30 Jahre Ramstein: Ausflug in den Tod
30 Jahre Ramstein: Ausflug in den Tod
Von Christophe Langenbrink und Tom Rüdell
Es war ein Pilotenfehler mit tragischem Ausgang. Als der italienische Pilot aus der „Frecce-Tricolori“-Kunstflugstaffel hoch über der US-Airbase Ramstein am Rande des Pfälzer Walds zur letzten Nummer ansetzt und somit den Höhepunkt der Show markiert, kollidieren drei Düsenjets vom Typ Aermacchi MB-339. Doch für die Zuschauer, die begeistert die Luftnummern beobachten, beginnt ein Alptraum. „Binnen weniger Sekunden“, wie damals Düdelinger Augenzeugen im Luxemburger Wort berichteten, fliegen brennende Trümmerteile durch die Luft. Die Menschen hatten keine Zeit zu reagieren.
Noch bevor die Wrackstücke zu Boden fallen, entsteht ein riesiger Feuerball, der sich beim Aufprall noch weiter ausdehnt. Es ist das brennende Kerosin, das sich in Windeseile verteilt und schließlich schwere Verbrennungen verursacht. Riesige Rauchschwaden steigen empor und der beißende Geruch des flüssigen Kraftstoffs durchdringt das ganze Gelände. Dieses Bild und der Gestank waren für die anwesenden Luxemburger Zeitzeugen die furchtbarste Erinnerung. Herumfliegende Teile treffen einen in Notfallbereitschaft stehenden US-Hubschrauber, der ebenfalls in Flammen aufgeht. Beide Landebahnen sind mit Wrackstücken übersät.
Feuer, Tod und Chaos
Doch neben dem tragischen Unfall, der offiziell 70 Todesopfer forderte, war die eigentliche Katastrophe die Rettung der Überlebenden - unter chaotischen Zuständen. Deutsche Rettungskräfte hatten Schwierigkeiten, das Gelände zu erreichen, aufgrund von Kompetenzgerangel mit den US-Streitkräften und wegen zugeparkter Straßen. Die Sanitätsdienste beider Parteien vor Ort waren nicht auf ein Unglück dieses Ausmaßes vorbereitet. Das Telefonnetz brach zusammen. Deutsche Infusionskanülen waren nicht mit dem US-Standard kompatibel.
Das amerikanische System des „Load and Go“, das vorsieht, Verletzte ohne Versorgung so schnell wie möglich ins Krankenhaus zu schaffen, widersprach zudem fundamental dem deutschen „Stay and Play“, einer Erstversorgung am Unfallort. Ein deutscher Notarzt wird mit dem Funkspruch zitiert: "Wir finden überall Verletzte, die uns die Amerikaner aus den Händen reißen." Im "Spiegel" ist später die Rede von der "Vietnam-Strategie, wie unter Beschuss". Wertvolle Zeit zur Behandlung der Verbrennungsopfer geht verloren. Durch die mangelnde Abstimmung zwischen deutschen und amerikanischen Rettern landeten zahlreiche Menschen wahllos in umliegenden Krankenhäusern statt in Spezialkliniken. Trauriger Höhepunkt: Ein amerikanischer Reisebus, der zwei Stunden nach dem Absturz mit zehn zum Teil unversorgten Schwerstverbrannten vor der Klinik in Ludwigshafen vorfuhr.
Das Medienecho war damals heftig. Auch im Luxemburger Wort entbrannte eine Debatte über Sinn und Unsinn solcher waghalsigen und übertrieben gefährlichen Flugnummern. "Sind Flugschauen, akrobatische Übungen und Kunstfliegerei direkt über den Köpfen Zehntausender von Zuschauern überhaupt zu verantworten? Sind sie moralische vertretbar? Wir glauben nicht", hieß es im "Wort" vom 30. August. Aber: "Es ist nicht zu fassen, dass derartige Risiken überhaupt eingegangen werden. Und das immer wieder. Es ist bitter, sagen zu müssen, dass auch die schlimmsten Erfahrungen den Menschen nicht zur Einsicht bringen."
Späte Entschuldigung
Die deutsche Politik reagierte zwar prompt: Bereits am Folgetag wurden Kunstflugvorführungen verboten. Doch dauerte es keine drei Jahre, bis sie unter Auflagen wie beispielsweise Mindestflughöhe und Flugrichtungen, die weit weg vom Publikum sind, wieder erlaubt wurden. Ungeklärt blieb lange die Frage nach der Verantwortlichkeit, die zwischen Verteidigungs- und Innenministerium, zwischen Bundes- und Landesregierung hin und hergeschoben. Keine Regierungsinstanz wollte dafür geradestehen. Offenbar war die Angst zu groß, den mächtigen NATO-Partner USA zu brüskieren.
Bis heute ist die Katastrophe für die Betroffenen von Ramstein ein traumatisches Erlebnis. Das bezeugt eine psychosoziale Nachsorgegruppe, die 30 Jahre nach dem Unglück noch immer besteht und die Ereignisse und Spätfolgen verarbeitet. Obgleich Deutschland, USA und Italien einen Sonderfonds für Opfer und Hinterbliebene einrichteten, wurde das seelische Trauma nicht anerkannt.
Erst vergangene Woche erfolgte eine offizielle Entschuldigung. Bei einer Feierstunde im rheinland-pfälzischen Landtag zum 30. Jahrestag sagte der Landtagspräsident von Rheinland-Pfalz, Hendrik Hering: „Ich möchte mich bei Ihnen in aller Form dafür entschuldigen, wie die Politik mit der Verantwortlichkeit für dieses schreckliche Ereignis umgegangen ist“.
Auf dem Podium bei der Feierstunde sitzt auch Marc-David Jung. Der studierte Informatiker mit eigener Firma in Luxemburg war vier Jahre alt, als die Feuerwalze von Ramstein über ihn rollte. Sein Vater starb in den Flammen, seine Mutter zieht sich schwere Verletzungen an den Unterarmen zu, als sie ihn aus dem Feuer zieht. Nur sein älterer Bruder bleibt - körperlich - unverletzt.
Seelische Narben bleiben allen Beteiligten, die damals dabei waren. Marc-David Jung hat zwar mit der Katastrophe abgeschlossen, wie er im Gespräch mit dem "Luxemburger Wort" erzählt. Er akzeptiere das Ereignis als Teil seines Lebens mit schlimmen Auswirkungen. Doch weil er weiß, dass es nicht allen so geht, engagiert sich Jung in der Stiftung Katastrophennachsorge, die aus der psychologischen Arbeit mit Ramstein-Opfern und Hinterbliebenen entstanden ist. Die Stiftung will mit ihrer Nachsorge durch psychosoziale Fachkräfte "an dem Punkt ansetzen, an dem die Akuthilfe nach einem Unglücksfall üblicherweise endet".
► Zur Website der Stiftung Katastrophennachsorge
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