Ohne Rücksicht auf Verluste
Ohne Rücksicht auf Verluste
Es war ein vergleichsweise unbedeutender Anschlag am 31. Mai 1972 im norditalienischen Peteano, der den Stein ins Rollen bringen sollte und zugleich als Musterbeispiel dafür gelten kann, auf welche Weise antikommunistische Kräfte mit Verbindungen zu Armee und Geheimdiensten zwischen 1969 und 1985 operierten. Die Explosion eines mit einer Sprengfalle versehenen Fiat 500 in einem Waldstück nur wenige Kilometer von der italienisch-slowenischen Grenze entfernt tötete drei Carabinieri und verletzte einen vierten schwer.
Nur wenige Stunden später brachte ein anonymer Anrufer die Brigate Rosse mit der Autobombe in Verbindung, obschon die Vorgehensweise der Attentäter untypisch erschien für die kommunistische Untergrundorganisation, die seit September 1970 ausschließlich Anschläge gegen industrielles und staatliches Eigentum richtete und von Gewalt gegen Personen absah. Trotzdem schlug die Staatsgewalt mit aller Härte zu. Rund 200 kommunistische Aktivisten wurden verhaftet, die Täter jedoch nie ermittelt. Erst zehn Jahre später gelang es dem venezianischen Richter Felice Casson, nachzuweisen dass hinter dem Anschlag der rechtsradikale Vincenzo Vincinguerra steckte, der ein folgenreiches Geständnis ablegte.
Die „Strategie der Spannung“
Vincinguerra sagte aus, dass das Attentat Teil einer umfassenden Strategie gewesen sei, die vom Militärgeheimdienst SISMI, Neofaschisten und Teilen des von NATO und CIA betriebenen italienischen Stay-Behind-Ablegers mit Codenamen „Gladio“ umgesetzt worden sei. Ziel sei es gewesen, durch Anschläge gegen die Bevölkerung und gezielte Desinformationen linksextreme Terroristen verantwortlich zu machen sowie ihre Sympatisanten der in Italien traditionell starken Kommunistischen Partei (KPI) zu diskreditieren.
Casson fand heraus, dass Angehörige dieser Strukturen zwischen den 1960ern und bis in die 1980er Jahre zahlreiche Terroranschläge und Morde in Italien begangen hatten, die immerhin 491 Tote und 1181 Verletzte gefordert hatten.
Cassons Ermittlungen führten zu einer parlamentarischen Untersuchung, in deren Rahmen der italienische Premierminister Giulio Andreotti am 3. August 1990 die Existenz von Gladio bekannt gab. Dies hatte weitreichende innenpolitische Folgen in sämtlichen Nato-Staaten: Griechenland, Deutschland, Belgien, Frankreich, die Niederlande und auch Luxemburg erklärten, dass sie Stay Behind Truppen unterhalten hatten. Die Nato selbst dementierte zuerst, dass solche Einheiten existierten. Stay Behind wurde inzwischen auch mit terroristischen Anschlägen in anderen Staaten wie Belgien, Griechenland, Deutschland und im Rahmen der „Bommeleeër“-Affäre auch Luxemburg in Verbindung gebracht. Das Europaparlament drückte nach einer Debatte am 22. November 1990 seinen scharfen Protest gegenüber der NATO und den beteiligten Geheimdiensten aus
Laut dem Forscher Erich Schmidt Eenboom trafen sich Ende 1990 dann Geheimdienstvertreter aus sieben Nato-Staaten, darunter Luxemburg, um eine Desinformationsstrategie gegen weitere Enthüllungen zu Stay Behind zu entwerfen.
Bis heute ist daher wenig über das Netzwerk und seine wahren Aktivitäten bekannt. Der Schweizer Historiker Daniele Ganser behandelte das Thema eingehender in seiner Dissertation, die 2005 als Sachbuch mit dem Titel „Nato-Geheimarmeen in Europa – Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung“ veröffentlicht wurde.
