„Bei fast allen Parteien ist feministisches Potenzial vorhanden“
„Bei fast allen Parteien ist feministisches Potenzial vorhanden“
Politisch geht es in Gleichstellungsfragen nur im Schneckentempo voran, stellt das CID Fraen an Gender fest. Im Vorfeld der Parlamentswahlen wurden deshalb 29 Forderungen für eine gendersensible Politik ausgearbeitet.
Eingeflossen sind Anliegen der Plattform JIF und der ASTI sowie einzelne Ideen der im Parlament vertretenen Parteien. Ihnen hatte das CID Fraen an Gender 30 Fragen gestellt, um herauszufinden, wie feministisch sie eingestellt sind. Feministisches Potenzial sei durchaus vorhanden, lautet das Fazit. „In verschiedenen Punkten herrscht große Einigkeit, deshalb kann man sich eigentlich fragen, warum manches nicht längst umgesetzt wurde“, so die Direktionsbeauftragte Isabelle Schmoetten am Donnerstag während einer Pressekonferenz.
Auf einer Linie in verschiedenen Bereichen
Fünf von sieben Parteien unterstützen die Forderung, genderspezifische Aspekte in die Ausbildung des Lehrpersonals zu integrieren. Dass Endometriose als Krankheit anerkannt und eine bessere Aufklärung sowie Behandlung gewährleistet werden muss, stößt bei fünf Parteien auf Zustimmung. Mit einer Ausnahme sind alle der Meinung, dass die Erkennung und Prävention von Gewalt fester Bestandteil der Ausbildung von Polizei, Justiz und Gesundheitspersonal sein muss. „Seit Jahren gibt es Anstrengungen, um genderspezifische Gewalt zu bekämpfen. Die Zahl der Femizide zeigt aber, dass in Sachen Prävention immer noch zu wenig passiert“, unterstreicht Schmoetten.
Sechs von sieben Parteien haben konkrete Ideen, wie eine geschlechtersensible Verkehrspolitik umgesetzt werden könnte. Nötig sei eine Bestandsaufnahme, um die unterschiedlichen Bedürfnisse zu identifizieren. „Ohne Daten wissen wir nicht, woran wir arbeiten müssen“, verdeutlicht die Gender-Kulturbeauftragte des CID, Claire Schadeck. Eine externe Expertengruppe solle gendersensible Strategien entwickeln. Wichtig sei in diesem Kontext auch die paritätische und diverse Besetzung der Entscheidungsgremien, um nachhaltigere Entscheidungen zu garantieren.
Es reicht nicht, wie es verschiedene Ministerinnen und Minister gerne tun, von eigenen Erfahrungen oder Meinungen auszugehen.
Isabelle Schmoetten, Direktionsbeauftragte vom CID Fraen an Gender
Wichtigkeit von genderspezifischen Daten wird unterschätzt
Während es in bestimmten Bereichen demnach eine große Veränderungsbereitschaft gebe, würden andere Themen weit weniger ernst genommen, stellt die Direktionsbeauftragte des CID fest. „Es fehlt an Verständnis für deren Wichtigkeit“, beklagt sie und nennt als Beispiel die Nutzung genderspezifischer Daten, die auch noch über die Zweigeschlechtlichkeit hinausgehen müssten.
„Generell fehlt es hier im Land an Statistiken, die verlässlich und wissenschaftlich geprüft sind. Eine sinnvolle und gute Politik kann man nur machen, wenn man weiß, wofür man sich einsetzen muss. Dazu muss die Situation analysiert werden. Es reicht nämlich nicht, wie es verschiedene Ministerinnen und Minister gerne tun, von den eigenen Erfahrungen oder Meinungen auszugehen“, kritisiert Schmoetten.
Generell fehlt es hier im Land an Statistiken, die verlässlich und wissenschaftlich geprüft sind.
Isabelle Schmoetten, Direktionsbeauftragte vom CID
Die Wichtigkeit des intersektionalen Ansatzes werde derweil von allen Parteien unterschätzt. „Wir fordern eine intersektionale Gleichstellungspolitik mit gezieltem Einsatz für rassifizierte und queere Frauen sowie Frauen mit Behinderung. Dazu ist ein regelmäßiger Austausch mit betroffenen Personen notwendig“, sagt Claire Schadeck. Die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen müssten bei sämtlichen politischen Entscheidungen berücksichtigt werden. Diesbezüglich geht die Rede von „intersektionalem Gender-Mainstreaming“.
Mehrfachdiskriminierungen finden zu wenig Beachtung
Dass dies noch nicht bei allen Parteien angekommen sei, würden Aussagen zeigen, wonach man sich gleichermaßen für alle Menschen einsetzen müsse. „Das stimmt natürlich. Das zeigt aber auch, dass es kein Bewusstsein dafür gibt, dass bestimmte Personengruppen aufgrund ihrer Identifizierungsmerkmale einer zusätzlichen Diskriminierung ausgesetzt sind. So ist eine weiße Frau etwa einer sexistischen Diskriminierung ausgesetzt und eine schwarze Frau zusätzlich einer rassistischen Diskriminierung“, veranschaulicht Schadeck und spricht von Mehrfachdiskriminierungen.
Gefordert wird außerdem, Gender-Budgeting als Grundprinzip der Staatsfinanzierung umzusetzen. „Jedes Mal, wenn der Staat Geld investiert, muss darauf geachtet werden, dass alle Geschlechter gleichermaßen betroffen sind. Die Finanzierung von Projekten kann nämlich indirekt einen Einfluss auf die Gleichberechtigung haben“, gibt Schmoetten zu bedenken.
Das Geschlecht allein reicht nicht, um eine feministische Politik zu machen.
Claire Schadeck, Gender-Kulturbeauftragte des CID
Genderrelevante Themen sind keine Priorität
„Für keine Partei sind genderrelevante Themen eine absolute Priorität. Wenn man sich die Antworten der aktuellen Regierungsparteien anschaut, erkennt man ebenfalls große Unterschiede. Das erklärt, wieso es bei manchen gleichstellungspolitischen Themen nicht vorangeht“, schlussfolgert Isabelle Schmoetten.
Auch wenn das CID für eine paritätische Regierung und Chamber oder auch noch Entscheidungsgremien eintritt, ist man sich bewusst, dass es damit nicht getan ist. „Das Geschlecht allein reicht nicht, um eine feministische Politik zu machen. Es gibt darüber hinaus auch viele feministische Männer. Ziel soll eine größere Diversität sein, bezogen auf das Geschlecht, die Nationalität, das Alter und so weiter, um möglichst viele Perspektiven einzubringen“, so Claire Schadeck.
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