„ChatGPT“: Fluch oder Segen für Schule und Arbeit?
„ChatGPT“: Fluch oder Segen für Schule und Arbeit?
Spätestens seit „Alexa“, „Siri“ und Co. sind wir es gewohnt, mit Computern zu sprechen. Die Programme spielen seit einigen Jahren unsere gewünschten Playlists ab, navigieren uns durch den Verkehr oder beantworten einfache Fragen, die wir uns im Alltag stellen. Werden die Aufträge aber komplexer, so bemerkt man schnell, dass den Fähigkeiten dieser Helferlein Grenzen gesetzt sind. Man gibt als Nutzer frustriert auf und erkennt, dass der Sprachassistent des Raumschiffs Enterprise im wahrsten Sinne noch Zukunftsmusik ist.
Einen Meilenstein auf dem Weg in Richtung Science-Fiction hat nun das kalifornische Unternehmen OpenAI erreicht. Gegründet wurde die Tech-Schmiede im Jahr 2015 von Elon Musk, Sam Altman und anderen. Musk hat im Februar 2018 aufgrund eines Interessenkonflikts von dem Unternehmen Abstand genommen, da sich sein Autohersteller Tesla ebenfalls mit Künstlicher Intelligenz (KI) beschäftigt. 2019 investierte Microsoft eine Milliarde Dollar in das Unternehmen.
Mit seiner neuen Software „ChatGPT“ zeigt OpenAI eindrucksvoll, wozu KI schon heute imstande ist. Öffentlich gestartet ist „ChatGPT“ am 30. November. Wie groß der Hype um das Projekt ist, war schon fünf Tage später klar, als sich bereits eine Million Nutzer bei OpenAI angemeldet hatten. Mittlerweile sprechen die Menschen auf Twitter davon, dass man es bei der ChatGPT-Entwicklung mit einem historischen Moment zu tun hätte, der mit der Erfindung des Buchdrucks oder der Entdeckung der Elektrizität vergleichbar sei.
Wie der Chatbot arbeitet, ist in einigen Bereichen wirklich beispiellos.
Aria Nourbakhsh, Universität Luxemburg
Die Nutzung von „ChatGPT“ ist recht simpel. In einem Chatfenster können Menschen in Echtzeit mit dem Chatbot schreiben. Die Besonderheit: Er versteht, was geschrieben wird und ermittelt eine möglichst passende Antwort, bei der er sich an vorherige Unterhaltungen erinnert und sich an den Kontext der Konversation anpasst. Auf diese Weise wird eine realistische Unterhaltung simuliert.
Der Bot erfüllt auch Aufträge: Er kann Gedichte schreiben, Tweets verfassen, Tipps geben, wie man sich vor Einbrechern schützt, Zeilen in Programmiersprache ausgeben, Texte zusammenfassen. Wikipedia-Einträge schreiben oder die Hausaufgaben in Geschichte machen kann der Bot ebenfalls – und sogar die Masterarbeit für den Uniabschluss. Gibt man eine Folgefrage oder einen Änderungswunsch ein, so passt die KI ihr Ergebnis entsprechend an. Die Qualität der Antworten schwankt dabei. Nach Ansicht vieler Spezialisten könne sie sich in einem Moment brillant und im nächsten atemberaubend dumm äußern.
Ein Elfjähriger wünscht sich ein Computerspiel
„Wie der Chatbot arbeitet, ist in einigen Bereichen wirklich beispiellos“, sagt Aria Nourbakhsh, Doktorand an der Universität Luxemburg im Bereich der Computerlinguistik. Die Anpassungen, die „ChatGPT“ während des Chatverlaufs vornimmt, sind seiner Meinung nach hervorragend. „Auch, dass er multifunktional ist. Man kann Fragen zu vielfältigen Themen stellen. Bisher waren Chatbots auf ein bestimmtes Feld begrenzt und wurden etwa im Kundenservice eingesetzt. Das ist bei ‚ChatGPT‘ anders. Was er etwa an Codezeilen für Programmierer oder Textzusammenfassungen ausspuckt, kann sehr hilfreich sein“, so der Forscher.
Mithilfe von „ChatGPT“ hat ein Elfjähriger beispielsweise schon ein textbasiertes Computerspiel erschaffen. Er beauftragte die KI damit, dass es im Harry-Potter-Universum spielen muss und der Spieler Fortschritte macht, indem er aus vier Antwortmöglichkeiten die Richtige auswählt. Kurz gesagt: Das Programm ist eine Art Schweizer Taschenmesser für Texte.
Die KI-Forschung wird sich dieser Frage annehmen müssen und die ethischen Fragen werden dringender.
Sven Colette, Zenter fir d'Lëtzebuerger Sprooch
Für ihre Antworten durchsucht die KI eine riesige Menge an Textdaten, die neuesten aus dem Jahr 2021 und der Großteil in englischer Sprache, und generiert daraus ein neues Schriftstück. Sie versucht Muster zu erkennen, um anschließend die Antwort zu geben, die am wahrscheinlichsten zur Nutzereingabe passt. Steht in diesen Trainingsdaten Unsinn, gibt eine KI sie üblicherweise wieder. Um dieser Schwachstelle zu begegnen, hat OpenAI auch auf Feedback von Menschen bei der Entwicklung seines Chatbots gesetzt.
„Wie genau dieses immense Datenpaket aufgebaut wurde, ist nicht bekannt. OpenAI hat dazu nichts veröffentlicht. Sicher ist, dass das System nicht wie Google funktioniert. Es greift während der Unterhaltung nicht auf das Internet zu. Man muss es als geschlossenes System verstehen“, erklärt Prof. Dr. Christoph Schommer, der sich an der Universität Luxemburg mit KI beschäftigt.
Falsche Informationen und Kausalitäten
Der Chatbot hat nach Ansicht der Experten aber auch viele Schwachstellen. Die Größte sei die Glaubwürdigkeit seiner Antworten: „Er gibt vor, dass seine Antworten vertrauenswürdig sind. Tatsächlich ist das Ganze aber mit Vorsicht zu genießen, da sie immer wieder falsche Informationen enthalten und Kausalitäten falsch hergestellt wurden. Er ist auch nicht frei von Hassrede oder sexuellen Inhalten“, sagt Christoph Schommer. Zu Plagiatsvorwürfen sei es ebenfalls schon gekommen, da das Programm seine Ergebnisse aus der Arbeit anderer speist.
Zu unterscheiden, ob ein Text nun von einem Menschen oder einem Bot geschrieben wurde, werde zunehmend schwieriger. „Die KI-Forschung wird sich dieser Frage annehmen müssen und die ethischen Fragen werden dringender“, erklärt KI-Experte Sven Colette vom Zenter fir d'Lëtzebuerger Sprooch.
Die persönliche Entwicklung könnte darunter in hohem Maße leiden.
Christoph Schommer, Universität Luxemburg
Christoph Schommer befürchtet, dass Technologien wie diese dazu führen könnten, dass die Entwicklung von Schülern und Studenten nachhaltigen Schaden nimmt. „Man kann mit dem Chatbot den Weg des geringsten Widerstands gehen. Aber welche Konsequenzen hat das? Schüler arbeiten dann nicht mehr selbst. Die persönliche Entwicklung könnte darunter in hohem Maße leiden, was dazu führt, dass sich die Gesellschaft insgesamt zurückentwickelt.“
Äußerst kritisch sieht er auch, dass die Textmasse, aus der „ChatGPT“ seine Antworten nimmt, von einem Unternehmen zusammengestellt wurde: „Möglicherweise wurden dabei Texte nicht berücksichtigt, die nicht zur Agenda des Unternehmens passen. Das öffnet der Manipulation Tür und Tor, insbesondere wenn es um Meinung oder Politik geht.“
Für Standardaufgaben habe der Chatbot aber Potenzial. Er verfasse etwa Briefe, die in einem Sekretariat immer wieder geschrieben werden müssen, zuverlässig. Auch für wiederkehrende Probleme in der Programmierung sei er einsetzbar. Generell könnte er die Effizienz und die Produktivität in vielen Unternehmen erhöhen.
Wie geht es weiter mit der KI?
Der nächste Schritt, den man in diesem Bereich der Künstlichen Intelligenz gehen werde, sei Programme wie „ChatGPT“ mit den Echtzeitdaten von Google zu verknüpfen. „Es gibt bereits Gerüchte, dass das passieren wird. Langfristig werden Projekte wie dieses alles verändern. Ich vergleiche es mit der Erfindung des Internets selbst. Die Gefahr, dass solche Programme Jobs übernehmen können, besteht. Allerdings glaube ich, dass sie in den meisten Fällen die Art der Arbeit der Menschen ändern wird. Die Maschine übernimmt mehr und mehr Fleißarbeiten, während sich der Mensch auf komplexe Dinge konzentriert, die sie nicht ausführen können. Prüfen, ob eine Quelle wahrheitsgemäß ist, kann die Maschine nicht.“
Genau wie bei vorherigen Technologiesprüngen werde sich auch hier die Menschheit an die neue Technik anpassen, meint Sven Collette: „Man kann es als Gefahr sehen, dass Schüler Aufsätze von einer KI erfassen lassen - oder als zusätzliches kreatives Tool. Ich sehe die größte Gefahr darin, dass noch glaubwürdigere Fake News produziert werden.“
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