"Eines Landes wie Luxemburg nicht würdig"
"Eines Landes wie Luxemburg nicht würdig"
Wegen Alkoholkonsums hat der 44-jährige Pedro seinen Führerschein, seinen Arbeitsplatz und seine Wohnung verloren. Weil er weniger als sechs Monate sozialversichert war, hat er weder ein Anrecht auf Arbeitslosengeld, noch auf medizinische Versorgung.
Ein Schicksal von vielen, das sich hinter den Zahlen der Hilfsorganisation „Médecins du Monde Luxembourg“ (MdM) verbirgt. Unter dem Titel „Soigner aussi l'injustice“ haben die Verantwortlichen jetzt die Jahresbilanz 2019 veröffentlicht.
Medizinische Versorgung ist gratis
Bei MdM werden Bedürftige kostenlos medizinisch versorgt. Die Nachfrage ist so groß, dass die Sprechstunden regelmäßig überzogen werden.
Die Betreuung soll so komplett wie möglich sein, weshalb auch zahn- und augenärztliche Behandlungen angeboten werden. Die Nachfrage ist so groß, dass die Wartezeit mittlerweile bei drei Monaten liegt. Auch Konsultationen bei einem Psychologen, einem Sozialarbeiter, Behandlungen durch einen Physiotherapeuten und medizinische Fußpflege werden viel in Anspruch genommen.
Schweres Los für Obdachlose während der Corona-Pandemie
Was den Verantwortlichen seit Beginn der Corona-Pandemie Sorge bereitet, ist die Tatsache, dass vor allem Menschen ohne Obdach riskieren, besonders von der Krankheit getroffen zu werden.
„Diese Personen können sich nur begrenzt über die Präventionsmaßnahmen informieren und diese umsetzen. Ein Obdachloser kann auch keine Quarantänemaßnahmen einhalten“, betont David Pereira, zuständig für die nationalen Programme von MdM.
In diesem Zusammenhang weist er auf die Rundgänge durch das Stadtzentrum, Bonneweg und das Bahnhofsviertel durch MdM und Inter-Actions hin, um die Betroffenen zu informieren und für die Abstandsregeln zu sensibilisieren.
Ganzjährige Aufnahmestruktur könnte Abhilfe schaffen
Vizepräsident Dr Bernard Thill fordert, dass eine Aufnahmestruktur geschaffen werden soll, die ganzjährig geöffnet ist. Die sogenannte Wanteraktioun genüge nicht, auch wenn sie, wie in diesem Jahr, aufgrund der Corona-Pandemie bis Ende Juni verlängert wurde.
Das Motto „Bleift doheem“ könne schlicht und einfach nicht umgesetzt werden, wenn man kein Zuhause habe, sagt Dr Thill.
So haben die Médecins du Monde 25 Institutionen in Luxemburg kontaktiert, um eine Unterkunft für acht sehr vulnerable Personen zu finden. Dies sei äußerst schwierig gewesen, weil es sich um Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung, Sozialversicherung und vor allem ohne Geld handele. Mittlerweile haben sechs von ihnen ein Obdach, zwei eine provisorische Bleibe.
Die Corona-Pandemie hat aber auch Auswirkungen auf die Funktionsweise der Centres d'accueil, de soins et d'orientation von MdM. So gibt es dort keinen Wartesaal mehr. Die Besucher müssen draußen in sicherer Entfernung voneinander warten. Falls die Pandemie anhält, müssen für die Herbst- und Wintersaison andere Lösungen gefunden werden.
Kein Wartesaal, reduzierte Teams
Die Teams mussten reduziert werden: Es arbeiten jeweils ein Arzt und ein Krankenpfleger zusammen.
Die Vereinigung verlangt, dass den Personen ohne Krankenversicherung ein gleichberechtigter Zugang zum Gesundheitssystem gewährt wird. Ihnen soll eine Hilfestellung angeboten werden, die ihren Lebensbedingungen entspricht.
In diesem Zusammenhang spricht Dr Bernard Thill von aktuellen Zuständen, die für ein reiches Land wie Luxemburg unwürdig seien.
Aus der Klinik auf die Straße entlassen
So berichtet er von einem 60-jährigen Mann, der nach einer dringend notwendigen Operation und einem anschließenden einmonatigen Krankenhausaufenthalt entlassen wurde. Ihm sei nichts anderes übrig geblieben, als bis zum Beginn der Wanteraktioun am 1. Dezember auf der Straße zu schlafen.
„Es ist menschenunwürdig, wenn man aus der Klinik auf die Straße entlassen wird“, so Thill. Angesichts der aktuellen sanitären Krise und deren noch nicht absehbaren wirtschaftlichen Konsequenzen, befürchtet er, dass die Obdachlosenzahlen noch ansteigen werden.
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