Wie viel CO2 hat ein Rüebli?
Wie viel CO2 hat ein Rüebli?
Eine gebratene Pouletbrust liegt auf dem Teller, darunter ein brauner Saucenspiegel, daneben frittierte Kartoffeln und gemischtes Gemüse. Ein Mittagsteller, wie er in jeder Betriebskantine, in jeder Mensa angeboten werden könnte. Doch unterscheidet er sich vom herkömmlichen Menü 2: Er hat eine vergleichsweise erfreuliche CO2-Bilanz.
Gegessen werden kann dieser Teller im Technopark in Zürich, genauer im Selbstbedienungsrestaurant Villaggio, wo täglich zwischen 300 und 400 Menüs verkauft werden. Das Lokal wird von der Compass Group betrieben, Küchenchef ist Daniel Mietusch. Seit kurzem benützt er bei der Menüplanung einen Klimarechner von Eaternity, damit stellt er täglich ein Gericht so zusammen, dass es aus möglichst klimafreundlichen Komponenten besteht: „Der zeitliche Aufwand dafür hält sich in Grenzen“, sagt er. Man müsse halt darauf achten, dass das Gemüse möglichst saisonal sei. Dass die Pouletbrust aus dem Inland komme, nicht aus Brasilien. Konkrete Zielsetzungen wurden ihm von Unternehmungsseite bis jetzt keine gesetzt, grundsätzlich sei man am Ausprobieren, welche CO2-Einsparungen mit dem Eaternity-Tool möglich sind.
Rund um den Küchenchef wird grad alles für den großen Ansturm am Mittag vorbereitet. In einer Fritteuse baden Kartoffeln in heißem Öl. Mit einer badewannen-großen Industriepfanne brät einer 20 Pouletschnitzel an. Ein anderer gibt noch eine Prise Pfeffer aus der Mühle übers Gemüse. Mietusch spricht währenddessen mit einem Mann, der als einziger hier in der Küche keine weiße Kochschürze trägt, sondern ein grünes Jacket. Es ist Manuel Klarmann, der CEO von Eaternity.
Von ihm und seinem Team wurde der besagte Klimarechner entwickelt; mit der Compass-Group ist der Organisation gelungen, einen dicken Fisch ins Boot zu holen: Die Unternehmung ist spezialisiert auf Gemeinschaftsgastronomie und führt schweizweit rund 230 Betriebe. Vor kurzen hat sie sich auf die Fahnen geschrieben, den C02-Verbrauch bis ins Jahr 2020 um 20 Prozent zu reduzieren – immerhin wird rund ein Drittel aller CO2-Immissionen durch die Ernährung verursacht. Bei der Umsetzung arbeiten Eaternity und Compass eng zusammmen; zurzeit sind 44 Restaurants an einer ersten Testphase beteiligt. Dort werden die CO2-Einsparungen auch den Gästen kommuniziert – denn man soll Gutes ja nicht nur tun, sondern auch darüber sprechen.
Unternehmer oder Aktivist?
CEO Klarmann hat 2008 mit anderen das Fundament für Eaternity gelegt: „Wir hatten gemerkt, dass ein Bindeglied zwischen Wissenschaft und Praxis fehlte.“ Anders ausgedrückt: Was nützen die besten Studien über den CO2-Verbrauch von Rüebli und Rindfleisch, wenn die Köche und deren Kundschaft nichts davon mitbekommen? Zusammen mit seiner Partnerin Judith Ellens gründete Klarmann erst eine NGO, die vier Jahre später zu einem Start-Up gewachsen ist: „Wir sahen, dass wir mit unserer Idee auch unseren Lebensunterhalt verdienen können“, sagt der studierte Mathematiker. 2013 knüpfte man erste Kontakte mit der Compass Group, im folgenden Jahr wurde Eaternity durch eine AG ergänzt, die es brauchte, um die Zusammenarbeit mit dem Gastrounternehmen in Vertragsform zu konsolidieren. Unweigerlich fragt man sich, ob Klarmann denn nun Unternehmer oder Aktivist ist. „Ich bin beides, je etwa zur Hälfte“, sagt er, „es gab schon Deals, die wir nicht eingegangen sind, weil sie nicht zu Eaternity passten.“ Sechs Personen arbeiten zurzeit bei Eaternity, sie belegen 450 Stellenprozente. Finanziert werden diese durch die 1 300 Franken, die jeder beteiligte Restaurationsbetrieb pro Jahr für die Dienstleistung bezahlt. Worin besteht denn diese Dienstleistung konkret? „Wir arbeiten in drei Bereichen“, erklärt Klarmann: Auf Software-Seite entwickeln wir den CO2-Rechner, die sogenannte Eaternity Cloud, diese ermöglicht den reibungslosen Ablauf der klimafreundlichen Menüplanung im Restaurant. Im Bereich der Wissenschaft gehe es darum, die aktuellen Studien aus dem Bereich Klima und Ernährung zu sammeln, abzugleichen und „inzwischen erarbeiten wir diese sogar selber“. Und natürlich, dies sei der dritte Sektor, kümmere man sich um die aktive Zusammenarbeit mit der Gastronomie. Dazu gehört das Erstellen von monatlichen Reports für die beteiligten Restaurants über deren CO2-Bilanz, die Promotion eines entsprechenden Labels, die Akquisition neuer Kunden. „Wir haben uns das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis in drei Jahren fünf Unternehmungen in der Größenordnung der Compass-Gruppe zu unseren Kunden zu zählen.“ Umgerechnet etwa 4 000 Restaurants wolle man dann betreuen, derzeit führe man Verhandlungen in Deutschland, Österreich, Holland, England und Frankreich.
50 Parameter berücksichtigt
Worin unterscheidet sich denn der Klimarechner von Eaternity von herkömmlichen Methoden, die den CO2-Ausstoß berechneten? Worin liegt etwa der Unterschied zu Ökoberatungen, die von Konkurrenten angeboten werden? Natürlich verwende man zum Teil die gleichen Parameter, wenn es darum gehe, die Ökobilanz eines Tellers Spaghetti Bolognese zu berechnen, sagt Klarmann. Dazu gehören Wasser- und Düngerverbrauch oder die Erntezeit; man arbeite dafür eng mit der Hochschule ZHAW in Wädenswil zusammen. Speziell sei jedoch, dass man noch eine Handvoll dynamischer Komponenten miteinbeziehe: War ein Gemüse im Gewächshaus? Welchen Transportweg musste es zurücklegen? Wie lange musste es gelagert werden? Welche Verpackungen wurden verwendet? Musste eine Zutat sogar gefroren werden? Insgesamt habe man pro Produkt etwa 50 solcher Parameter, die man der Einfachheit halber alle in Kilogramm CO2 umrechne, damit man die Zutaten eines Menüs auch miteinander vergleichen könne.
Manuel Klarmann ist davon überzeugt, dass gerade das Essen der richtige Bereich sei, um etwas zum Klimaschutz beizutragen: „Essen muss schließlich jeder täglich.“ Hinzu komme, dass das Essen geeignet sei, die Leute überhaupt für die Thematik zu sensibilisieren.
Inzwischen ist es zwölf Uhr. Die ersten Mittagsgäste sitzen an den Tischen des Restaurants Villaggio und essen ihr Menü. Tatsächlich sieht man da und dort die Pouletbrust mit Kartoffeln und Gemüse. Ob sie denn das Eaternity-Menü gewählt hätten, weil es klimafreundlich sei, macht man bei ein paar wenigen Essern die Stichprobe. Nein, wird gleich mehrfach geantwortet, sie hätten einfach Lust aufs Menü 2 gehabt.
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