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Das Gebot der Stunde: Vorsicht und Umsicht!
Lokales 6 Min. 15.03.2012 Aus unserem online-Archiv

Das Gebot der Stunde: Vorsicht und Umsicht!

Das Gebot der Stunde: Vorsicht und Umsicht!

Lokales 6 Min. 15.03.2012 Aus unserem online-Archiv

Das Gebot der Stunde: Vorsicht und Umsicht!

Das erzbischöfliche Ordinariat nimmt Stellung zum neuen Regierungsprogramm und plädiert für eine menschenfreundliche Ethik in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft.

"Mit dem Regierungsprogramm vom 29. Juli 2009 liegt nach den Wahlen vom 7. Juni nun ein Fahrplan für die anstehende Legislaturperiode vor. Die Finanz- und Wirtschaftskrise stand dem diesjährigen Regierungsabkommen aus nachvollziehbaren Gründen Pate. Das daraus abgeleitete Gebot der Stunde lautet Vorsicht und Umsicht; es wird immer wieder angeführt, wo zukünftige Investitionen oder Ausgaben geplant werden. Die verantwortlichen Politiker sprechen sich trotz dieses finanziellen Vorbehalts deutlich für den Ausbau eines nachhaltigen Sozialstaats sowie für die Wahrung des sozialen Zusammenhalts aus.

"Der Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft"

Diese Grundabsicht wird durch einzelne konkrete Maßnahmen sichtbar gemacht und es ist zu wünschen, dass sie als der eigentliche rote Faden der neu bestätigten Koalition auch bestimmend in der Finanz- und Wirtschaftspolitik selber wird. Denn letztlich ist „doch der Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft“, wie es etwa in der Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ (Nr. 63) des Zweiten Vatikanischen Konzils formuliert wurde.

Papst Benedikt XVI. schließt mit seiner neuen Sozialenzyklika „Caritas in veritate“ (abgekürzt: CiV) genau dort an und führt weiter aus: „Antworten auf die tiefsten moralischen Ansprüche des Menschen haben auch wichtige und wohltuende Auswirkungen auf wirtschaftlicher Ebene. Die Wirtschaft braucht nämlich für ihr korrektes Funktionieren die Ethik; nicht irgendeine Ethik, sondern eine menschenfreundliche Ethik“ (CiV, 45).

Der soziale Zusammenhalt und mehr noch die menschliche Gemeinschaft bedürfen politischer Rahmenbedingungen, die sie stärken und nicht immer wieder auf die Probe stellen. Die angekündigten Maßnahmen im Bereich der Sozial- und Gesundheitspolitik, wie etwa die Schaffung von „épiceries sociales“, die Einführung der „faillite civile“ und des „rétablissement personnel“ oder etwa die Ausarbeitung eines Rahmengesetzes zur Präventiv-Medizin belegen den Willen zur Umsetzung.

Die Not der Menschen, die von der Krise sehr kurzfristig getroffen werden können, steht den Koalitionspartnern vor Augen, wenn sie zum Beispiel im Bereich der Wohngeldzulage, die zurzeit für die Bezieher des Garantierten Mindesteinkommens vorgesehen ist, eine mögliche Ausweitung auf andere Härtefälle – etwa infolge von Arbeitslosigkeit – prüfen wollen.

"Mit Recht" auf die Solidarität der Gesellschaft zählen

Im Bereich der Arbeits- und Beschäftigungspolitik werden die politischen Ziele für würdige Arbeit und sozialverträgliches Wirtschaften vorgelegt. Die Menschen, die ihre Arbeit verlieren oder keine Beschäftigung (mehr) finden, dürfen mit Recht auf die Solidarität der Gesellschaft zählen.

Allen Zugang zur Arbeit zu verschaffen, ist eine moralische und politische Priorität (vgl. CiV, 32). „Darüber hinaus braucht der Mensch aber auch Anerkennung als Mensch, als jemand, der gebraucht wird“ (Sozialwort der katholischen Kirche in Luxemburg, 2007, 4.3). So ist es zu begrüßen, dass solidarwirtschaftliches Handeln besser gefördert und geregelt werden soll (vgl. CiV 48). Positiv hervorzuheben ist die klare Bereitschaft, auch weiterhin und trotz Krisenstimmung im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit mit den Ärmsten im Süden zu teilen.

Hinsichtlich der Klima- und Umweltfragen bleibt das Koalitionsabkommen in der Kontinuität. Eine Menge von Instrumenten sollen geschaffen oder verbessert werden, um das Verhalten der Bürger und Institutionen in Richtung verantwortungsvolles Handeln zu lenken. Hier ist die Gesellschaft gefordert „ihren Lebensstil ernsthaft zu überprüfen“ (CiV, 51). All die genannten Aspekte des Koalitionsabkommens verdienen gewürdigt zu werden.

"Recht und Moral des einzelnen haben unterschiedliche Funktionen."

Aber der soziale Zusammenhalt steht auch in den anderen so genannten gesellschaftspolitischen Fragen auf dem Spiel. Recht und Moral des einzelnen haben unterschiedliche Funktionen. Das Recht hat dem Gemeinwohl zu dienen und den einzelnen vor verantwortliche Entscheidungen zu stellen, so wie sie mit dessen Gewissen vereinbar sind. Das Recht hat gerade in einer pluralistischen Gesellschaft aber auch die Funktion des Vorbilds, indem es bestimmte Verhaltensmuster nicht unterstützt, andere hingegen positiv fördert.

Die Ehe zwischen Mann und Frau riskiert unter dem Druck einer Kultur des Relativismus immer weiter ihre gesellschaftserhaltende Vorbildfunktion einzubüßen. Homosexuellen Menschen und ihren Forderungen nach Gleichberechtigung ist mit Respekt zu begegnen. Doch stellt die vorgesehene Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare die Einzigartigkeit der Ehe zwischen Mann und Frau mit ihrer Komplementarität und ihrer grundlegenden Bedeutung für den Fortbestand der Gesellschaft in Frage.

Die daran geknüpfte Möglichkeit einer „adoption plénière“ für Einzelne öffnet die Tür für unkontrollierbare Entwicklungen im geordneten Zusammenleben der Menschen. Hier stellt die Politik ihre Pflicht, einzelne Gruppen vor Diskriminierung zu schützen, über ihre fundamentale Aufgabe, das Allgemeinwohl zu fördern und zu stärken.

"Das Leben des Menschen steht nicht zur Disposition."

Nach der Legalisierung der Euthanasie während der letzten Legislaturperiode scheint es nun, dass durch eine Erweiterung der Indikationen im Bereich des Schwangerschaftsabbruchs das Leben auch an seinem Anfang weiter zur Verfügung gestellt wird. Die vorgeschlagene Einführung einer obligatorischen und ergebnisoffenen Beratung mag man wohl als Versuch der Schadensbegrenzung verstehen; diese darf aber nicht als eine Art staatliche Legitimierung oder gar moralische Akzeptanz des Schwangerschaftsabbruchs verstanden werden.

Es wird darauf zu achten sein, dass alle Beratungsangebote dem Primat des Lebens Rechnung tragen und den ratsuchenden Müttern die freie Wahl bei der Suche eines Beratungsdienstes in pluralistischem Umfeld zugestanden wird. Das Leben des Menschen steht nicht zur Disposition – weder an seinem Anfang noch an seinem Ende.

Im Bereich manch offener gesetzlicher Fragen hinsichtlich der Bioethik soll der Gesetzgeber nun Lücken im Sinne des Abkommens von Oviedo schließen. Hier geht es um den Umgang mit dem Leben und dem Menschen in Wissenschaft und medizinischer Praxis, der einer breiten, fachlichen und fairen gesellschaftspolitischen Debatte bedarf. Der nationalen Ethik-Kommission wird bei der Begleitung dieser wichtigen Debatte eine gestaltende Rolle zugeschrieben. Die Regierung hat in einer pluralistischen Gesellschaft in der Tat dafür zu sorgen, dass unterschiedliche Standpunkte und Argumente sachgerecht vorgetragen, gehört und ausgetauscht werden können. Die Kirche in Luxemburg ist bereit, ihre Verantwortung im Einsatz für das Leben und den Menschen im offenen und ehrlich geführten Diskurs zu übernehmen.

Mit Befriedigung nehmen wir zur Kenntnis, dass sich die Koalitionspartner im Bereich der Werteerziehung für die Erhaltung des Systems der Wahlfreiheit zwischen Formation morale et sociale und Instruction religieuse et morale ausgesprochen haben. Dieses System entspricht nicht nur unserer Auffassung von Pluralismus und Toleranz, sondern auch dem faktischen Verhalten der Eltern sowie den Ergebnissen neuester Umfragen. Weniger erfreut sind wir über die Tatsache, dass die Regierung, dessen ungeachtet, eine Abänderung des bestehenden Systems nicht gänzlich ausschließt.

"Gegen die Einführung so genannter Maisons de la Laïcité, nach belgischem Vorbild, haben wir grundsätzlich nichts einzuwenden".

Trotz der Zusicherung, dass eine solche Veränderung nur in Vereinbarung mit der/den Kirche/n erfolgen könnte, bleibt hier für uns Wachsamkeit geboten. Gegen die Einführung so genannter Maisons de la Laïcité, nach belgischem Vorbild, haben wir grundsätzlich nichts einzuwenden. Wir sehen darin einen Ausdruck des Pluralismus und eine Ergänzung des Systems der Konventionen zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften, die zur gegenseitigen Toleranz und zum gesellschaftlichen Frieden in unserem Land beitragen kann.

Anerkennend stellen wir fest, dass sich die Regierung ausdrücklich zu dem in der Verfassung verankerten System der Konventionen bekennt. Im Interesse des gesellschaftlichen Friedens und der konsequenten Integration der zahlreichen Ausländer, die unter uns wohnen und leben, ist auch die geplante Ausweitung des passiven Wahlrechts auf Gemeindeebene zu begrüßen.

"Sozialer Zusammenhalt und Ausbau des nachhaltigen Sozialstaates mehr als ein Gebot der Stunde"

Der soziale Zusammenhalt und der Ausbau eines nachhaltigen Sozialstaates sind mehr als ein Gebot der Stunde. Diese Grundaufgaben des Staates und der Politik stellen deren eigene Rechtfertigung dar. Werden diese verletzt, verfehlt die Politik ihr Ziel und ihren Zweck. Jede angekündigte „sélectivité sociale“ muss sich daran messen. Soziale Kohäsion und sozialer Friede sind hohe wesentliche und schützenswerte Güter. „Die Gerechtigkeit ist untrennbar mit der Liebe verbunden, sie ist ein ihr innewohnendes Element. Die Gerechtigkeit ist der erste Weg der Liebe, (...) ihr Mindestmaß“ (CiV 6). Die gebotene Vorsicht und Umsicht in der aktuellen Krise bedarf vor allem einer „menschenfreundlichen Ethik“ und Einstellung."

Luxemburg, am 31. Juli 2009 Das erzbischöfliche Ordinariat