Richter und Ankläger geteilter Auffassung
Richter und Ankläger geteilter Auffassung
Er hatte Angst, allein zu sterben. Deshalb nahm ein 74-jähriger Witwer drei Schwestern bei sich auf. Nachdem sie ihn über Monate ausgenommen hatten, wollten sie den Mann scheinbar töten. Bei ihrem Urteilsspruch blieben die Richter nun aber weit unter dem vom Ankläger geforderten Strafmaß zurück.
Den heute 39-, 40- und 42-jährigen Frauen wurde seit Mitte November wegen betrügerischen Ausnutzens des Schwächezustands, Freiheitsberaubung, Körperverletzung und versuchtem Totschlag der Prozess gemacht.
Den Ermittlungen zufolge hatte die ältere Schwester, Larisia B., den im Escher Grenzviertel lebenden Rentner kurz nach dem Tod seiner Ehefrau im Sommer 2015 in einer Gaststätte kennengelernt. Im Februar zogen ihre beiden Schwestern Claudia und Marinela S. ebenfalls in die Wohnung des Mannes ein.
Opfer die Treppe hinuntergestoßen und gewürgt
Der Ansicht der Staatsanwaltschaft nach beuteten die drei Frauen den Witwer so weit aus, wie sie nur konnten. „Sie profitierten von der Einsamkeit ihres Opfers, das Angst hatte, allein zu sterben“, betonte der Ankläger im Prozess.
Nachdem das Geld dann ausgegangen war und sich das Opfer zudem verschuldete, hätten sie sich des Mannes entledigen wollen. Im Mai 2016 hätten sie ihn eine Treppe hinuntergestoßen, gewürgt, getreten und geschlagen – und anschließend in einem Zimmer eingesperrt. Dass der Mann heute noch lebe, sei dem Umstand zu verdanken, dass dem 74-Jährigen durch das Fenster die Flucht gelungen sei. Der Ankläger forderte deswegen für zwei der Schwestern eine Haftstrafe von zehn Jahren. Für die Dritte, die an jenem Abend wohl zu betrunken gewesen sei, um mitzuwirken, eine zweijährige Haftstrafe wegen unterlassener Hilfeleistung.
Die Richter der Kriminalkammer kamen nun aber zum Schluss, dass weder für eine Tötungsabsicht noch für eine Freiheitsberaubung (Séquestration) ausreichend Beweise vorlägen.
Die beiden Hauptangeklagten hätten ihr Opfer lediglich gegen seinen Willen festgehalten, dies ohne die Absicht einer weiteren kriminellen Handlung. Das entspricht dem Tatbestand der Détention illégale, für die ein weit geringeres Strafmaß vorgesehen ist.
Zudem befanden sie zwei Schwestern der Körperverletzung unter erschwerenden Umständen sowie der betrügerischen Ausnutzung der Altersschwäche des heute 76-Jährigen schuldig.
Deshalb verurteilten sie die Haupttäterin Larisia B. zu einer Haftstrafe von vier Jahren, mit einem Strafaufschub von 18 Monaten. Dazu kommt eine Geldbuße in Höhe von 5.000 Euro. Ihre Schwester Claudia S. verurteilte die Kriminalkammer zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren, wobei die Hälfte zur Bewährung ausgesetzt wird. Dazu kommt eine Geldbuße von 2.000 Euro.
Der Unterschied im Strafmaß zwischen der Forderung der Staatsanwaltschaft und dem Urteil erklärt sich dadurch, dass die Körperverletzung mit einer Höchststrafe von fünf Jahren geahndet werden kann. Für Freiheitsberaubung und versuchten Totschlag sind viel höhere Strafen möglich.
Dazu kommt, dass, wenn die Taten in direktem Zusammenhang stehen (Concours réel), die Strafen für die einzelnen Taten nicht addiert werden. Die höchst mögliche Bestrafung entspricht jenem Tatbestand, mit dem höchsten Strafmaß – in diesem Fall die Körperverletzung: fünf Jahre.
Vollständige Rückerstattung als Bewährungsauflage
Die Bewährungsauflagen für beide Schwestern beinhalten, dass sie das Geld, um das sie den alten Mann betrogen haben, erstatten. Dazu kommt eine Schadenersatzzahlung in Höhe von 6.000 Euro.
Die dritte Schwester, Marinela B., war, wie aus dem Prozessverlauf hervorging, nicht aktiv an der Körperverletzung beteiligt. Die Richter kamen der Forderung des Anklägers nicht nach, diesen Anklagepunkt in unterlassene Hilfeleistung umzuändern, da es sich dabei um zwei grundverschiedene Taten handele. So blieb den Richtern keine andere Wahl, als Marinela S. freizusprechen.
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