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Briefwahl für alle
Politik 3 Min. 27.02.2018 Aus unserem online-Archiv

Briefwahl für alle

Für die einen ist es ein Pflichttermin, für die anderen Teil der politischen Kultur des Landes: der Gang in die 
Wahlkabine.

Briefwahl für alle

Für die einen ist es ein Pflichttermin, für die anderen Teil der politischen Kultur des Landes: der Gang in die 
Wahlkabine.
Foto: Serge Waldbillig
Politik 3 Min. 27.02.2018 Aus unserem online-Archiv

Briefwahl für alle

Pol SCHOCK
Pol SCHOCK
Das Parlament stimmt über eine Öffnung der Briefwahl ab. Die Mehrheitsparteien sehen es als wichtigen Schritt in eine moderne Demokratie. Die CSV und der Staatsrat hegen Bedenken und halten das Wahlgeheimnis für gefährdet.

Für Andreas Ladner aus Lausanne ist Wählen eine Familienangelegenheit. „Wir setzen uns an einen Tisch, reden darüber und dann macht jeder sein Kreuz“, so der Politologe der Universität Lausanne. „Und natürlich kommt es vor, dass meine Tochter eine andere Auffassung vertritt als ich – dann macht sie auch woanders ihr Kreuz.“ So einfach ist direkte Demokratie in in der Schweiz.

Briefwahl gehört in manchen Schweizer Kantonen seit 1978 zum festen Bestandteil des demokratischen Prozesses. Jeder Bürger erhält vor einer Abstimmung seinen Wahlzettel und kann dann entscheiden: Entweder den Wahlzettel am Wahltag in die Urne werfen oder am Esstisch ausfüllen und bequem per Post verschicken. „Das System hat sich bewährt“, so Ladner. „80 bis 90 Prozent wählen in der Schweiz per Briefwahl. In manchen Kantonen wissen die Menschen nicht einmal mehr, was eine Wahlkabine ist.“

Liberalisierung der Briefwahl

So weit ist man in Luxemburg noch nicht. Zwar gibt es auch seit 1984 die Möglichkeit, auf Briefwahl zurückzugreifen, aber das Gesetz gestattet es nur in Ausnahmefällen. Die Bürger müssen das Alter von 75 Jahren überschritten haben, im Ausland leben oder berufliche bzw. private Gründe aufbringen können. Briefwahl soll die Ausnahme sein.


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"Politiker müssen Farbe bekennen"
Wegen der vorgezogenen Nationalwahlen 2013 haben sich die Wahltermine verschoben. Das Wahlgesetz wurde diese Woche angepasst. Der abgeänderte Kalender wirft allerdings neue Fragen auf.

Ein neues Gesetz, über das am Mittwoch im Parlament abgestimmt wird, soll dies nun ändern. Denn geht es nach dem Wunsch der Mehrheitsparteien soll die Briefwahl liberalisiert werden. Jeder soll die Möglichkeit haben, Briefwahl zu beantragen – Gründe, muss niemand mehr angeben. Laut Eugène Berger (DP), dem Berichterstatter des Gesetzentwurfs 7118, will man dabei auf eine gesellschaftliche Realität reagieren. Bei den Landeswahlen von 2009 haben 5,5 Prozent ihre Stimmen via Briefwahl abgegeben – beim Referendum von 2015 waren es schon 8,7 Prozent, rund 18 500 Bürger. Gleichzeitig nehmen immer weniger Bürger an den Wahlen teil – trotz Wahlpflicht. „Wir wollen das Wahlgesetz modernisieren und es allen Menschen ermöglichen, per Brief zu wählen.“

Wiseler bevorzugt Status quo

CSV-Fraktionspräsident und designierter Spitzenkandidat Claude Wiseler ist wenig überzeugt von einer Öffnung des Briefwahlrechts. Sein Argument: Er sieht das Wahlgeheimnis in Gefahr. „Die Wahlkabine garantiert, dass jeder Bürger ohne Einflussnahme Dritter seine freie politische Meinung äußern kann“, so Wiseler. „Wenn am Esstisch gewählt wird, ist nicht auszuschließen, dass etwa der dominante Vater für die Kinder wählt.“ Briefwahl sei demnach anfälliger für Manipulation.

„Die Wahlkabine garantiert, dass jeder Bürger ohne Einflussnahme Dritter seine freie politische Meinung äußern kann.

Wiseler will nicht missverstandenen werden: Das Wählen per Post sei ein wichtiges demokratisches Instrument, um es älteren, kranken oder beruflich verhinderten Bürgern zu ermöglichen, ihrer demokratischen Pflicht nachzukommen, aber es sollte doch die Ausnahme bilden. „Die Wahlkabine garantiert die anonyme Wahl und sie ist zugleich Teil der politischen Kultur Luxemburgs.“ Wiseler tritt demnach für den Erhalt des Status quo ein. Auch der Staatsrat hat ähnliche Vorbehalte in seinem Gutachten angeführt – jedoch nicht unter dem Einwand einer opposition formelle, der stärksten Form der Kritik der hohen Körperschaft.

Der Schweizer Politologe Lander kann die Bedenken, die gegen die Briefwahl angeführt werden, nur bedingt nachvollziehen. Rein demokratietheoretisch betrachtet, besteht die Möglichkeit der Manipulation. „Aber dann müssen sie schon äußerst viel Misstrauen gegenüber ihren Bürgern hegen“, so der Politologe. Zudem ist das Fälschen oder die Manipulation von Wahlzetteln eine Straftat.


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Auch Berger sieht das so. Briefwahl bietet rein theoretisch eine Angriffsfläche, aber die pragmatischen Argumente überwiegen für ihn. In Zukunft könne Briefwahl ohne großen bürokratischen Aufwand online auf myguichet.lu beantragt werden. Luxemburger, die im Ausland leben, haben dafür bis 40 Tage vor dem Wahlsonntag Zeit. Einwohner des Großherzogtums können gar bis 25 Tage vor der Wahl die Briefwahl beantragen.

Damit räumt man den Bürgern bis kurz vor dem 14. Oktober eine große Flexibilität ein. Allerdings – da ist sich Berger mit Wiseler einig – auf die Wahlkabine soll Luxemburg nie vollends verzichten. „Es gehört zu unsrer politischen Tradition sich für den Wahlsonntag schick zu machen und das Wahlbüro aufzusuchen.“


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