Wenn Männer zu Kette statt Krawatte greifen
Wenn Männer zu Kette statt Krawatte greifen
(dpa/mij) - Hip-Hop-Künstler tragen sie seit Jahren, dann kamen die Influencer und queeren Stars, die schon Harness trugen, bevor es überhaupt in war. Es folgten Schauspieler und Sänger wie Timothée Chalamet oder Harry Styles und jetzt trägt sie auch der Mann von nebenan, der modisch auf dem Laufenden bleiben will: Statement-Ketten. Selbst Fußballer - wie der luxemburgische Nationalspieler Gerson Rodrigues -, die stets um ein maskulines, selbstbewusstes Auftreten bemüht sind, schrecken längst nicht mehr vor aufsehenerregendem Schmuck zurück.
Ob fein aus Gold oder Silber, ob massive Gliederkette, Choker, mit großen Edel- und Schmucksteinen verziert oder mit einem Anhänger gekrönt, Ketten sind derzeit das In-Accessoire schlechthin. Männlichkeitsforscher Toni Tholen interpretiert dies als mögliche Kompensation des Attraktivitätsschwunds von formaler Männerbekleidung. „Vor allem der Anzug-mit-Krawatte-Look gilt heute meist als langweilig. Mit dem Modewechsel geht auch die neoliberale Aufforderung einher, bürokratisches, distanziertes, steifes Auftreten zu vermeiden und sich stattdessen sexy, interessant, spielerisch, nahbarer und ein wenig queer zu geben.“
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Ein Verlust der Männlichkeit gehe mit dem Tragen von Schmuck aber nicht einher - eine auf den ersten Blick weiblich konnotierte Perlenkette im Stile von Marge Simpson kann mit anderen Attributen wieder auf eine harmonische, männliche Basis gehoben werden, wie der Literaturwissenschaftler von der Universität Hildesheim erklärt. „Dazu setzen sie dann zum Beispiel ihre Brustbehaarung und den Bart als Männlichkeitsmarker ein - und trainierte, muskulöse Körper oder Tattoos.“ Der Phallus, den die Krawatte bisher symbolisierte, verschwinde.
Hybride Männlichkeit
Das Kettchen-Tragen weise auf eine in der Männlichkeitsforschung als „hybrid“ bezeichnete Männlichkeit hin. „Als ‚weiblich‘ codierte Aspekte werden in männliche Gender-Performance integriert, ohne dass die Position privilegierter Männlichkeit infrage gestellt wird.“ Da Mode Modernisierung oft bloß simuliere, sei effeminierender Männerschmuck wie Ketten auch Teil einer nur scheinbar modernisierten Männlichkeit. Denn: „Hinter spielerischer Fassade lauern oft noch Machos.“
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Carl Tillessen vom Deutschen Modeinstitut sieht aktuell zwei beinahe gegensätzliche Trends: Einerseits greifen die Herren der Schöpfung zu grobgliedrigen und massiven Schmuckstücken, um ihre Männlichkeit deutlich zu betonen - hier gelte die „hypermaskuline“ Rapper-Szene als Vorbild. „Also wollen alle ein bisschen Street und Ghetto sein und kokettieren mit dem Neureichen und Prolligen.“
Andererseits tragen vor allem jüngere Männer zarte, beinahe feminin gelesenen Schmuck, etwa mit kleinen Perlen. „Das ist Ausdruck des neuen, androgynen Männerbildes“, so Tillessen, denn traditionelle Geschlechterrollen und -identitäten werden infrage gestellt. „Genderfluide Accessoires drücken das Bedürfnis aus, sich auch äußerlich von toxischer Männlichkeit oder sogenannten alten weißen Männern zu distanzieren.“
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