Darum ist Wandern in Luxemburg härter als Island im Winter
Darum ist Wandern in Luxemburg härter als Island im Winter
Interview: Charles Michel; deutsche Bearbeitung: Nathalie Roden
Thomas Dardare, aufgewachsen in einem abgelegenen Örtchen inmitten der französischen Alpen, und Ludovic Schinker, der aus Thionville stammt und fünf Jahre lang als Gebirgsjäger bei der französischen Armee diente, leben seit mehreren Jahren im Großherzogtum. Ausgestattet mit Kompass und Plastik-Lama wanderten sie kürzlich quer durch Luxemburg, von Nord nach Süd – und drehten einen Film darüber.
Thomas Dardare, Ludovic Schinker, beginnen wir zur Abwechslung mit dem Schluss. In Ihrem Video sagt Ludovic: „Mama, ich habe getan, was du mir gesagt hast. Ich habe meinen Traum verwirklicht. Ich habe meinen Job aufgegeben, um YouTuber zu werden.“ Mit 32 Jahren. Ist das ein Scherz?
Ludovic: (lacht) Nein! Ich habe meine Stelle als Sales Manager bei einem Marketingunternehmen gekündigt, genau wie Thomas, der noch bis Ende des Monats bei Axa angestellt ist. Von nun an werden wir uns wirklich nur noch auf unseren YouTube-Kanal „Seek to Fail“ (Suche nach dem Scheitern, Anm.d.Red.) konzentrieren.
Thomas: Wir wollten uns eine Auszeit gönnen, um demnächst Asien zu erkunden. Aber nicht als Touristen, die Geld ausgeben und konsumieren. Am 1. November werden wir mit einem Videoprojekt nach Indonesien reisen. Das Wichtigste dabei ist, etwas zu erschaffen.
Wie wollen Sie das Projekt finanzieren?
Thomas: Mit „Work Away“, im Rahmen dessen man für lokale Unternehmen oder Einwohner arbeitet und im Gegenzug Kost und Logis erhält. So kann man quasi kostenlos reisen.
Bevor wir auf die Durchquerung des Großherzogtums zu sprechen kommen: Haben Sie schon einmal eine solche Reise unternommen, die Sie filmisch dokumentiert haben?
Thomas: Wir haben Island mitten im Winter durchquert, aber auch einige andere Wanderungen und einen Klettersteig absolviert. Am Anfang waren unsere Videos allerdings nicht so gut. Das Erste haben wir nicht einmal veröffentlicht.
Wenn du Angst vor dem Scheitern hast, wirst du nie etwas unternehmen.
Ludovic Schinker
Ludovic: Am Anfang waren wir bloß zwei Freunde, die in den Urlaub fahren, um gemeinsam herumzublödeln. Nach und nach fanden wir aber Gefallen an dem Spiel mit der Kamera und da wir gutes Feedback bekamen, haben wir uns darauf eingelassen. Daher auch unsere Expedition nach Island im Januar dieses Jahres.
Im Vergleich zu dieser Reise muss Ihnen die Durchquerung Luxemburgs wie ein Kinderspiel vorgekommen sein …
Thomas: Nein, der Weg vom Norden bis in den Süden Luxemburgs war härter. Wir wollten die 100 Kilometer in einem Stück schaffen, aber das Wetter hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir sind in Schmëtt (Huldingen, Anm.d.Red.) im Regen gestartet. Als wir in der Nähe von Wiltz ankamen, waren wir bereits komplett durchnässt.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Luxemburg zu Fuß zu durchqueren?
Thomas: Wir wohnen in Bonneweg, also kennen wir Luxemburg-Stadt, aber nicht wirklich das Land. Natürlich waren wir schon in Echternach oder in der Kleinen Schweiz, aber das war’s auch schon.
Ludovic: Wie die meisten Einwanderer …
Thomas: Außerdem haben wir festgestellt, dass Luxemburg derart „safe“ ist, dass es sehr schwierig ist, seine eigene Komfortzone zu verlassen. Es wird alles daran gesetzt, dass man das ja nicht tut. Der beste Ausweg aus dieser Situation erschien uns darin, aktiv das Scheitern zu suchen.
Ludovic: Wenn du Angst vor dem Scheitern hast, wirst du nie etwas unternehmen.
Thomas: Als wir inmitten dieses Wolkenbruchs gestartet sind, wussten wir genau, dass wir die Durchquerung nicht in einem Stück schaffen würden. Dass wir scheitern würden. Doch statt das Vorhaben komplett abzubrechen, haben wir die Wanderung einfach einige Tage später fortgesetzt. Als wir wieder in Wiltz aufgebrochen sind, hatten wir noch 70 Kilometer vor uns. Dabei war ich noch nie mehr als 22 Kilometer am Stück gewandert.
Luxemburg ist fast unheimlich, man hat das Gefühl, in Disneyland zu sein.
Thomas Dardare
Was hat es mit dem Lama-Schwimmreifen auf sich, den Sie unterwegs mit sich herumgeschleppt haben?
Ludovic: Das ist Francis (lacht) … Er ist quasi unser Rettungsring.
Thomas: Der Reifen ist ein absurdes Accessoire, das die Blicke auf sich zieht und die Kontaktaufnahme erleichtert. Diese Taktik funktioniert auch auf Partys, mit einem dämlichen Hut etwa.
Ludovic: Als wir am Straßenrand im Regen standen und bis auf die Knochen durchnässt waren, haben sich manche Autofahrer bestimmt gefragt, wer diese beiden Idioten in kurzen Hosen mit ihrem Schwimmreifen auf dem Rücken sind.
Entsprach die Gegend, die Sie auf Ihrer Wanderung kennengelernt haben, Ihren Erwartungen?
Ludovic: Absolut nicht! Es ist sehr grün und ländlich, wie ein großer Teil des Landes, sobald man die Hauptstadt verlässt. Außerdem waren alle ziemlich herzlich.
Thomas: Es ist deutlich vielfältiger, als ich es mir vorgestellt hatte. Wir kamen durch Dörfer, die wie Mini-Gemeinschaften wirkten.
Sie werden Luxemburg bald den Rücken kehren – wahrscheinlich für immer. Was bleibt Ihnen in Erinnerung?
Thomas: Es ist größer, als man es sich vorstellt, und auch wilder. Was mich beeindruckt hat, ist der materielle Reichtum. Alle Dörfer sind blitzblank, die Häuser scheinen neu zu sein. Es ist fast unheimlich, man hat das Gefühl, in Disneyland zu sein. (lacht)
Ludovic: Ich komme aus Thionville und es stimmt, dass es auf der anderen Seite der Grenze, in Frankreich, nicht so ist. Hier in Luxemburg hat man wirklich eine hohe Lebensqualität und ein enormes Sicherheitsgefühl.
War das der ausschlaggebende Punkt, warum Sie sich damals entschieden haben, in Luxemburg zu leben?
Ludovic: Ich wollte lieber Geld verlieren, aber dafür Zeit gewinnen. Es wäre unvorstellbar gewesen, Grenzgänger zu sein.
Thomas: Dasselbe gilt für mich. Ich will keine Zeit im Verkehr verlieren. In unserem Alter haben die meisten bereits ein Haus gekauft. Für mich ist meine Freiheit wichtiger als mein materieller Komfort.
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