Der Spatz im Tempel des Pharao
Der Spatz im Tempel des Pharao
Von Rainer Holbe
Wer für das Fernsehen arbeiten darf, lernt die Wunder dieser Welt kennen. Nichts ist spannender, als irgendwo in einem Land abseits der großen Touristenströme die Kamera aufzubauen und sich auf die Suche zu begeben. Unsere Kamera, montiert auf einen Mini-Roboter, kroch in die verwinkelten Gänge der Cheops-Pyramide und stoppte nur vor einer kleinen Tür mit einem eisernen Griff, dem einzigen Metall in diesem gewaltigen Bauwerk.
Auch der Stufenpyramide von Sakkara rückten wir mit unseren Geräten auf ihren steinernen Leib. „Reise in die Zeit“ nannten wir unsere Ausbeute, die auf internationalen Kanälen später zu sehen war.
Für mich ist die Suche nach seinem Sinn zum spannendsten Abenteuer unserer Existenz geworden.
Bei den Dreharbeiten im Sethos-Tempel von Abydos kam es für mich zu einem bedeutungsvollen Erlebnis. Natürlich empfand ich Ehrfurcht vor den gewaltigen Säulen, vor der Leistung früher ägyptischer Baumeister, gewaltigen Steinen eine ästhetische Form zu geben. Dann sah ich in einer der Nischen einen Spatzen sitzen. Der Vogel beäugte die Schar drängelnder Touristen und spähte offenbar nach etwas Fressbaren.
Da begriff ich: Nicht der grandiose Tempel war die Sensation, nicht die lobenswerte Leistung seiner Architekten und Steinmetze. Es war der Spatz, das Wunder des Lebens, an das wir uns alle schon so sehr gewöhnt haben.
Bereits vor 3.000 Jahren konnten Menschen gewaltige Steine aufeinandertürmen, genial und kaum nachvollziehbar, sodass wir sie noch heute betrachten dürfen. Ein Wesen jedoch wie den kleinen Spatzen hat bisher noch kein Mensch konstruiert, in keinem Labor und in keiner Denkwerkstatt dieser Welt. Auch ein Gänseblümchen, auf das wir im Sommer versehentlich treten, ist kein Menschenwerk.
Beide – Spatz wie Blume – legen Zeugnis ab vom Phänomen des Lebens, unergründlich und voller Rätsel. Keiner der großen Denker hat es uns vermitteln können, niemand ist auf seine Spur gekommen. Ob Dante oder Sophokles. Ob Archimedes oder Descartes mit seinem „Ich denke, also bin ich“. Für mich ist die Suche nach seinem Sinn zum spannendsten Abenteuer unserer Existenz geworden.
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