Tragödie auf dem Weihnachtsmarkt: Hauptstadt unter Schock
Tragödie auf dem Weihnachtsmarkt: Hauptstadt unter Schock
Von Diana Hoffmann und Sandra Schmit
Weiße Rosen liegen neben einem aus Eis geformten Schlitten, daneben stehen rote Kerzen. Kuscheltiere werden im Laufe des Tages noch von Passanten dazugelegt. So gedenken die Menschen auf dem hauptstädtischen Knuedler am Montag des zweijährigen Jungen, der am Sonntagabend nach einem tragischen Unfall neben der Eispiste gestorben ist.
Ein Teil einer massiven Eisskulptur – eine Nachbildung einer Fassade eines Holzchalets – war umgefallen und hatte den Jungen schwer verletzt. Erst etwa drei Stunden vor dem Unglück war das Gesamtkunstwerk, bestehend aus eben einer 2,5 Meter hohen Wand und zwei Schlitten aus Eis, in drei Stunden Arbeit fertiggestellt worden. Gestaltet wurde es von der Firma "Ice&Art" mit Sitz bei Paris. Die Firma verfügt über mehr als 15 Jahre Erfahrung.
Eine partizipative Skulptur
Am Tag nach dem Unglück sitzt der Schock in der Bevölkerung tief. Immer wieder bleiben Menschen gleich neben der Eispiste stehen, manche bekreuzigen sich, andere blicken gedankenverloren auf den Eisschlitten. Am Abend zuvor haben darauf noch Kinder für Fotos posiert – ein Fell lag auf der Skulptur, damit ihre Kleidung nicht nass wird.
Denn die Installation war als "partizipative Skulptur" konzipiert, wie Stadtbürgermeisterin Lydie Polfer am Montagabend bei einer Pressekonferenz erklärte: "Ein Teil der Skulptur war dazu gedacht, sich draufzusetzen."
Die Idee kam bei den Besuchern an, wie die Mitarbeiterin eines Eiscafés am Knuedler berichtet: "Die Menschen haben geduldig abgewartet, um Fotos ihrer Kinder auf dem Schlitten zu machen. Plötzlich hörte ich einen Knall und fragte die Kollegen, was passiert sei. Da habe ich sie schon alle um die Eiswand herumstehen sehen", erzählt die Frau.
Durch das große Fenster in der obersten Etage der Eisdiele fällt der Blick direkt auf die Eispiste und die Schlittenskulptur, die auch nach dem Unglück noch da steht.
Trümmer beschlagnahmt
Um die Figur herum stehen Menschen, manche diskutieren. Immer wieder kommt die Frage auf, wie es zu der Tragödie kommen konnte. "Was die Ursachen sein können, müssen nun die Staatsanwaltschaft und die Kriminalpolizei klären", betonte am Abend die Hauptstadtbürgermeisterin. Die Trümmer der Eisskulptur wurden für weitere Untersuchungen von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt.
Einer, der möglicherweise erste Antworten auf das "Warum" liefern kann, ist Jörg Funk, Inhaber von International Ice Carving – ein Experte mit 30 Jahren Berufserfahrung in Eisgestaltung in Deutschland. Wie jeder andere kann auch er momentan nur über den Unfallhergang in Luxemburg spekulieren. Doch eines steht für ihn fest: "So etwas hätte nicht passieren dürfen. Eine derart hohe Wand muss sicher stehen."
Baufehler als mögliche Ursache
Fälle, bei denen Personen durch Eisskulpturen verletzt wurden, sind ihm bislang nicht bekannt gewesen. Für den Experten ist allerdings klar, dass es in diesem Fall Fehler beim Bau gegeben haben muss. Denn üblicherweise müssten Figuren so gestaltet sein, dass beim Abtauen keine Teile herunterfallen. Auf keinen Fall dürfe die Skulptur jedoch umfallen.
Der Gestalter der zusammengefallenen Eiswand hat hingegen am Montagmorgen bereits auf wort.lu/fr Stellung zu dem Vorfall genommen: "Technisch gesehen hätte die Skulptur nicht fallen können. Um zu kippen, hätte sie geschubst werden müssen", betonte er. Eine Aussage, die den deutschen Eiskünstler wütend macht, denn: "Gegen eine solche Figur muss man mit einer Kraft von 100 Kilo drücken können – ohne dass etwas passiert."
Viel wurde darüber diskutiert, ob die milden Temperaturen von neun Grad und der Sonnenschein die Skulptur destabilisiert haben könnten. Das kann sich der französische Künstler von Ice&Art nicht vorstellen: "Wir waren bei kühlen Temperaturen draußen, doch man muss wissen, dass wir manchmal auch drinnen, in beheizten Räumen an Skulpturen arbeiten. Es dauert mehrere Stunden, bevor das Innere einer Skulptur schmilzt. Sollte eine Figur auftauen, geschieht das nur an der Oberfläche", erklärt er.
Auftraggeber für die Eisskulpturenshow war das Luxembourg City Tourist Office (LCTO), das bereits zum dritten Mal mit der Firma aus Frankreich zusammenarbeitet. "Wir haben auf die Erfahrung von Professionellen vertraut. Diese hatten keine zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen gefordert", betonte LCTO-Präsident Marc Angel am Montagabend.
Rolle der Verankerung
Dem deutschen Eiskünstler Jörg Funk zufolge könnte Schmelzwasser an der Oberfläche bei der Tragödie in der Hauptstadt eine Rolle gespielt haben – vor allem in Kombination mit der Verankerung, die der Figur Halt geben sollte. Bei Temperaturen um die zehn Grad beginne das Eis zu schmelzen. Das Wasser läuft dann an der Figur herab, sammelt sich unten am Sockel und könne so ein Werk destabilisieren.
Welche Gründe tatsächlich zu dem Unglück in der Hauptstadt geführt haben, muss nun die Kriminalpolizei klären. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet. Damit sich Ähnliches nie wieder abspielt.
