Braucht es einen Fusions-Check?
Braucht es einen Fusions-Check?
Von Tom Bellion*
Seit dem Beginn der territorialen und administrativen Reorganisation des Landes im Jahr 2004 wurden, unter verschiedenen lokal- und nationalpolitischen Konstellationen, recht viele Gemeindefusionen in Luxemburg angedacht und/oder vollzogen. Mit den Gesetzesprojekten 8003 und 8025 wird das Parlament in Kürze die Fusion der Gemeinden Bous und Waldbredimus, sowie jene der Gemeinden Wahl und Grosbous beschließen. Damit wird sich die Anzahl der Fusionen seit 2004 auf 14 erhöhen und die Anzahl der Gemeinden wird sich in diesem Zeitraum um knapp ein Sechstel, von 118 auf 100, verringert haben. Wie es um die angedachte Mega-Fusion „Nordstad“ steht, wird man wohl erst nach dem Super-Wahljahr 2023 sehen.
Die Vorteile für Gemeindefusionen liegen auf der Hand (1). Diese reichen von der Bereitstellung qualitativ hochwertiger Dienstleistungen über die Verbesserung der Effizienz, insbesondere durch eine stärkere und professionellere lokale Verwaltung, bis hin zur Stärkung der lokalen Transparenz und der politischen Transparenz. Mittelfristig geht es um die Schaffung von Skaleneffekten und finanziell stärkeren und stabileren Gemeinden.
Um den doch sehr aufwendigen und langwierigen Fusionsprozess bestmöglich zu planen und umzusetzen, steht den potenziellen Fusionsgemeinden, neben der fachkundigen Unterstützung seitens des Innenministeriums, eine „Fusions-Toolbox“ zur Verfügung. Derweil hatte bereits 2013 die „Cellule Indépendante Fusions Communales“ (CIFC) einen praktischen Leitfaden zum Thema Gemeindefusionen erarbeitet.
Wie steht es um die Akzeptanz seitens der Bürger(innen) nach der Fusion?
Eine Fusion von ehemals unabhängigen Gemeinden ist sicherlich ein verwaltungstechnischer Kraftakt. Die ersten Jahre einer Fusion bringen sehr viel organisatorischen Aufwand mit sich und die Bürger(innen) werden wohl kaum sofort die versprochenen Verbesserungen und Vorteile bemerken. Die subjektive Wahrnehmung des Nutzens einer Fusion spielt eine nicht unerhebliche Rolle. Am Beispiel der Fusionsgemeinde Schengen (2011) hat man gesehen, dass nur knapp mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Bürgerinnen der früheren Gemeinde Schengen für die Fusion stimmten, derweil es in der Gemeinde Wellenstein etwa zwei Drittel und in der Gemeinde Bürmeringen mehr als drei Viertel der Wahlberechtigten waren. Im Schnitt hatte also immerhin ein Drittel der Gesamtbevölkerung sich gegen die Fusion ausgesprochen.
Es stellt sich die Frage, wie eine Evaluation nach drei, fünf oder zehn Jahren Fusionspraxis aussehen würde? Das subjektive Empfinden der Bürger(innen), welches von dem einen oder anderen Meinungsmacher beeinflusst werden kann, ist dabei nicht zu unterschätzen. Könnte eine in regelmäßigen Abständen durchgeführte wissenschaftsbasierte Evaluation dazu beitragen, die Akzeptanz von Fusionen zu erhöhen und die Argumentation zu objektivieren?
Der Fusions-Check soll in erster Linie der fusionierten Gemeinde bei ihrer Weiterentwicklung helfen.
Evaluation von Gemeindefusionen nach Schweizer Modell?
Die Fachhochschule (FH) Graubünden (2) hat mit dem „Fusions-Check“ ein ganzheitliches Messinstrument zur Erfolgsmessung von Gemeindefusionen auf der Basis von 47 Indikatoren entwickelt. Laut den Autoren kommt diese hohe Anzahl von Indikatoren den Herausforderungen in einer heterogenen und föderalistisch geprägten schweizerischen Gemeindelandschaft entgegen. Der Fusions-Check soll in erster Linie der fusionierten Gemeinde bei ihrer Weiterentwicklung helfen. An diesem Beispiel kann man sehen, dass eine objektive Evaluation von Gemeindefusionen durchaus Sinn macht. Die Bürger(innen) werden darüber informiert, in welchen Bereichen die versprochenen Verbesserungen in welchem Umfang umgesetzt wurden - oder auch nicht.
Die FH Graubünden hat in einer Studie aus dem Jahr 2020 (3) insgesamt 46 Gemeindefusionen in fünf Kantonen auf Basis von zehn Hauptkriterien untersucht: finanzielle Leistungsfähigkeit, Professionalität, Außenwirkung, Standortattraktivität, Mitwirkung, politisches Engagement, „Filz“/„Vetterliwirtschaft“, Bürgernähe, soziale Integration und die Identifikation mit der Gemeinde. Sie fokussiert sich auf wirtschaftliche, demokratische und gesellschaftliche Effekte von Gemeindefusionen und zieht eine recht positive Bilanz. Bei sieben Kriterien zeigt sich im Schnitt eine positive Entwicklung, so zum Beispiel bei der Außenwirkung (+18 Prozent), Professionalität (+14 Prozent), soziale Integration (+13 Prozent). Negative Resultate gab es bei den Themen „politisches Engagement“ (-10 Prozent) und „Bürgernähe“ (-3 Prozent).
Es entzieht sich der Kenntnis des Autors, ob die eine oder andere Luxemburger Fusionsgemeinde sich ein Evaluationsinstrument als Teil ihres Fusionsprozesses gegeben hat. Im Interesse der Bürger(innen) und der politischen Mandatsträger wäre es sehr begrüßenswert, vor, während und nach dem Fusionsprozess auf Fakten zurückgreifen, um die doch oft sehr emotionalen Fusionsdiskussionen mit klaren und belastbaren Argumenten zu führen.
Ein passendes (nationales) Evaluationsinstrument würde auch erlauben, das Monitoring des Fusionsprozesses so zu gestalten, dass etwaige Abweichungen zu den gesetzten Zielen zeitnahe mit den entsprechenden Maßnahmen korrigiert würden. Könnte die Akzeptanz von Fusionen auf diese Weise möglicherweise sowohl ex ante als auch ex post wesentlich erhöht werden?
* Der Autor ist Betriebswirt, Mitglied der LSAP-Osten und gehörte von 2005 bis 2011 dem Gemeinderat Wellenstein an und war somit einer der Wegbereiter hin zur Fusionsgemeinde Schengen.
(1) https://gouvernement.lu/de/dossiers.gouv_mint%2Bde%2Bdossiers%2B2021%2BFusions-de-communes.html (Zugriff am 1. Januar 2023)
(2) https://www.fhgr.ch/fh-graubuenden/unternehmerisches-handeln/zentrum-fuer-verwaltungsmanagement-zvm/projekte/fusions-check/ (Zugriff am 1. Januar 2023)
(3) Derungs, C., & Fetz, U. (2020). „Gemeindefusionen in der Schweiz: Evaluation der wirtschaftlichen, demokratischen und gesellschaftlichen Effekte.“ Swiss Yearbook of Administrative Sciences, 11(1), pp. 108–128. DOI: https://doi.org/10.5334/ssas.131
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