Beate Klarsfeld: Mit einem Schlag berühmt
Beate Klarsfeld: Mit einem Schlag berühmt
Beate Klarsfeld hatte es angekündigt. Bereits im Mai 1968 hatte sie vor Studenten der TU in Berlin verkündet: "Ich werde Kiesinger ohrfeigen!" Die Begründung, den deutschen Bundeskanzler und Anführer der Großen Koalition symbolisch-körperlich anzugehen, hatte die 29-jährige bereits 1967 in der linken französischen Zeitschrift "Combat" geliefert. "Er hat seine ganze Intelligenz in den Dienst der Nationalsozialisten gestellt und wusste genau, was geschah - militärisch und in den Vernichtungslagern", heißt es da über Kurt Georg Kiesinger.
Es ist davon auszugehen, dass diese Einschätzung größtenteils den Tatsachen entsprach: Kiesinger, Jahrgang 1904, war seit 1933 NSDAP-Mitglied gewesen und als Jurist schnell aufgestiegen - ab 1940 im Reichsaußenministerium, zuletzt als stellvertretender Leiter der Rundfunkabteilung. Kiesinger war also unter Hitler zuständig für die gesamte Radiopropaganda des Deutschen Reiches im Ausland gewesen. Nach dem Krieg wurde er "entlastet" bzw. "entnazifiziert, trat in die CDU ein. Und seit 1966 war er Bundeskanzler.
Beate Klarsfeld war als Au-pair-Mädchen nach Frankreich gekommen, 1960 war das und damals hieß sie noch Beate Künzel. Die Heirat mit Serge Klarsfeld politisierte sie. Klarsfeld, Jahrgang 1935, war französischer Jude mit rumänischen Wurzeln und Holocaust-Überlebender. Er, seine Mutter und eine Schwester entgingen der Deportation aus Nizza, weil der Vater die Gestapo ablenken konnte - ein Akt, den Arno Klarsfeld später in Auschwitz mit dem Leben bezahlte.
Das Ehepaar Klarsfeld, Beate war mittlerweile Sekretärin beim deutsch-französischen Jugendwerk geworden, fand 1966 den Gedanken an einen Kanzler Kiesinger unerträglich. Sie veröffentlicht drei Artikel über Kiesinger in "Combat". "Wenn die deutschen Staatsgeschäfte von einem Mann geführt werden, der – selbst wenn nur aus Opportunismus – NSDAP-Mitglied gewesen war, so heißt das, dass die deutsche Öffentlichkeit einer gewissen Zeit und einer gewissen Einstellung die Absolution erteilt hat“ schreibt sie - und verliert daraufhin ihren Job.
Umfangreiche Recherchen und spektakuläre Methoden
Doch die Klarsfelds fangen jetzt erst recht an, über Kiesinger zu recherchieren - auch im Staatsarchiv der DDR, die natürlich ein Interesse daran hat, westdeutsche Politiker zu diskreditiert zu sehen. Doch ihre Erkenntnisse über die Verstrickungen des Kanzlers stoßen kaum auf Reaktionen. Journalisten und Abgeordnete reagieren nicht auf Klarsfelds Briefe. Deutschland will 1966 nichts wissen von und über Nazivergangenheiten. Beate Klarsfeld versucht es mit spektakuläreren Methoden. Zunächst richtet sie gezielte Zwischenrufe von der Besuchertribüne des Bundestags am Kiesinger. "Kiesinger! Nazi! Abtreten!" ruft sie hinunter. Der Kanzler stockt kurz, die Polizei führt Klarsfeld ab. Ansonsten passiert wieder nichts.
Am 7. November 1968 betritt sie mithilfe einer Pressekarte den CDU-Parteitag in der Berliner Kongresshalle. Sie schafft es während Kiesingers Rede auf die Bühne, schreit "Nazi! Nazi!" und ohrfeigt ihn in aller Öffentlichkeit. Kiesinger, der ihre Artikel über ihn kennt, wird leicht am Auge verletzt und fragt hinterher: "War es die Klarsfeld?" Sie war es - und wird noch am gleichen Tag zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt, die aber auf vier Monate auf Bewährung herabgesetzt wird.
Das Ehepaar Klarsfeld lässt diesem symbolischen Akt Taten folgen. Die beiden recherchieren unermüdlich weiter die Biografien und aktuellen Aufenthaltsorte von Naziverbrechern. Kurt Lischka, den ehemaligen Gestapo-Chef von Paris, lokalisieren sie 1971 in Köln, wo er unter seinem richtigen Namen lebt. Sie wollen ihn nach Frankreich entführen, wo er in Abwesenheit bereits verurteilt ist.
Der dilettantische Versuch geht schief, erregt aber die Aufmerksamkeit, die die Klarsfelds für ihre Arbeit brauchen - Deutschland muss sich langsam aber sicher mit der Nazizeit, mit der unrühmlichen Vergangenheit zahlreicher Amtsträger, aber auch der ganz normaler Bürger beschäftigen. Die gescheiterte Lischka-Entführung führt zur Verurteilung einiger bislang unbehelligter NS-Funktionäre, die an der Deportation von rund 70.000 französischen Juden beteiligte waren. Auch Lischka wird 1980 schließlich doch noch in Deutschland verurteilt.
Der Fall Klaus Barbie
Der größte Coup der Klarsfelds ist aber der Fall Klaus Barbie. Der ehemalige Gestapo-Chef von Lyon trug seinen grausamen Beinamen nicht zu Unrecht: "Der Schlächter von Lyon" gilt als einer der grausamsten Nazi-Kriegsverbrecher. Barbie, der sein Abitur übrigens 1934 in Trier ablegte, folterte, mordete, deportierte - katholische Priester, Resistenzler, politische Gefangene, jüdische Waisenkinder. In Frankreich wurde er nach dem Krieg verurteilt, allerdings wie Lischka in Abwesenheit. Die Klarsfelds spüren ihn Anfang der 1970er-Jahre in Bolivien auf. Doch erst 1983 nimmt die bolivianische Polizei ihn fest, er wird an Frankreich ausgeliefert und 1987 wegen seiner zwischen 1943 und 1944 begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt.
Die Kiesinger-Ohrfeige war einerseits die Initialzündung für Beate Klarsfelds Arbeit - andererseits hing sie ihr nach, machte sie zur "Frau, die den Kanzler ohrfeigte", aus welchem Grund auch immer. Anerkennung wurde ihr dennoch zuteil: 2012 nominierte sie „Die Linke“ als Kandidatin für die Wahl zum Amt des Bundespräsidenten. Sie nahm an - "weil ich mich an meine Verurteilung zu einem Jahr Gefängnis erinnerte und auf den langen Weg zurückblickte, den Deutschland und ich seit 1968 zurückgelegt hatten", wie sie dem Spiegel erklärte. Sie unterlag gegen Joachim Gauck. 2015 erhielt sie zusammen mit ihrem Mann aus Gaucks Händen das Bundesverdienstkreuz.
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