Amnestys Licht in einer finsteren Welt
Amnestys Licht in einer finsteren Welt
Von Bérengère Beffort
2016 war aus Sicht der Menschenrechte ein düsteres Jahr. Kritische Stimmen wurden mundtot gemacht. Das beschreibt der jüngste Jahresbericht vom Amnesty International.
Zehntausende Regimekritiker und Andersdenkende wurden verfolgt, gefoltert, massiv hingerichtet. Aber auch über die Wahnvorstellungen von Diktatoren hinaus, macht sich eine besorgniserregende Stimmung breit, mahnt die Menschenrechtsorganisation. Westliche Demokratien neigen zunehmend dazu, unnuanciert vorzugehen. Sie grenzen aus, sie verbreiten feindliche Aussagen. Wenn US-Präsident Trump Menschen ihre Rechte verweigert, wenn Bürger in der Türkei für ihre Meinungen verhaftet werden, sagt das auch etwas über uns aus. Denn die Welt schaut zu.
Wieso die jüngsten Entwicklungen brandgefährlich sind und was wir unternehmen sollten, skizziert der Direktor von Amnesty Luxemburg, Stan Brabant, im Gespräch mit "wort.lu".
- Der Generalsekretär von Amnesty International sagte zum Jahresbericht, dass "die Welt 2016 finsterer und unsicherer wurde". Was hat es damit auf sich?
Stan Brabant: Es ist eine besorgniserregende Tendenz. Regierungen und politische Gruppierungen spalten die Menschen. Sie greifen Ausländer, Frauen, Glaubensgemeinschaften an. Die Präsidentschaftskampagne von Donald Trump war ein gefährliches Gebräu mit beleidigenden, abfälligen Äußerungen. Auch die Brexit-Befürworter haben sich zweifelhafter Vergleiche und verbaler Entgleisungen bedient. Diese hetzerische Rhetorik ist extrem gefährlich. Sie hinterlässt tiefe Spuren in der Gesellschaft. Es ruft finstere Instinkte hervor, und gibt den Anschein, dass gemeinsame Standards nicht mehr respektiert werden sollten.
- Einzelne Menschen oder Gruppierungen zu beschimpfen ist eine Sache. Inwiefern handelt es auch um Angriffe auf die Menschenrechte?
Über die spalterischen Äußerungen hinaus, werden grundlegende Rechte und Pfeiler der Menschenrechte mit Füßen getreten. Es wird vereinfacht und banalisiert. Staatschefs setzen sich über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, europäische Grundtexte und die Genfer Flüchtlingskonvention hinweg. Es sind nicht nur einzelne Ausgrenzungen oder Einschränkungen. Hier geht es um fundamentale Angriffe auf ein Wertesystem. Die Demokratie wird ausgehöhlt. Als Beispiel könnte man die Härte von Orban in Ungarn, Erdogan in der Türkei oder Duterte auf den Philippinen anführen. Aber es geht darüber hinaus. Auch westliche EU-Staaten beschneiden Standards. Da wären die Antiterrorgesetze in Frankreich, oder der Umgang vieler EU-Länder mit den Migranten.
Es ist besser eine Kerze anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen.
- Und das sollte uns nicht gleichgültig lassen ...
Nach den Gräueltaten des Zweiten Weltkrieg, nach dem Krieg in den Balkanstaaten und dem Völkermord in Ruanda hieß es immer wieder: "Das soll nie mehr passieren". Leider bleiben Gesellschaft und Politik zu oft passiv. Es gibt sicherlich positive Beispiele von Mobilisierungen, aber insgesamt sollten die Menschenrechte verstärkt verteidigt werden. Sehen Sie nur, was in Syrien in der Haftanstalt Saydnaya passierte. Tausende Zivilisten erlitten jahrelang schwere Folter und Misshandlungen. In vielen Ländern können die Einwohner ihre Rechte nicht einklagen. Ein Facebook-Eintrag oder ein Schriftstück gegen das Regime kann schon schlimme Folgen haben. Das sollten wir nicht einfach so hinnehmen. Unsere Demokratien sind leider wie gelähmt.
- Worauf ist diese Schwäche zurückzuführen?
Die Gründe sind vielfältig. Eine allgemeine Verunsicherung, wirtschaftliche Ungewissheiten, die Verbreitung falscher Nachrichten in den sozialen Medien, und das Verhalten von Politikern treffen hier aufeinander. Wir brauchen mehr Bewusstsein und Anteilnahme, mehr Öffentlichkeit und Druck. Eine Frage lautet: Nehmen wir Menschenrechtsverletzungen einfach so in Kauf? Wenn nicht, dann müssen wir uns z. B. verstärkt mit den Rückführungen von Migranten beschäftigen. Die Türkei kann unter den jetzigen Umständen nicht als sicheres Land gewertet werden. Wir müssen zusammen für die Menschenrechte eintreten.
- Was kann jeder Einzelne tun?
Wir erleben eine sehr kritische Zeit. Das Prinzip der Gewaltenteilung wird in Frage gestellt, schrittweise wird die Demokratie unterhöhlt. Es geht also nicht nur darum, bei Wahlgängen seine Meinung als Wähler einzubringen, sondern auch darüber hinaus grundlegende Werte zu verteidigen. In den USA protestieren viele Menschen in den Straßen. Man kann Petitionen unterzeichnen oder Regierenden Briefe zukommen lassen. So wie es auch Amnesty International versteht, kann man sich an einem chinesischen Sprichwort orientieren: Es ist besser eine Kerze anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen.
Der Jahresbericht 2016/2017 von Amnesty International ist hier auf der Webseite der Menschenrechtsorganisation abrufbar.
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