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"Schwedisches Modell führt zu rechtsfreiem Raum“
Lokales 12 4 Min. 14.01.2016 Aus unserem online-Archiv
Prostitution

"Schwedisches Modell führt zu rechtsfreiem Raum“

Prostitution im Netz: Mit Bildern wie diesem bietet Tanja ihre Dienste an.
Prostitution

"Schwedisches Modell führt zu rechtsfreiem Raum“

Prostitution im Netz: Mit Bildern wie diesem bietet Tanja ihre Dienste an.
Foto: Wildcat
Lokales 12 4 Min. 14.01.2016 Aus unserem online-Archiv
Prostitution

"Schwedisches Modell führt zu rechtsfreiem Raum“

Das „schwedische Modell“ stand bei der Konferenz zur Prostitution am Mittwoch im Vordergrund. Dieses ist nicht unumstritten. Das Selbstverständnis einer „selbstbestimmten Sexarbeiterin“.

Von Steve Remesch

Der Tenor bei der Konferenz des „Conseil national des femmes du Luxembourg“ zur Prostitution am Mittwoch war ein klares Plädoyer für das „schwedische Modell“, das Frauen vor Ausbeutung schützen soll. Doch auch diese Herangehensweise ist nicht unumstritten.

Im Publikum saß an diesem Abend auch eine Prostituierte aus Deutschland, die eine ganz andere Ansicht vertritt. Tanja heißt sie. „Wildcat“ lautet ihr Künstlername und im sogenannten Milieu ist sie noch nicht sehr lange. „Ich arbeite komplett eigenständig und selbstbestimmt. Habe auch keinen Zuhälter“, erklärt die 42-Jährige. Erfahrungen mit Gewalt habe sie bislang in zwei Jahren nicht gemacht.

Es wird immer über uns geredet, aber nicht mit uns.“

Dass es Missbrauch gibt bestreitet sie nicht. Mit den Zahlen, die genannt werden, hat sie aber Schwierigkeiten. Die Zahl der Sexarbeiter sei nicht einmal bekannt. Trotzdem hieße es immer wieder 90 Prozent von ihnen würden ausgebeutet, so Tanja.

Sie halte durch ihr Engagement für das Internetprojekt „voice4sexworkers.com“ engen Kontakt mit anderen Frauen aus ihrem Berufsumfeld und arbeite mit dem Verein „Donna Carmen“ zusammen, der sich für die sozialen und rechtlichen Belange von Sexarbeitern einsetze und umfangreiche Beratung anbiete.

Sexarbeit und Zwangsprostitution

Auch die Konnotation von Zwang und Sexarbeit störe sie in den öffentlichen Diskussionen. „Ich komme aus Süddeutschland“, führt sie aus. „Da werden vielerorts Erdbeeren angebaut und Spargel gestochen. Dabei greift man auch auf osteuropäische Menschen zurück, die diese Arbeit aus einer wirtschaftlichen Notlage heraus tun. Niemand käme aber auf die Idee, sie Zwangsarbeiter zu nennen“.

Tanja war bei ihrem Einstieg in die Sexarbeit gerade aus einem Vollzeitjob in eine Teilzeitbeschäftigung gewechselt. „Ich habe einen Nebenjob gesucht“, betont sie. „Ich hätte auch abends an der Tankstelle an der Kasse stehen können“. Die Aussicht auf „gutes Geld“ und flexible Arbeitszeiten habe sie bewegt, es auszuprobieren und sie sei dann dabei geblieben.

"Schwedenmodell" mit Tücken

An der Diskussion über das „schwedische Modell“ stört sie vor allem eines: „Es wird immer über uns geredet, aber nicht mit uns“, sagt sie. Und das „schwedische Modell“ habe seine Tücken. „Wenn ich in Deutschland arbeite, kann ich mir ganz frei meine Kunden aussuchen“, betont sie. „Ich kann mit denen in Ruhe abklären, was sie wünschen und so weiter“.

In Schweden wisse sie im Vorfeld bereits, dass jeder Kunde ein potenzieller Krimineller ist. Es gibt einen vorsätzlichen Gesetzesverstoß. „Alles muss schnell gehen. Somit habe ich gar nicht erst die Möglichkeit, mir meinen Kunden auszuwählen. Jeder müsse dann angenommen werden. Wenn die Frauen weniger Kunden hätten, müssten sie um Geld zu verdienen, auch Sex ohne Kondom anbieten – mit fatalen Folgen.

„Wer in die kriminelle Ecke gedrängt wird, hat keine Rechte und kann sich nicht wehren“, unterstreicht sie. Das schaffe einen rechtsfreien Raum u. a. für Gewalttäter. Aufklärung bewirke mehr als Verbote – etwa über gesundheitliche Aspekte oder wie man ein Opfer von Menschenhandel erkennt.

CNFL-Konferenz zur Prostitution:
Ein Plädoyer für das „schwedische Modell“

„Freier gehören bestraft“ – in diesem Punkt waren sich am Mittwoch alle Redner bei der vom „Conseil national des femmes du Luxembourg“ in Leudelingen organisierten Konferenz zum Thema Prostitution einig. Das „schwedische Modell“, das eben den Sexkäufer kriminalisiert und nicht die Frauen, stand dann auch im Mittelpunkt der Veranstaltung.

Wie schon im LW-Interview unterstrich die irische Ex-Prostituierte Rachel Moran, die allermeisten betroffenen Frauen seien Opfer von organisierter Kriminalität. „Prostituierte zu bestrafen ist, wie nach einem Einbruch dem Opfer Handschellen anzulegen“, erklärte sie.

Der schwedische Polizist Simon Häggström erklärte, dass die Polizeiarbeit in Stockholm in zwei getrennte Bereiche gegliedert ist. Eine Einheit befasst sich mit Prostitution und eine mit Menschenhandel. Sexkäufer würden mit einer Geldstrafe von 50 Tageslöhnen bestraft – wenn sie sich denn schuldig bekennen. Wenn nicht, erwarte sie ein öffentliches Gerichtsverfahren. Zuhälterei werde angegangen wie anderswo auch. Häggström hob hervor, dass es seit der Einführung des Prostitutionsgesetzes 1999 keinen einzigen Mord mehr im Stockholmer Milieu gab.

In Frankreich kamen alleine im Jahr 2014 sieben Prostituierte gewaltsam ums Leben, betonte Gregoire Théry vom französischen „Mouvement du nid“. Zudem koste die Prostitution die Allgemeinheit in Frankreich einer Studie zufolge jedes Jahr 1,6 Milliarden Euro. Ein neues Gesetz, das im Frühjahr eingeführt werden soll, werde die Situation der Sexarbeiter deutlich verbessern.

Der belgische Filmemacher Patric Jean unterstrich, dass die Männer ihre Verantwortung im Umgang mit der Prostitution übernehmen müssten.

Kriminalpolizist Helmut Sporer aus Augsburg erklärte, dass Deutschland durch die Liberalisierung zu einer Hochburg der Prostitution geworden sei und Tausende sehr junge Frauen aus Osteuropa systematisch ausgebeutet würden. Er forderte eine weitaus strengere Regulierung, von einer Anmeldepflicht der Prostituierten bis zur Kondompflicht.

Gesundheitsministerin Lydia Mutsch, die zu Beginn der Konferenz anwesend war, betonte hingegen man müsse den Luxemburger Kontext analysieren, von der Vorbeugung über die Betreuung bis zur Sicherheit. Das Großherzogtum müsse ein eigenes Modell entwickeln.



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