur protestantischen Kirche regeln sollte. Allerdings gab es zu dem Zeitpunkt noch keine evangelische Gemeinde in Luxemburg. Erst nach 1815 und der Öffnung der Festung kamen mit den Niederländern und Preußen die ersten Protestanten ins Land. Da Luxemburg aber eine Militärgarnison war, fielen sie nicht unter die zivile Gesetzgebung.
- Mit der nationalen Unabhängigkeit des Großherzogtums 1840 strebte die Zivilgemeinde die Anerkennung an, die allerdings in Anbetracht der geringen Zahl an Protestanten nicht zugestanden wurde. Das Dekret von 1806 kam bis heute also nie zur Anwendung. Die evangelische Gemeinde wandte sich 1868 an Prinzessin Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach, die Frau von Prinz Heinrich der Niederlande. Heinrich war seit 1849 Statthalter von Luxemburg und hatte als Protestant natürlich ein offenes Ohr für die evangelische Gemeinde. Amalia verschaffte den Kontakt nach Sachsen-Weimar, so dass die protestantische Gemeinde in Luxemburg zunächst als eine Auslandsgemeinde funktionieren konnte und Pfarrer und Gehaltsanteile aus dem sächsischen Großherzogtum kamen.
- Als Adolph I. 1890 Großherzog von Luxemburg wurde, änderte sich die Situation. Als protestantischer Herrscher in einem katholischen Land erhob er die protestantische Kirche (Kongregationskirche) zur Hofkirche und stattete diese mit bis heute erhaltenen Fenstern und einer schönen Inneneinrichtung aus. Die Anerkennung der Protestanten erfolgte mit der Zustimmung des Parlaments im Jahr 1894.
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