175 Jahre Unabhängigkeit: Was geschah eigentlich 1839?
175 Jahre Unabhängigkeit: Was geschah eigentlich 1839?
Von Jean-Louis Scheffen
2014 steht der 175. Jahrestag der Erlangung unserer „Unabhängigkeit“ auf dem Festkalender, ein Ereignis, das 1939 und 1989 mit viel Pomp und Veranstaltungen aller Art zelebriert wurde.
Doch eigentlich wurde das heutige Luxemburg bereits 1815 durch den Wiener Kongress geschaffen, der die Neuordnung Europas nach dem Sieg über Napoleon regelte. Eine Neuschöpfung wie das Königreich der Vereinigten Niederlande, dessen Monarchen das eigenständige Großherzogtum übertragen wurde, „um auf immer von demselben und seinen Nachfolgern als souveraines Eigenthum besessen zu werden“.
König-Großherzog Wilhelm I. aus dem Hause Oranien-Nassau nahm es mit dem „souveränen Eigentum“ wortwörtlich und regierte Luxemburg wie eine weitere Provinz der Niederlande. Eine arme, fast ausschließlich von der Landwirtschaft lebende Provinz, die er durch überhöhte Steuern ausbluten ließ.
Kein Wunder, dass die meisten Luxemburger sich auf die Seite der Belgier stellten, als diese sich 1830 gegen die Regierung in Den Haag erhoben. Die Belgier – Wallonen wie Flamen – hatten einst zu den Habsburgischen Niederlanden gehört. Genauso wie das Herzogtum Luxemburg: Es gab also eine historische Verbindung, die in den Köpfen der Menschen weiter bestand.
Wilhelm I. wollte sich natürlich mit dieser einseitigen Unabhängigkeitserklärung nicht zufrieden geben, und noch weniger damit, dass das neue Königreich der Belgier auch sein Großherzogtum Luxemburg schlucken wollte. Nicht alle von dessen Bürgern hatten ihm die Gefolgschaft versagt.
Nur aus der Rückschau paradox erscheint, dass es gerade diese „Orangisten“ waren, die sich für ein „unabhängiges“ Großherzogtum einsetzten – im Sinne eines statu quo ante – und gegen seine Auflösung im belgischen Königreich.
Die Entscheidung trafen wiederum die Großmächte Frankreich, Großbritannien, Preußen, Österreich und Russland. Auf einer Konferenz in London 1839 akzeptierte Wilhelm I. schweren Herzens den ihm auferlegten Kompromiss.
Was Luxemburg anging, bedeutete er die Spaltung des Großherzogtums in zwei Teile, mit Ausnahme der Gegend um Arlon entlang der alten romanisch-germanischen Sprachgrenze. Der französischsprachige Teil wurde Belgien zugesprochen, der deutsch-, genauer moselfränkisch sprechende Teil bildete fortan allein das Großherzogtum Luxemburg unter der Herrschaft des König-Großherzogs.
Glücklich waren damals die wenigsten Luxemburger über diese Trennung. Eine Beteiligung an der politischen Macht erhielten sie 1839 zudem nicht, erst die Abdankung von Wilhelm I. zugunsten seines Sohnes, dem vergleichsweise liberal eingestellten Wilhelm II., brachte im folgenden Jahr die Dinge ins Rollen.
Die Wirtschaft kam langsam in Gang, die Verfassung, die das Land im Revolutionsjahr 1848 erhielt, legte die Basis zur Demokratie.
Als der moselfränkische Dialekt, den die Bevölkerung sprach, innerhalb der neuen politischen Grenzen nach und nach zur „Nationalsprache“ Luxemburgisch umdefiniert wurde, erschien die Grenzziehung von 1839 gewissermaßen – in einer Art Umkehrschluss – als Endpunkt eines quasi natürlichen Prozesses.
1939, als das Land tief in wirtschafts- und innenpolitische Probleme verwickelt war und das nationalsozialistische Deutschland begehrliche Blicke auf „alte deutsche Lande“ im Westen warf, schien der Augenblick günstig, die „Unabhängigkeit“ zu feiern und die Größe der eigenen Geschichte zu zelebrieren.
Im Mittelpunkt stand aber vor allem die großherzogliche Familie – die „eigene Dynastie“, die Luxemburg 1890 mit dem Thronwechsel zugunsten des Hauses Nassau Weilburg erhalten hatte.
So war es auch 1989, als „150 Joer Onofhängegkeet“ und im folgenden Jahr „100 Joer Lëtzebuerger Dynastie“ gefeiert wurden.
Der Blick der Historiker auf die „Geburtsstunde“ der Unabhängigkeit ist heute wesentlich nuancierter als noch vor einem halben Jahrhundert, ja selbst vor 25 Jahren.
Denn 1839 entstand kein neues Luxemburg, es wurde lediglich die Basis gelegt, auf der Staat und Nation sich herausbilden konnten. Nicht von einem Tag zum anderen, sondern über viele Jahrzehnte hinweg.
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