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Zwischen Melkstand, Kuhmist und Handykamera
Lifestyle 4 Min. 27.01.2023
Instagram-Sternchen

Zwischen Melkstand, Kuhmist und Handykamera

Annemarie Paulsen, Agrarwissenschaftlerin und Milchbäuerin, bei einem Dreh für ein Internetvideo.
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Zwischen Melkstand, Kuhmist und Handykamera

Annemarie Paulsen, Agrarwissenschaftlerin und Milchbäuerin, bei einem Dreh für ein Internetvideo.
Foto: Patrick Pleul/dpa
Lifestyle 4 Min. 27.01.2023
Instagram-Sternchen

Zwischen Melkstand, Kuhmist und Handykamera

Influencer sind hip und durchgestylt. Dieses Klischee wirft Bäuerin Paulsen in Gummistiefeln und Arbeitssachen komplett über den Haufen.

(dpa) – Die typische Influencer-Pose hat Annemarie Paulsen drauf: Das Handy in der rechten, ausgestreckten Hand lächelt sie verschmitzt in die Kamera ihres Mobiltelefons. Doch die 30-Jährige steht nicht etwa an einem Traumstrand mit malerischer Meereskulisse. Sie sitzt vielmehr in Arbeitspullover und Gummistiefeln auf einem Traktor, im Hintergrund Berge aus Getreide. Die Wangen sind vom Wind gerötet, aufwendiges Make-up braucht die dreifache Mutter nicht. Ihre kurzen Videos werden eifrig geschaut, 70.000 bis 100.000 Klicks pro Sequenz sind inzwischen normal.


Panorama , Influencer , TikTok Instagram , Nadine ROBERT Foto: Anouk Antony/Luxemburger Wort
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Was die studierte Agrarwissenschaftlerin auf Instagram postet, sind Szenen aus ihrem Arbeitsalltag, immer mit einem Augenzwinkern, da sie sich selbst nicht zu ernst nimmt und erstaunlich uneitel ist. Die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) kürte Paulsen dafür vor zwei Monaten zur besten Newcomer-Influencerin: Sie erhielt den erstmals verliehenen Agri Influencer Award. Paulsen begeistere ihre Follower mit witzigen Videos aus ihrem Hofalltag in der Uckermark. „Mit ihrem komödiantischen Talent hinterlasse sie in allen Landwirtschaftsköpfen die Frage: Woher weiß sie, wie es bei uns ist?“, hieß es in der Jurybegründung. „Dem Agrarsektor tut es gut, mal aus anderem Blickwinkel betrachtet zu werden, gerade in einer Zeit, in der Bauern viel einstecken müssen“, so DLG-Sprecher Rainer Winter.

Ein Traum von Getreide und Futtermais

Die gebürtige Schleswig-Holsteinerin hat den Sohn vom Biohof Paulsen im uckermärkischen Zollchow geheiratet, ist mit ihm und den drei Kindern vor knapp zwei Jahren dorthin gezogen und seitdem Herrin über 300 Milchkühe und acht Angestellte. „Ich kümmere mich auf dem Hof um alles, was einen Herzschlag hat. Mein Mann ist für den Acker zuständig“, erklärt sie bestimmt. Immerhin 450 Hektar Land gehören zum Biohof, ein Großteil davon sind Weiden für die Rinder. Angebaut werden zudem Getreide, Futtermais und Luzerne. „Ein Traum“, wie sie sagt. Ihren Mann hat sie beim Melken kennengelernt. „Martin war Lehrling in dem Betrieb in Schleswig-Holstein, in dem ich neben dem Studium arbeitete. Wir sind praktisch aus dem gleichen Stall.“

Bäuerin Paulsen wirft sich für Instagram in verschiedene Posen.
Bäuerin Paulsen wirft sich für Instagram in verschiedene Posen.
Foto: Patrick Pleul/dpa

Paulsen ist auf einem Bauernhof groß geworden. „Mein Leben war und ist bestimmt von Kühen und dem Melken. Das ist mein Zuhause“, sagt die junge Frau, die stets ein fröhliches Lächeln auf dem Gesicht hat. Dass sie allerdings eine ganze Mimik-Palette vorweisen kann, zeigt sich erst vor der Kamera. Für ihre witzigen Videos imitiert sie blitzschnell ungläubiges Staunen, grimmige Entschlossenheit oder gedankenverlorenes Grübeln. Ihr Alter Ego ist Bauer Helmut, Vertreter der alten, traditionellen Landwirtschaft - eine Figur, dem eigenen Vater nachempfunden. Und der ist ihr größter Fan, freut sie sich.

Ohne Witz und Humor weckt man kein Interesse, schon gar nicht bei jungen Leuten.

Annemarie Paulsen

Kurz nach ihrem Umzug in die Uckermark sei sie in den sozialen Medien in die „Agrar-Instagram-Blase“ geraten, beschreibt Paulsen. „Um zu zeigen, wie schön die Landwirtschaft ist, waren mir die Posts dort zu ernst. Ohne Witz und Humor weckt man kein Interesse, schon gar nicht bei jungen Leuten“, ist sie überzeugt. Im Mai vergangenen Jahres versuchte sie es deshalb selbst – lustig bis ironisch gibt sie in ihren Videos mit norddeutschem Dialekt Einblicke in ihr Leben auf dem Land. Der absolute Renner ihrer inzwischen gut 40 Videos ist mit mehr als 200.000 Klicks die Episode vom Aufräumen auf dem Hof. „Da müssen nur die Reifen wieder drauf, dann ist das noch gut“, meint sie mit verkniffenem Gesichtsausdruck und zeigt auf eine verrostete, verbeulte Schubkarre. Auch andere ausgediente Werkzeuge und Gerätschaften will sie in der Szene nicht wegwerfen.

Annemarie Paulsen ist Herrin über 300 Milchkühe.
Annemarie Paulsen ist Herrin über 300 Milchkühe.
Foto: Patrick Pleul/dpa

Gedanklich arbeitet sie an jeder neuen Szene eine Woche, die Umsetzung dauert mit Aufnahme und Schnitt dann nur eine Stunde. „Schnell und spitz“ zu reagieren, um sich Gehör zu verschaffen, hat die frischgebackene Agrar-Influencerin als jüngstes von acht Geschwistern von klein auf gelernt. Auch wenn sie Klischees bedient, weiß Paulsen um den schmalen Grat zwischen Witz oder Ironie und Lächerlichkeit. Die Resonanz gibt ihr recht, auch die aus dem eigenen Berufszweig. „Viele Landwirte sehen, dass auch andere Probleme im Alltag auf dem Hof bewältigen müssen. Sie sehen sich bestätigt und das berührt mich total“, sagt die 30-Jährige. Hasskommentare oder persönliche Angriffe? Fehlanzeige, sagt Paulsen.

Ich verdiene mit Instagram kein Geld, weil ich Kooperationsanfragen und Werbeangebote ablehne.

Annemarie Paulsen

„Was Annemarie für die Anerkennung der Landwirtschaft tut, ist unbezahlbar – vor allem in einer Zeit, in der gerade Milchviehhalter von zweifelhaften Tierfreunden so verunglimpft werden“, sagt Reinhard Jung, Geschäftsführer der Freien Bauern Brandenburg, wo der Biohof Paulsen Mitglied ist. Diese positive Kommunikation sei wichtig, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen und zu zeigen, „dass Landwirtschaft nichts Schlechtes“ sei. „Weil Annemarie so authentisch wirkt, spricht das viele an“, ist Jung überzeugt. Das kann die Agar-Influencerin aus der Uckermark nur bestätigen. Hatten sich ihre Instagram-Auftritte zunächst vor allem unter Landwirten herumgesprochen, so folgen ihr inzwischen auch Künstler, Städter und sogar Politiker.

Vereinnahmen lassen will sich die junge Milchbäuerin jedoch nicht – weder von der Politik, noch kommerziell. „Ich verdiene mit Instagram kein Geld, weil ich Kooperationsanfragen und Werbeangebote ablehne“, sagt sie bestimmt. Sie wolle glaubwürdig bleiben und in keinerlei Abhängigkeiten geraten. Ihre Posts hätten ihr viel mehr geholfen, in der neuen Heimat anzukommen und Bekannte zu finden.


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