Kreuzfahrten: Havarie eines Traums
Kreuzfahrten: Havarie eines Traums
Die Kritiker fühlen sich bestätigt – doch dass es dazu einen Unfall braucht, ist umso tragischer: Ein 275 Meter langes Kreuzfahrtschiff geriet am Sonntag vor Venedig außer Kontrolle und rammte eine Anlegestelle sowie ein mit 130 Personen besetztes Touristenboot. Vier Menschen wurden dabei verletzt. Tote, wie beim Bootsunglück in der vergangenen Woche in Budapest, wo noch immer einige Passagiere eines Ausflugsbootes, das mit einem Flusskreuzfahrtschiff kollidierte, vermisst werden, sind zum Glück nicht zu beklagen.
1,5 Millionen Reisende bringt laut Angaben der Deutschen Presseagentur die Kreuzfahrtindustrie jedes Jahr in die Lagunenstadt. Doch die riesigen Schiffe und die damit einhergehenden Touristenmassen sorgen nicht nur für Unmut bei den Einwohnern: Das ökologische Gleichgewicht der Lagune sei in Gefahr, klagen Umweltschützer seit Jahren. Zudem seien Unglücke auf dem Wasser nicht auszuschließen – wie der Sonntag nun bewies.
Panik an der Anlegestelle
Beim Anfahren an der Haltestelle San Basilio im zentralen Kanal von Giudecca habe der Motor des Kreuzfahrtschiffes „MSC Opera“ beschleunigt statt abzubremsen, erklärte Davide Calderan, Präsident der Schlepperfirma „Rimorchiatori Uniti Panfido“. An der Anlegestelle hat kurzzeitig große Panik geherrscht, einige Passagiere des Ausflugsschiffes sind vorsichtshalber ins Wasser gesprungen. Die anschließende Rettungsaktion verlief äußerst geregelt ab. Schwerverletzte oder Todesopfer blieben aus.
„Ich war am Samstag noch in Venedig auf der ,MSC Musica‘ (ebenfalls ein Schiff der Kreuzfahrtgesellschaft MSC Cruises, Anm. d. Red.) und kann Ihnen versichern, dass alle Manöver zum Anlegen ganz gekonnt und professional durchgeführt wurden“, berichtet Frank Linster, Managing Director beim Reiseunternehmen Neptun Cruises in Esch/Alzette. Jedes Schiff werde sowohl am Bug wie auch am Heck von Schleppern durch den Kanal gezogen. Ein Lotse würde dabei auf der Brücke sämtliche Manöver während der Durchfahrt vom Kanal bis zur Anlegestelle dirigieren. Dies betont auch Marc Barnich, Verwaltungsdirektor vom Reiseunternehmen Cruisopolis in Luxemburg-Merl.
Unfälle nicht auszuschließen
„Man darf jedoch nicht außer Acht lassen, dass jedes Schiff, unabhängig von der Wasserverdrängung, eine minimale Geschwindigkeit braucht, um überhaupt manövrierfähig zu bleiben“, so Linster. Wenn dann ein Seil reißt – oder es, wie in diesem Fall, zu einem technischen Defekt kommt – könne ein solches Unglück leider vorkommen.
Zu Auswirkungen auf die Buchungen oder vermehrten Rückfragen hätten die beiden Vorfälle nicht geführt, wie beide Unternehmen bestätigen. „Eventuell möchten verschiedene Kunden etwas mehr Erklärungen dazu, jedoch muss man auch bemerken, dass die Sicherheitsvorkehrungen immer strenger werden“, macht Linster deutlich. Dies gelte nicht nur für die Schiffe und Kreuzfahrtgesellschaften, sondern auch für die Reiseunternehmen, die an eine Vielzahl von Vorschriften gebunden sind. „Des Weiteren werden jede Woche, sobald das Schiff an Land liegt und die Passagiere von Bord sind, sehr intensive Sicherheitsübungen mit dem Personal vorgenommen.“
Marc Barnich geht davon aus, dass von Seiten der Kreuzfahrtunternehmen noch Reaktionen folgen werden. „Die jeweiligen Untersuchungen müssen ergeben, wie eventuelle Sicherheitslücken – wenn denn welche vorliegen – behoben werden können.“
Klärung der Vorfälle
MSC Cruises geht derweil äußerst professionell mit dem Vorfall in Venedig um: Die „MSC Opera“ wird bis Freitag, bis zum Abschluss der laufenden Untersuchungen, vor Ort bleiben und erst dann die Fahrt in Richtung Süditalien fortsetzen. Das Unternehmen mit Sitz in Genf kündigte an, den Fahrgästen den vollen Preis zu erstatten – auch wenn diese noch bis zum Ende der Reise an Bord bleiben. Derweil diskutieren Politiker weiter über ein mögliches Verbot von Kreuzfahrtschiffen vor Venedig – wobei keine der Parteien auf eine schnelle Regelung spekuliert.
In Budapest geht nach dem verheerenden Unglück vom vergangenen Mittwoch die Suche nach den Vermissten weiter. Bisher wurden neun tote Passagiere des Ausflugsschiffes „Hableany“ geborgen. 19 Menschen – alle davon aus einer südkoreanischen Reisegruppe – werden noch vermisst. Starke Strömungen verhinderten bislang die Bergung des Bootes.
Der ukrainische Kapitän des Kreuzfahrtschiffes „Viking Syring“ war bereits am Wochenende verhaftet worden. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn der Gefährdung der Schifffahrt mit Todesfolge, wie Medien berichten. Sie befürchten Fluchtgefahr, da der Mann Ausländer sei und über Ortskenntnisse verfüge. Dessen Rechtsanwalt hatte gegen die Anschuldigungen Einspruch eingelegt – mit der Begründung, dass es noch keinerlei technisches Gutachten zum Unglück gebe.
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