Lass das, das geht gar nicht!
Lass das, das geht gar nicht!
(AC) - Vor einiger Zeit fand in Luxemburg eine Fortbildung kirchlicher MitarbeiterInnen zum Thema Prävention gegen sexualisierte Gewalt an Minderjährigen und erwachsenen Schutzbefohlenen statt.
Von Fällen sexuellen Missbrauchs wird fast täglich berichtet. Bei
der Fortbildungsveranstaltung, die erstmalig im Juni dieses Jahres für kirchliche MitarbeiterInnen angeboten wurde, ging es um Prävention und den Schutz von Minderjährigen unter anderem auch in kirchlichen Institutionen. Mit
dem Referenten Christoph Fleck, Diplompsychologe, Mitarbeiter der Telefonseelsorge und Mitglied der Fachgruppe der Fachstelle Kinder- und Jugendschutz des Bistums Trier, konnte ein erfahrener und kompetenter Experte für das schwierige Thema gewonnen werden.
Außerdem stand ihm aus Luxemburg Tosca Friederes-Berg zur Seite, die, wie zum Ende zu erfahren war, ihr Debüt gab und souverän und flexibel den Tag zusammen mit Christoph Fleck, den Bedürfnissen der TeilnehmerInnen entsprechend, gestaltete.
Okay oder Grenzüberschreitung? –
ein Lernprozess
Beide Referenten forderten die Teilnehmenden von Anfang an auf, sich ihrer eigenen Erfahrungen und Werte spontan bewusst zu werden, um diese dann anschließend anhand fachgerechter Betrachtungsweise zu durchleuchten. Bei der Einführung ins Thema sollten die Teilnehmenden durch Positionierung im Raum aktiv Stellung beziehen zu den geschilderten Situationen. Die möglichen Antworten reichten von: „Ist okay“ oder „Habe ein komisches Gefühl“ bis zu „Grenzüberschreitung“ oder „Strafrechtlich relevant“. Langsam, aber sicher näherte man sich so über zunächst harmlos wirkende Situationen, die man fast täglich irgendwo beobachten kann, zu klaren Merkmalen übergriffigen Verhaltens.
Mit einem Kurzfilm wurde die Sicht des Opfers, des übergriffig Handelnden („Täter“) und des Umfelds beleuchtet. Der anschließende Austausch ermöglichte einen Lernprozess, der durch die abwechslungsreichen Sequenzen von Vortrag, Diskussion und praktischen Einlagen vorangetrieben wurde. Nach jeder Sequenz erhielten die Teilnehmenden außerdem eine sachdienliche Kurzdokumentation.
Du bist mein Liebling
Sexualisierte Gewalt kennt viele Gesichter. Übergriffig Handelnde, so haben die Teilnehmenden erfahren, gibt es in allen sozialen Schichten und Berufen. Dazu zählen Menschen, die andere gerne manipulieren, sie ihre Macht eventuell auch körperlich spüren lassen und sich erst dann wohlfühlen, wenn sie andere von sich abhängig gemacht haben. Die
sexualisierte Gewalt kennt viele Gesichter. Sie kann mit und ohne körperlichen Kontakt ausgeübt werden.
Sie beginnt meist harmlos und verbirgt sich zunächst hinter einer speziellen und teils übergroßen Zuwendung des Täters gegenüber seinem Opfer, dazu zählt zum Beispiel das Separieren eines Kindes durch Bevorzugung („du bist mein Liebling“), der Aufbau einer intensiven Beziehung („nur ich verstehe dich“) oder der Versuch, sich selbst besonders jugendlich darzustellen und das Kind auf die Ebene der Erwachsenen zu heben.
Hinzu kommt, dass der potenzielle Täter sich gerne bewundern lässt und sich als „toller Erwachsener“ und Vorbild etabliert. Oft wird dies vom Umfeld gar nicht negativ wahrgenommen, da einfach nicht sein kann, was nicht sein darf. Außerdem rückversichert sich der Täter beim Opfer durch den Aufbau von Geheimnissen.
Sobald zu großer Widerstand oder gar Enttarnung droht, zieht sich der potenzielle Täter meist zurück, da er sich seiner übergriffigen Handlungen oder Absichten wohl bewusst ist. Diese Tatsache bietet die Voraussetzung für eine erfolgreiche präventive Arbeit sowohl mit den potenziellen Opfern als auch mit den Verantwortlichen in Institutionen.
Konsequenzen
Was sind die Konsequenzen für Institutionen und die Problematik der Grauzone bei strafrechtlicher Relevanz? Was kann also getan werden, damit potentielle Täter, die sich oft als sehr charmant, hilfsbereit und kommunikativ darstellen, sich nicht in Einrichtungen etablieren können, wo man ihnen Kinder oder Erwachsene als Schutzbefohlene anvertraut?
Zwei klare Botschaften habe ich an diesem Tag mitgenommen: Erstens muss in Teams eine
Kommunikationsstruktur gefördert werden, die es erleichtert, schwierige Situationen selbstverständlich anzusprechen und es ermöglicht, zu jemandem zu sagen: „Lass das, das geht gar nicht.“
Und zweitens müssen klare Verhaltensregeln innerhalb einer Gruppe oder Institution bestehen, um die Sicherheit im Handeln gegenüber Schutzbefohlenen zu erhöhen.
Juristische Einblicke bot Maître Du Bois. In gut verständlicher Sprache und anhand von praktischen Beispielen schärfte sie das Bewusstsein der Teilnehmenden für die strafrechtliche Relevanz von Grenzüberschreitungen aber auch die damit verbundene Grauzone. Damit wurde die Problematik der Beweisbarkeit von sexualisierter Gewalt angesprochen, die vor allem im Fall von sehr jungen Minderjährigen schwer herzustellen ist, wenn es noch nicht zu gravierenden Taten gekommen ist.
Opferschutz hat Vorrang
Dass in jedem Fall vor allem der Schutz des Opfers im Mittelpunkt stehen muss und eine Abwägung der Mittel, um eine eventuelle Traumatisierung nicht sogar erst hervorzurufen, legte sie den Teilnehmern ans Herz. Ebenso bekamen diese klare Hinweise, wie sie sich beim Beobachten oder beim Gewahrwerden sexualisierter Gewalt an den Betroffenen selbst oder in ihrem Umfeld verhalten sollen. Wann die Polizei einzuschalten und wann zunächst einmal eine Beratungsstelle hinzuziehen sei.
Dass sich die Fortbildung zunächst einmal auf Basisinformationen beschränken musste, wird bei der Fülle der zu behandelnden Themen klar. Den Referierenden ist es jedenfalls gelungen, das sensible Thema ein wenig zu entschlüsseln und das große Tabu mit allem nötigen Respekt den Betroffenen gegenüber aufzubrechen und zugänglich zu machen. Eine Fortsetzung zum Thema durch weitere Fortbildungsveranstaltungen ist geplant und wurde
von den Teilnehmenden durchweg positiv aufgenommen.
Christine Busshardt - die Autorin ist Pastoralreferentin im
Dekanat Süden-Ost und sie hat an der Veranstaltung teilgenommen
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