Neue Wege im Strafvollzug
Neue Wege im Strafvollzug
Von Michèle Gantenbein
Das Leben im Gefängnis ist raue Wirklichkeit. Wer hier landet, ist vom rechtschaffenen Weg abgekommen, ist gescheitert. So mancher Häftling beginnt erst hinter Gittern, über sein verkorkstes Leben nachzudenken, und wendet sich in seiner Not an die Seelsorger. Sie bieten Gottesdienste an, führen Einzel- und Gruppengespräche und blicken in tiefe menschliche Abgründe. Sie haben für alle ein offenes Ohr und leisten einen wichtigen Beitrag zur Suizidprävention. In Schrassig arbeiten vier Seelsorger. Schwester Marie-Jeanne, Pater Vincent Klein, Romain Kremer und Mark Kubajak haben sich mit der geplanten Reform des Strafvollzugs auseinandergesetzt und fordern humanere Bedingungen, u. a. beim Gefangenentransport und für die Frauen.
In der Begegnung und Begleitung öffnet sich der Blick für die Seelenlandschaft der Gefangenen und deren Geschichte. Vielleicht sehen die Seelsorger gerade deshalb nicht den Straftäter, sondern den Menschen, der eine Chance verdient. Die Gefangenen vertrauen ihnen, weil nichts aus den Vier-Augen-Gesprächen nach außen dringt, außer natürlich das, was die Gefangenen ihnen gezielt in diesem Sinne anvertrauen. „Sie hoffen, dass wir ihre Anliegen an die richtige Instanz weiterleiten“, meint Pater Vincent Klein. Die Seelsorger haben keinerlei Befugnis, können aber im übertragenen Sinne „Türen öffnen“. Dafür werden sie von den Gefangenen geachtet und geschätzt.
Elektronische Fußfessel
Im Zuge ihres christlich geprägten Menschenbildes stehen die Seelsorger der geplanten Humanisierung des Strafvollzugs in weiten Teilen positiv gegenüber, zum Beispiel wenn es um die Resozialisierung der Häftlinge oder um Alternativen zur Haftstrafe geht. Die elektronische Fußfessel sei eine sinnvolle Alternative, besonders für Untersuchungshäftlinge, meinen die vier Kirchenvertreter. Weiterhin unklar sei aber, ob es sich dabei um eine rein präventive Maßnahme handelt oder ob das Tragen der elektronischen Fußfessel als Gefängnisstrafe angerechnet wird.
Dem Bau des geplanten Untersuchungsgefängnisses in Sassenheim blicken die seelsorglichen Betreuer mit Argwohn entgegen. Sie befürchten, dass gezielt auf die Auslastung der Haftanstalt hin gearbeitet wird, durch stärkere Polizeikontrollen und durch Inhaftierungen in Fällen, bei denen „sonst auch schon mal ein Auge zugedrückt wurde“.
Der Schaffung der umstrittenen Strafvollzugskammer, einer zusätzlichen Gerichtsbarkeit, die mit drei Magistraten besetzt werden soll und bei der die Strafgefangenen künftig Hafturlaub, Haftverschonung usw. beantragen und Berufung gegen Entscheidungen einlegen können, stehen die Seelsorger im Prinzip positiv gegenüber. Das bringe mit sich, „dass mit den Gefangenen statt über sie gesprochen wird“.
Andererseits teilen sie mit Teilen der Magistratur, dem Generalstaatsanwalt und dem Staatsrat die Befürchtung, dass eine solche Strafvollzugskammer unnötig schwerfällig sei. Zur Not müssten Entscheidungen schnell und unbürokratisch von einem einzigen Magistraten getroffen werden können, sagen die Seelsorger.
Der Gefangenentransport
Gefangene müssen ab und an ins Krankenhaus. Dabei werden sie von den Gefängniswärtern begleitet. Gefährliche Verbrecher und Untersuchungshäftlinge werden von Polizisten begleitet. Künftig soll der Gefangenentransport nur noch in den Kompetenzbereich der Polizei fallen. Das gefällt den Seelsorgern weniger. Nicht wegen der Polizei. Die handle nach Vorschrift. Aber wegen der Gefangenen, „weil sie sich schämen, wenn sie mit Fußfessel und in Begleitung von uniformierten Polizisten vorgeführt werden. Häufig lehnen deshalb Gefangene Untersuchungen in der Klinik ab.“ Die Seelsorger fordern einen humanen Gefangenentransport und für die Polizisten eine spezielle Ausbildung.
Der Frauentrakt
Im Gefängnis sitzen weitaus mehr Männer als Frauen. Der Schrassiger Frauentrakt ist entsprechend klein. Auch die weiblichen Untersuchungshäftlinge sind hier untergebracht. Den Frauen stünden nur zwei halbe Stockwerke mit je 15 Zellen zur Verfügung, sagt Mark Kubajak. „20 bis 25 Frauen befinden sich auf einem halben Stockwerk. Die anderen teilen sich ein halbes Stockwerk mit den minderjährigen Straftätern.“ Der Frauentrakt ist nach Ermessen der Seelsorger viel zu eng. „Das ist unmenschlich“, sagen sie. Häufig komme es zu Spannungen zwischen den Frauen. Manche würden die völlige Isolation vorziehen. Isoliert werden auch Mütter mit ihren Babys. Die Kleinkinder dürfen nicht mit den anderen Frauen in Kontakt kommen. „Diese Fälle sind zum Glück selten. Die Isolation ist aber für manche schwer zu ertragen. Viele Frauen werden depressiv“, sagt Schwester Marie-Jeanne.
Die Männer leben auf mehreren Stockwerken verteilt, haben mehr Bewegungsraum. Die Befürchtung der Seelsorger: dass für die Frauen, wenn sie nicht in das neue Gefängnis verlegt werden, alles beim Alten bleiben wird. „Wenn in Sassenheim kein Frauentrakt eingerichtet wird, muss sich in Schrassig etwas ändern. Das kann man den Frauen nicht weiter zumuten.“
Zur Info:
Der vorliegende Artikel wurde für wort.lu gekürzt. Die vollständige Textversion finden Sie im Luxemburger Wort vom Montag, dem 7. Januar.
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