Ohne Einsicht keine Rücksicht
Ohne Einsicht keine Rücksicht
Die Videobilder sind schockierend. Sie zeigen einen Vorfall in der zweiten Juliwoche in der Rue du Kiem in Strassen aus der Helmperspektive eines Radfahrers. Der Mann, ein alltäglicher Fahrradpendler, bemerkt im Rückspiegel ein Auto, das sich ihm mit unverminderter Geschwindigkeit von hinten nähert, während ein anderes Auto entgegenkommt.
Es ist klar, für zwei Autos und ein Fahrrad ist die Rue du Kiem an dieser Stelle nicht breit genug. Der Radfahrer erkennt die Gefahr und versucht, dem Autofahrer per Handzeichen zu vermitteln, hinter ihm zu bleiben. Doch dieser lässt sich augenscheinlich nicht beeindrucken und zieht mit seinem Geländewagen, ohne zu bremsen und mit nur wenigen Zentimetern Abstand, an dem Radfahrer vorbei.
Ein zweiter Radfahrer, der einige Meter vor dem anderen fährt, weicht auf den Parkstreifen aus, um sich außer Gefahr zu bringen. Auch bei ihm: kein Bremslicht. Der Fahrer nimmt es duldend in Kauf, beide Radfahrer in Lebensgefahr zu bringen.
Alltägliche Lebensgefahr
Das Phänomen nennt sich „Close pass“, Englisch für „eng Vorbeifahren“, und ist für regelmäßige Radfahrer eine Gefahr, mit der sie sich täglich auseinandersetzen müssen. Um dieser Rücksichtslosigkeit Einhalt zu gebieten, hatte der Gesetzgeber am 1. Mai 2018, als eine von neun Änderungen im Code de la Route den Artikel 125-8 eingeführt: „La distance latérale minimale à observer par le conducteur d'un véhicule automoteur lorsqu’il dépasse un cycle est d'au moins 1,5 mètre“.
Im Klartext: Wer einen Radfahrer überholt, muss zwischen dem Fahrrad und dem motorisierten Fahrzeug einen seitlichen Mindestabstand von 1,50 Metern lassen. Dies beinhaltet, dass der Autofahrer zum Überholen auf die Gegenfahrbahn wechseln muss. Ist dies nicht möglich, darf der Radfahrer nicht überholt werden.
74 Euro Bußgeld
Ein Verstoß gegen diese Bestimmung im Code de la route wird mit einem Bußgeld in Höhe von 74 Euro bestraft. Zumindest theoretisch, denn bis heute ist noch kein einziges solches Verkehrsvergehen geahndet worden. Das hat die Pressestelle der Polizei dem „Luxemburger Wort“ auf Nachfrage bestätigt.
„Natürlich wird ein solcher Verstoß im Straßenverkehr von einer Patrouille auch geahndet, wenn sie ihn feststellt“, heißt es weiter. „Ansonsten müssen Personen, die von einem solchen Überholmanöver betroffen sind und dagegen vorgehen wollen, bei der Polizei vorstellig werden.“
um weitere Bilder zu sehen.
Mobilitätsminister François Bausch (Déi Gréng), der vom bisherigen Ausbleiben von Sanktionen im Zusammenhang mit den riskanten Überholmanövern wenig beeindruckt zu sein scheint, zieht eine durchweg positive Bilanz nach der Einführung der neuen Regelung vor 14 Monaten. „Dadurch gibt es bei den meisten Fahrern eine viel größere Sensibilität für die Belange der Radfahrer als zuvor“, stellt der Minister fest. „Auch wenn es natürlich immer noch Menschen gibt, die das nicht verstehen und trotzdem zu dicht an den Radfahrern vorbeifahren.“
Kontrollen seien im Zusammenhang mit diesem Verkehrsvergehen schwierig umzusetzen. „Das ist zunächst einmal nur auf frischer Tat möglich“, erklärt François Bausch. „Die Polizei könnte sich natürlich an einen Ort stellen und präventiv darauf achten. Aber wir legen derzeit die Priorität auf Geschwindigkeitskontrollen sowie auf Alkohol und Handygebrauch am Steuer. Und diese Schwerpunktkontrollen zeigen bereits Wirkung. Bisher sind die Unfallstatistiken so, dass, wenn sie bis zum Jahresende so bleiben würden, wir in Sachen Verkehrssicherheit einen großen Sprung nach vorne machen würden.“
Zu mehr Rücksicht sensibilisieren
Es führe aber kein Weg daran vorbei, Verkehrsteilnehmer weiter für ein rücksichtsvolleres Verhalten gegenüber Radfahrern zu sensibilisieren. „Wir haben dafür bereits eine Reihe von Ideen“, fährt der Mobilitätsminister fort. „Auch Andy Schleck hat sich bereits bei uns gemeldet, um gemeinsam etwas in diesem Sinne zu unternehmen. Das wollen wir auch tun.“
So sei es unabdingbar, den Auto- und Lastwagenfahrern auch zu vermitteln, warum es so wichtig ist, Rücksicht zu nehmen. „Darüber hinaus müssen wir dann auch noch gemeinsam mit der Polizei überlegen, was wir unternehmen können, damit die 1,50-Meter-Abstand-Regelung eingehalten wird“, bekräftigt François Bausch abschließend. Das dürfte dann dem repressiven Aspekt entsprechen, den es bislang noch nicht gab.
Anmerkung der Redaktion: Der Zeitstempel im Twitter-Video ist falsch und verleitet zu falschen Schlussfolgerungen. Wie das sommerliche Grün auf den Bildern es bereits vermuten lässt, kann das Video wohl kaum an einem 7. November aufgezeichnet worden sein. Der Twitter-Nutzer bestätigt auf Nachfrage noch einmal, dass das Video am selben Tag, als er es veröffentlichte, am 17. Juli 2019, entstand. Auf dem Titelfoto ist eine Situation in der Hauptstadt zu sehen, bei der sich der Verkehr im Hintergrund gerade verlangsamt. Der Autofahrer überholt den Radfahrer. Da beide bremsen müssen, entwickelt sich eine gefährliche Situation. (str)
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