Virtuelle Realität
Virtuelle Realität
(dpa/tmn) - So fühlt es sich also an, ein Adler zu sein. Unten die Straßen von Paris, aus unzähligen Schornsteinen zieht Rauch. Per Blick in die Tiefe geht es in den Sturzflug, hindurch unter Brücken und durch enge Gassen entlang der Seine. Eine schnelle Neigung des Kopfes nach links verhindert in der letzten Sekunde den Zusammenprall mit einem Brückenpfeiler. Nach wenigen Minuten an Ubisofts Stand auf der Gamescom wird klar: Adler zu sein, macht richtig Laune.
Möglich macht die Adler-Simulation die Virtual-Reality-Brille Oculus Rift. Sie bringt zwei kleine Bildschirme direkt vor die Augen und macht „Eagle Flight“ aus der Sicht eines Raubvogels erlebbar - Luftkämpfe und Wettflüge mit anderen Adlern inklusive.
Andere Spiele wie „Return to Dinosaur Island 2“ entführen in steile Felswände mit Flugreptilien, in „EVE Valkyrie“ landet man per VR-Brille im Cockpit eines Raumjägers mitten in epischen Weltraumschlachten mit riesigen Schlachtschiffen und tödlichen Laserstrahlen. VR ist das nächste große Ding, da waren sich Messebesucher und Entwickler einig. Tiefer ins Spielgeschehen eintauchen konnte man noch nie.
Einen Aspekt der wunderbaren Welten mit Brille vor Augen darf man allerdings nicht verschweigen: Vielen Testspielern auf der Gamescom wurde in der virtuellen Welt ziemlich schlecht und schwindelig. Motion Sickness, auch Simulatorkrankheit genannt, wird hervorgerufen, wenn etwa Bewegungen in virtueller und echter Welt nicht zusammenpassen oder Dinge am Rand des Sichtfeldes passieren.
Zwischen fünf und zehn Prozent der Tester setzen beim ersten Kontakt mit VR ihre Brillen wegen Übelkeit, Schwindel oder Kopfschmerzen wieder ab. Oft löst schon simuliertes Treppensteigen ganz realen Brechreiz aus.
Für die Entwickler ist das eine Herausforderung. Schließlich sollen die Spieler ja Spaß haben und nicht angewidert die Brille vom Kopf reißen. Wichtig ist vor allem eine konstante Bildwiederholrate, sagt Entwickler P.J. Esteves von Crytek. Außerdem müssen Verzögerungen zwischen der Kopfbewegung des Spielers und den Bewegungen auf den Brillenbildschirmen so gering wie möglich sein.
CCP Games setzt auf Animationen, damit sich der Spieler an seine neue Position gewöhnt. Bevor es hinaus ins Weltall geht, nimmt man zunächst langsam im Pilotensessel Platz, im Weltall gibt es dann feste Orientierungspunkte wie Bedienelemente oder Fensterstreben. „Wir wollen nicht, dass den Leuten schlecht wird“, sagt Chefentwickler Andrew Willans. In „Eagle Flight“ schließlich sorgt der Adlerschnabel für Orientierung.
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Damit VR funktioniert, müssen die Spieleentwickler mit vielen Traditionen des Gamedesigns brechen. Seitenschritte, das sogenannte Strafing: tabu. Rückwärtslaufen, unrealistisch häufiges Springen, unnatürliche Bewegungsabläufe: geht alles nicht. Deswegen hatten viele auf der Gamescom gezeigte und speziell für VR entwickelte Spiele im Hinblick auf das Gameplay wenig mit klassischen Spielen gemein. „Man muss auch die Bedienung von Grund auf neu denken“, erklärt Willans.
Interaktion mit Gegenständen, Schaltflächen - alles ist anders. Sony Morpheus etwa setzt auf bunte LED-Kugeln, die der Spieler in der Hand hält. Sie werden von einem Kamerasystem erfasst und dienen im Spiel als virtuelle Hände. Auch Oculus und HTC setzen auf solche Controller, die die neuen Spielwelten begreifbar machen werden.
Eine Herausforderung ist es auch, Geschichten in VR zu erzählen und eigene Spielinhalte für die neue Technik zu schaffen. Denn nicht jedes Game lässt sich einfach in die virtuelle Realität übertragen. VR-Sportspiele sah man in Köln etwa gar nicht. Und einen aktuellen Ego-Shooter für VR-Brillen anzupassen, wäre wohl auch keine gute Idee: Übelkeit wäre garantiert. Und VR-Horrorspiele mit üblen Monstern in dunklen Gängen wären sicher auch nicht jedermanns Sache. Es gilt also, komplett neue Spiele zu entwerfen.
Was Entwickler wie Crytek, Ubisoft oder CCP auf der Gamescom zeigten, wirkte stellenweise schon ziemlich ausgereift bis fertig. Der Weltraumsimulator „EVE Valkyrie“ etwa ist laut Andrew Willans zu rund 75 Prozent vollendet. Wann die Reise in die virtuellen Welten losgehen wird, verrieten sie aber alle noch nicht.
„Wir wollen mit Spielen auf dem Markt sein, wenn die Geräte dort sind“, hieß es ziemlich einhellig. Wann das sein wird? Mit dem Verkaufsstart von Oculus Rift und Sony Morpheus wird frühestens im Frühjahr 2016 gerechnet, HTCs und Valves Vive kommt vielleicht noch in diesem Jahr.
Wird also 2016 ein VR-Boom-Jahr? Die Besucher der Gamescom waren begeistert, die Entwickler bei Fragen nach ihren Erwartungen an Akzeptanz und Verkaufszahlen höflich zurückhaltend. Fakten zu Preisen oder Systemanforderungen wurden nur vage beantwortet. Was die fertigen VR-Brillen am Ende kosten werden, ist auch noch unklar.
„Es ist ein weitgehend unbekannter Markt und eine neue Technologie“, sagt Brian Blau vom IT-Analysten Garnter. „Wir sehen große Begeisterung. Was wir bislang nicht sehen, ist, dass der Massenmarkt schon bereit ist.“ Bei Gartner rechnet man mit rund 25 Millionen verkauften VR-Brillen - weltweit und bis Ende 2018.
„Das sind recht teure Geräte“, gibt Blau zu bedenken. Enthusiasten und Pro-Gamer mit ohnehin schon teuren und leistungsfähigen Rechnern wird das nicht abschrecken. Sie werden die Nische als erste besetzen, so die Prognose des Experten.
Jeder fünfte Spieler kann sich nach einer Umfrage des IT-Verbandes Bitkom zumindest vorstellen, eine VR-Brille zu kaufen. Wie viele dann aber bei Markteinführung wirklich zugreifen, weiß man nicht. Wer mit dem Kauf erst einmal abwarten will, aber trotzdem neugierig ist, kann erst einmal die zahlreichen günstigen VR-Angeobte für Smartphones am Markt ausprobieren.
VR-Lösungen wie VRoggles, Googles Cardboard, die Zeiss VR One oder Samsungs Gear VR nutzen moderne Smartphones als Brillenbildschirme. Zahlreiche Spiele-Apps und 360-Grad-Videos zeigen schon heute, wo die Reise beim VR-Gaming hingeht.
Hier gibt es weitere Infos zur Gamescom in Köln
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